Alles wird anders. Durch unsere Straßen fahren fahrerlose Busse. Über unsere Fenster gleiten Putzroboter. In unseren Garagen stehen E-Autos. Und unsere Treibhausgas-Emissionen liegen bei null. Science-Fiction? Nicht ganz! Die Zukunft hat längst begonnen. Wir sind mittendrin in einer Art Mega-Marathonlauf namens Transformation, der dieses Jahrzehnt prägen wird. Und der uns viel abverlangen wird.

Riesiger Investitionsbedarf mitten in der Rezession

In der Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs dreht sich derzeit jede Menge um den Umbruch: Vor allem Digitalisierung und Dekarbonisierung halten Unternehmen und Belegschaften auf Trab. Mitten in der Rezession, mitten in der Pandemie, stellt der damit verbundene Investitionsbedarf viele Betriebe vor riesige Herausforderungen. Zum Beispiel, was Umwelttechnologien betrifft.

Von sämtlichen weltweit hergestellten grünen Technologien wurden im vergangenen Jahr 14 Prozent von deutschen Unternehmen produziert, ergab jüngst eine Studie der Förderbank KfW. Deutschland habe – „momentan“ – im Bereich grüner Technologien „eine starke Position“, folgert KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib. „Es gilt nun, sie für die Zukunft zu sichern und weiter auszubauen. Denn auch die Konkurrenz schläft nicht.“

Der weltgrößte Exporteur von Umwelt- und Klimaschutzgütern ist übrigens China – Deutschland folgt immerhin auf Rang zwei. Um sich ihre gute Wettbewerbsposition für die Zukunft zu sichern, müssen Unternehmen jetzt hohe Investitionen in Forschung und Entwicklung stemmen.

Die Emissionen müssen viel stärker sinken als bisher

Bis Ende dieses Jahrzehnts muss die Industrie aber auch noch ihren eigenen Ausstoß schädlicher Treibhausgase rund sechsmal so stark senken wie im Schnitt der letzten 20 Jahre. Diese Vorgabe der Politik macht bis 2030 allein in der Industrie zusätzliche Investitionen von 50 Milliarden Euro notwendig! Das errechnete jedenfalls die Boston Consulting Group für den Bundesverband der Deutschen Industrie.

Der fundamentale Umbruch in vielen Bereichen bringt für die Industrie auch große Chancen – denn es entstehen neue Märkte. Viele Unternehmen erschließen jetzt komplett neue Produktbereiche, um davon zu profitieren und auch in Zukunft wettbewerbsfähig zu sein.

Drei Beispiele aus Baden-Württemberg

Beispiel nachhaltige Mobilität: Zu diesem Produktbereich gehören etwa alternative Antriebe und Lösungen zur Verkehrssteuerung. Der globale Markt dafür wird sich einer KfW-Studie zufolge schon bis zum Jahr 2030 mehr als verdoppeln! Deutlich nach oben entwickelt sich das Marktvolumen auch in den Bereichen Energieeffizienz sowie Rohstoff- und Materialeffizienz. Immer stärker gefragt sind beispielsweise Maschinen, die weniger Energie verbrauchen, oder auch Fahrzeugteile, die mit weniger Stahl auskommen.

Wie Unternehmen in Baden-Württemberg mit solchen Produkt-Innovationen Neuland betreten, zeigt aktiv hier anhand von drei Betrieben. Diese Beispiele belegen: Egal ob Start-up oder Konzern – es braucht nicht nur Visionen, sondern auch viel Mut zum Risiko, um ausgerechnet jetzt, der Pandemie und der wirtschaftlichen Unsicherheit zum Trotz, neue Wege zu gehen und in neue Produkte zu investieren.

Rolls Royce Power Systems macht Rechenzentren klimafreundlicher

Friedrichshafen. Rechenzentren verarbeiten Daten, das Lebenselixier der Informationsgesellschaft. Damit sie auf keinen Fall ausfallen, haben sie ein Notstromaggregat. Um die energieintensiven Rechenzentren fit für die Energiewende zu machen, arbeitet Rolls-Royce Power Systems an mtu-Komplettsystemen zur Notstromversorgung mit Brennstoffzellen, gemeinsam mit dem Brennstoffzellenhersteller cellcentric.

Die Partner wollen der Technologie zum Durchbruch verhelfen. „Deshalb investieren wir dafür über die nächsten Jahre einen dreistelligen Millionenbetrag in Forschung und Entwicklung“, sagt Rolls-Royce-CEO Andreas Schell. 2025 sollen die Seriensysteme auf den Markt kommen. Im eigens dafür geschaffenen Power Lab beschäftigt sich der Motorenhersteller außerdem damit, wie genügend klimafreundlicher Wasserstoff kostengünstig hergestellt werden kann. Schell betont: „Um einen entscheidenden Beitrag zur Energiewende zu leisten, entwickeln wir uns vom Produktlieferanten zum Anbieter nachhaltiger Gesamtlösungen für Antrieb und Energie – das ist ein Riesenschritt.“ Das Ziel: den Klimawandel mit Brennstoffzellen, synthetischen Kraftstoffen oder Microgrids (smarten Stromnetzen) zu verlangsamen und trotzdem den Bedarf für Energieversorgung und Mobilität zu decken.

Bis 2030 soll die Rolls-Royce-Produktpalette 35 Prozent weniger CO2 ausstoßen als 2019. „Als Lösungsanbieter, der in 13 Branchen tätig ist, müssen wir aber technologieoffen bleiben“, fügt Schell hinzu. „Damit die Klimawende erfolgreich wird, sind Bundesregierung, EU und internationale Gemeinschaft gefordert, ein günstiges Klima für Investitionen und Anreize für die Umsetzung zu schaffen.“

Das Start-up Amprove revolutioniert die Entwicklung von Leichtbauteilen

Stuttgart. Dennis Middelmann hält die Fahrzeugteile in seinen Händen wie einen Schatz. Der 26-Jährige ist einer der Gründer des Start-ups amprove. Mithilfe eines neuen Prozesses entwickelt das Unternehmen kostenreduzierende Leichtbauteile. „Das Revolutionäre daran ist, dass wir mathematische Optimierung nutzen. Viel stärker als bisher üblich“, sagt Middelmann.

Im Klartext: Eine konventionelle CAD-Konstruktion ist nicht nötig. Die ideale Geometrie des Bauteils wird berechnet. „Für den Maschinenbau ermöglichen wir durch Leichtbau zum Beispiel kürzere Taktzeiten. In der Automobil-Industrie ist es die Reduktion des Stromverbrauchs und der Stückkosten.“

Was er da zeigt, sind übrigens Bremssättel für die Großserie. „Der hier“, er hebt seine rechte Hand, „hat ein Fünftel weniger Masse als das Originalteil in meiner anderen Hand“, betont Middelmann. „Gleichzeitig reduziert die Leichtbauweise die Stückkosten um 15 Cent.“ Die Idee zur Gründung hatte er, als er während seines Maschinenbaustudiums in der Automobil-Industrie arbeitete. Seit 2019 existiert amprove nun.

„Die größte Hürde bei der Gründung ist, den Mut zur Selbstständigkeit aufzubringen“, sagt der Gründer. „Hürden wie die Bürokratie verlangsamen und nerven, sollten aber kein Problem darstellen, wenn die Motivation stimmt.“

Unterstützung bekommen Middelmann und seine zwei Mitgründer von der Initiative Gründermotor, ein Netzwerk, das in Baden-Württemberg Start-ups fördert. Einer der Partner ist der Arbeitgeberverband Südwestmetall. amprove bekam vom Gründermotor zum Beispiel Tipps von anderen Gründern und Kontakte zu Unternehmen. Middelmann: „Das war Gold wert.“

Maschinenbauer Wafios investiert in einen Campus zur Elektromobilität

Reutlingen. Sie sehen aus wie Haarnadeln: sogenannte „Hairpins“, u-förmige Steckspulen, die in Elektromotoren eingebaut werden, insbesondere für Fahrzeuge. Für deren Fertigung hat die Wafios AG eine neue Maschine entwickelt: den schnellen Speedformer. So setzt Wafios sein Engagement in der E-Mobilität fort, das vor über fünf Jahren begann – und baut es aus.

„Da im Bereich der Elektromobilität Kupferdrähte verformt werden, bietet sich hier für Wafios die Möglichkeit, vorhandenes Know-how mit neuen Technologien zu verbinden“, erklären die Vorstände Uwe-Peter Weigmann und Martin Holder. Und weil für den Ausbau eines neuen Geschäftsfelds Platz für Entwicklung und Prototypenfertigung benötigt wird, haben Vorstand und Aufsichtsrat entschieden, hierfür Investitionen von insgesamt 10 Millionen Euro im Werk 2 in Reutlingen freizugeben. „Diese Investitionen werden den Standort weiter stärken“, so die Vorstände. Geplant ist ein Campus, auf dem die Aktivitäten zur Elektromobilität gebündelt werden – von der Entwicklung bis zur Kundenabnahme. Hier entstehen neue Arbeitsplätze in Vertrieb, Entwicklung und Produktion. Flankiert wird der Ausbau von einzelnen spezifischen Förderprojekten im Umfeld Elektromobilität.

„Wafios eröffnet sich zusätzliche Wachstumspotenziale auf einem wichtigen Zukunftsmarkt. In unserer Unternehmenskultur sind Innovationen seit jeher ein fest verankerter Bestandteil und strategischer Baustein für die künftige Unternehmensentwicklung“, betont Weigmann. Allerdings merkt Holder an: „Das größte Risiko für den Standort Reutlingen und Deutschland sind Lohnsteigerungen, welche die Unternehmen zwingen, Teile der Produktion ins Ausland zu verlagern.“

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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