Schnell mal eine E-Mail beantwortet oder auf eine dringende telefonische Rückfrage des Kollegen reagiert. Das ist für viele mittlerweile zur Selbstverständlichkeit geworden – auch außerhalb der offiziellen Arbeitszeiten. Juristin Sarah-Marie Knippschild erläutert, wo die Grenzen sind. Sie ist Referentin in der Abteilung Arbeits- und Tarifrecht bei der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA).
Der Chef ruft im Urlaub oder nach Feierabend an: Muss ich Anrufe entgegennehmen – oder Mails checken?
In vielen Unternehmen gelten Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen, die die Erreichbarkeit der Beschäftigten regeln. Teilweise ist dieses Thema auch Bestandteil des individuellen Arbeitsvertrags. Die Mitarbeiter müssen sich dann natürlich an die jeweils vereinbarten Rahmenbedingungen halten. Ohne eine gesonderte Vereinbarung über ein flexibles Arbeitszeitsystem muss man in seiner Freizeit nicht für das Unternehmen erreichbar sein.
Es gibt aber Situationen, in denen auch während der Freizeit vom Arbeitnehmer erwartet wird, dienstliche Nachrichten im Auge zu behalten. Die aktuelle Rechtsprechung weist etwa darauf hin, dass Arbeitnehmer auch außerhalb ihrer regulären Arbeitszeit dazu verpflichtet sein können, eine SMS des Arbeitgebers zur Kenntnis zu nehmen, in der ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer über den konkreten Dienstbeginn informiert. In einem solchen Fall bedarf es aber einer gesonderten Vereinbarung.
Welche Regeln gelten beim Thema Erreichbarkeit allgemein?
Das Arbeitszeitgesetz stammt aus dem Jahr 1994 und ist in seinen Grundprinzipien sogar rund 100 Jahre alt. Damals gab es natürlich noch kein Internet und deshalb unterscheidet das Gesetz nur zwischen Arbeitszeit und Freizeit. Es gibt verschiedene Formen der Arbeitszeit, für die unterschiedliche Grundregeln gelten. Dazu gehört beispielsweise die Rufbereitschaft, etwa wenn ein Techniker bei Störungen auch nach Feierabend zu einem dringenden Einsatz gerufen werden kann.
Wenn ein Arbeitnehmer nach Feierabend erreichbar ist, kann es sich juristisch gesehen um eine Art Rufbereitschaft handeln. Die meisten Vereinbarungen zum Thema Erreichbarkeit orientieren sich deshalb an den Regelungen zur Rufbereitschaft. Allerdings ist beides nicht identisch, denn die Rufbereitschaft ist ja eigentlich nur für Notfälle vorgesehen. Deshalb können sich die Details in einigen Punkten unterscheiden. Aus einem Urteil des EuGH geht hervor, dass unter bestimmten Umständen die Rufbereitschaft auch als Arbeitszeit einzustufen ist. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ein Arbeitnehmer während seiner Rufbereitschaft in der Gestaltung seiner Freizeit deutlich eingeschränkt ist.
Außerdem muss ein Arbeitnehmer mit Rufbereitschaft dafür sorgen, dass er bei Bedarf kurzfristig mit der Arbeit beginnen kann. Kurzfristig bedeutet aber nicht sofort und auf der Stelle. Hier hat die Rechtsprechung eine Untergrenze von etwa 30 bis 45 Minuten festgelegt. In vielen Unternehmen ist die vorgegebene Zeitspanne bis zum Arbeitsbeginn aber auch länger. Wichtig ist außerdem, dass die gesetzlichen Ruhezeiten von elf Stunden eingehalten werden. Alle diese Rahmenbedingungen gelten auch für die Erreichbarkeit nach Feierabend.
Von der Rufbereitschaft zu unterscheiden ist der Bereitschaftsdienst. Hier gilt wiederum, dass dieser zur Arbeitszeit gehört und vergütet wird. Das heißt: Man muss für den Arbeitgeber jederzeit erreichbar sein.
Oft ist der Bereitschaftsdienst mit Nachtschichten verbunden. Lesen Sie auf aktiv-online.de auch, wie bestimmte Schichtpläne das anstrengende Nachtarbeiten erleichtern können.
Wie wird die Ruhezeit gerechnet?
Die Ruhezeit zählt vom Arbeitsende bis zum Arbeitsbeginn und muss im Regelfall mindestens elf Stunden betragen. Dazu ein Beispiel: Ein Arbeitnehmer macht um 19:00 Uhr Feierabend. Er dürfte dann frühestens elf Stunden später, also um 6:00 Uhr morgens wieder an seinem regulären Arbeitsplatz erscheinen. Jetzt beantwortet der Mitarbeiter aber auf Wunsch der Chefin um 23:00 Uhr von Zuhause aus noch eine dringende E-Mail eines Kunden aus dem Ausland. Dann beginnt die Elf-Stunden-Frist wieder neu zu laufen und der Arbeitnehmer dürfte deshalb erst frühestens um 10:00 Uhr morgens wieder im Büro erscheinen.
Gerade durch die zunehmende Bedeutung der mobilen Arbeit stellt dies eine Herausforderung dar, da die Phasen von Arbeit und Privatem fließender ineinander übergehen können. Die Unsicherheit über die Einhaltung der gesetzlichen Ruhezeit ist auch der Grund, weshalb manche Unternehmen es inzwischen ausdrücklich verbieten, dass ihre Beschäftigten nach einer gewissen Uhrzeit noch Anrufe entgegennehmen oder E-Mails bearbeiten. Der Arbeitgeber ist nämlich gesetzlich verpflichtet, dafür zu sorgen, dass die Ruhezeiten auch tatsächlich eingehalten werden. Tut er es nicht, riskiert das Unternehmen Bußgelder von bis zu 15.000 Euro.
Ist es bezahlte Arbeitszeit, wenn ich nach Feierabend für meinen Chef erreichbar bin?
Die Zeitspanne, in der man erreichbar ist, gilt nicht als Arbeitszeit, wird also auch nicht bezahlt. Dies kann sich auch auf das bloße Lesen einer beruflichen Nachricht beziehen, sofern dies betrieblich vereinbart wurde. Sobald man aber beispielsweise eine Rückfrage beantwortet, also tatsächlich arbeitet, ist das bezahlte Arbeitszeit. Manche Unternehmen zahlen dann sogar Zuschläge.
Darf mein Arbeitgeber mich jederzeit Tag und Nacht anrufen?
Natürlich müssen sich Vorgesetzte und Kollegen an die entsprechenden Rahmenvereinbarungen halten. Hier sind üblicherweise auch zeitliche Grenzen der Erreichbarkeit festgelegt. Sowieso müssen die Rahmenbedingungen zur Erreichbarkeit so ausgestaltet sein, dass das Arbeitszeitgesetz eingehalten wird.
Muss ich sofort alles stehen und liegen lassen, wenn ein Anruf aus der Firma kommt?
Nein. Natürlich würden die meisten Menschen eine kurze telefonische Rückfrage sofort beantworten. Ist es aber komplizierter oder dauert es länger, muss der Arbeitnehmer nicht alles stehen und liegen lassen und sofort mit der Arbeit loslegen. Man kann also beispielsweise Kollegen später zurückrufen oder Mails erst nach einiger Zeit beantworten. Wie dies im Einzelnen zu handhaben ist, wird üblicherweise in den entsprechenden Rahmenbedingungen festgelegt. Bei Notfällen gelten meist Ausnahmeregelungen, beispielsweise, wenn die gesamte Produktion stillsteht. Auch bei vereinbartem Bereitschaftsdienst oder Rufbereitschaft muss der Mitarbeiter unverzüglich reagieren.
Wenn ich ein Diensthandy bekomme, muss ich dann ständig nach Feierabend auf diesem Handy erreichbar sein?
Nein, das ist völlig unabhängig voneinander. Schließlich kann man ein Handy ja ausschalten.
Darf ich spontan anbieten, dass Kollegen auch nach Feierabend noch anrufen können?
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass verantwortungsbewusste, engagierte Mitarbeiter so etwas freiwillig anbieten. Streng genommen darf eine solche Erreichbarkeit aber nicht spontan festgelegt werden, auch nicht freiwillig.
Was gilt, wenn man im Homeoffice mit freier Einteilung der Arbeitszeit arbeitet?
Dann gelten die vereinbarten Regelungen. Es macht also keinen Unterschied, ob man im Unternehmen oder zu Hause arbeitet. Auch im Homeoffice gilt: Arbeit ist Arbeit und Freizeit ist Freizeit. Wenn ein Mitarbeiter sich also beispielsweise von 13:00 Uhr bis 16:00 Uhr abmeldet, um sich um seine Familie zu kümmern, muss er nur dann für das Unternehmen erreichbar sein, wenn dies in den entsprechenden Vereinbarungen ausdrücklich so geregelt ist.
Darf ich freiwillig auch spät abends noch schnell Mails beantworten?
Wenn Beschäftigte ihre Arbeitszeit völlig frei einteilen können, dürfen sie arbeiten, wann sie wollen. Man sollte dann aber von sich aus darauf achten, dass man die gesetzliche Ruhezeit von elf Stunden auch tatsächlich einhält. Hat das Unternehmen wegen der Ruhezeiten jedoch entsprechende Verbote erlassen, muss sich der Arbeitnehmer auch daran halten. Der Mitarbeiter darf in solchen Fällen also auch dann nicht mitten in der Nacht arbeiten, wenn er selbst es gerne möchte.
Was gilt an Wochenenden und Feiertagen?
Der Samstag ist ein Werktag und kann bei den Regelungen zur Erreichbarkeit mit eingeplant werden. Arbeit an Sonn- und Feiertagen ist jedoch verboten, der Arbeitnehmer muss und darf folglich nicht erreichbar sein. Laut Arbeitszeitgesetz dürfen Arbeitnehmer an Sonn- und Feiertagen von 0 bis 24 Uhr grundsätzlich nicht beschäftigt werden. Es gelten aber die üblichen Ausnahmen für Sonn- und Feiertagsarbeit beispielsweise in Krankenhäusern, Altenheimen oder der Gastronomie. In solchen Unternehmen können die entsprechenden Regelungen zur Erreichbarkeit auch an Sonn- und Feiertagen gelten.
Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.
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