Leinfelden-Echterdingen. Jede Krise ist eine Chance. Jonathan Post hat das auf ganz eigene Weise erlebt: Die Einschränkungen in der Pandemie haben dazu geführt, dass er als Mechatronik-Azubi mal zeigen konnte, was er so alles draufhat. Und dadurch hat er seine Firma in Sachen Digitalisierung ein gutes Stück weitergebracht.
Beim Maschinenbau-Unternehmen JW Froehlich hat er im Februar 2021 seine Ausbildung abgeschlossen und wurde als Elektriker für Sondermaschinen übernommen. Der mittelständische Familienbetrieb stellt Teststände für Verbrennungsmotoren, Turbolader, Getriebe sowie elektrische und alternative Antriebssysteme her – für alle namhaften Automobilhersteller und viele andere namhafte Kunden weltweit. Posts Aufgabe dabei ist eigentlich die aufwendige Verkabelung. Und nebenbei fand er einen Weg, den Kunden einen digitalen 360-Grad-Rundgang durch die Teststände zu bieten. Und das kam so:
Einzelne Bilder von den Prüfständen genügten nicht
Jeder Prüfstand ist ein Unikat und wird genau nach Kundenwünschen gebaut. In „normalen“ Zeiten kommt der Kunde für die Versandabnahme der Prüfstände ins Unternehmen. Aber das hat Corona schwer bis fast unmöglich gemacht. Was tun? „Weil mein Ausbilder wusste, dass ich privat viel fotografiere, hat er mich beauftragt, Bilder von den Maschinen zu schießen,“ berichtet Post beim Besuch von aktiv am Standort Plochingen. Ziemlich schnell stellte sich allerdings heraus, dass das für eine Kundenabnahme auf Distanz nicht genügte. Was fehlte, war ein Überblick, die Einordnung von Detailansichten in das Gesamtbild.
„Wenn etwas nicht funktioniert, suche ich so lange den Fehler, bis es wieder läuft“
Für den 360-Grad-Rundgang nutzte er eine spezielle Software
Post – der schon als Kind ein Entdecker war und Geräte auseinanderbaute – probierte einfach etwas Neues aus: Er hatte von einer professionellen Software im Internet gehört und nahm kurzerhand Kontakt mit dem CEO des Softwareunternehmens auf. Dann schnappte er sich Digitalkamera und Stativ und machte 360-Grad-Aufnahmen von der Maschine. Das Foto-Shooting selbst war in zwei Stunden erledigt. Danach kam eine wahre Fleißaufgabe: Zwei Tage lang saß er am Laptop, um die rund hundert Aufnahmen zu ordnen und zu einer 360-Grad-Tour zusammenzustellen. Eine Geduldsprobe? Nicht für diesen zielbewussten jungen Mann: „Ich bin ein Tüftler. Wenn ich auf ein Problem stoße, dann bleibe ich so lange dran, bis ich eine Lösung finde.“
Wichtige Details lassen sich ranzoomen
Das Ergebnis ist vergleichbar mit einer 360-Grad-Online-Besichtigung einer Wohnung – geht aber noch weiter. Wichtige Details packte er in sogenannte „Bubbles“ – optische Blasen, die dem Betrachter sagen: Wenn du hier klickst, wird diese Stelle rangezoomt und du siehst die Einzelheiten. Das nötige Knowhow eignete er sich mit Online-Tutorials an - die Liebe zur Fotografie brachte er schon mit. Post erzählt: „In der Schulzeit war ich in der christlichen Jugendarbeit aktiv, zum Beispiel in Feriencamps. Irgendwann hat man mir eine Kamera in die Hand gedrückt und gesagt: Leg los! Da habe ich viel gelernt, auch über Veranstaltungstechnik.“
Fotografie als Beruf? Lieber eine Ausbildung in der Industrie!
Nach der Realschule ließ er sich zum Fotografen ausbilden, entschied sich dann aber doch für einen Industrieberuf. „Damit ist es einfacher, eine Familie zu ernähren,“ sagt er. Zwischen nachgeholter Fachhochschulreife und Ausbildungsstart ging er mit einem christlichen Freiwilligendienst für ein Jahr nach Ruanda. „Da habe ich in einer Berufsschule für Schreiner mitgeholfen. So habe ich zusammen mit den einheimischen Lehrern einen Computerraum mit eigenem Server aufgebaut, in mehreren Neubauten die Elektrik mit geplant und umgesetzt, sowie die Schreinermaschinen instandgesetzt. Das war toll! Um Familie und Freunden daheim zu zeigen, wie es dort aussah, fing ich an, 360-Grad-Bilder mit dem Handy aufzunehmen und auf einen Blog zu stellen.“ Heute wird er in der Freizeit oft zum Fotografieren engagiert, zum Beispiel bei Hochzeiten.
Die Kunden sparen Zeit und Reisekosten
Die virtuellen Maschinenbegehungen kommen bei den Kunden so gut an, dass JW Froehlich sie auch nach Corona als Extra anbieten wird. Der Kunde spart dadurch eine Menge Zeit und Reisekosten. Für seine Idee und die Umsetzung erhielt Post übrigens den Azubi-Preis „Industrie 4.0 Talente” 2021 der Allianz Industrie 4.0 Baden-Württemberg. Seine Ausbildungsleiterin Irina Busch hatte ihn ermutigt, sein Projekt dafür einzureichen: „Bei JW Froehlich gehört die Möglichkeit, sich auszuprobieren, zur gelebten Unternehmenskultur.“
„Es ist schön, etwas zu tun, was einen Mehrwert für andere hat."
Entwicklungshelfer in Afrika, ausgebildet in zwei Berufen, Sieger in einem Talentwettbewerb – mit gerade mal 24 Jahren ein Lebenslauf, der sich sehen lassen kann. Sozusagen ein Hidden Champion, genau wie „seine“ Firma. Was motiviert ihn, was treibt ihn an? Post lächelt leise und sagt mit der liebenswerten Zurückhaltung eines Menschen, der sich nie selbst ins Rampenlicht drängen würde: „Schon als ganz kleiner Junge habe ich viel ausprobiert, analysiert und repariert. Auch heute fuchse ich mich in die Dinge rein. Wenn etwas nicht funktioniert, suche ich den Fehler, bis es wieder einwandfrei läuft. Und es ist schön, wenn das, was man tut, einen Mehrwert für andere hat.“
Nachgefragt
Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Durch viele Menschen, die mich gefördert und mir ihr Wissen weitergegeben haben.
Mechatronik und Fotografie – wie passt das zusammen?
Beides macht mir Spaß, und ich konnte schon oft mit dem einen die Probleme des anderen lösen.
Worauf kommt es an?
Mit Freude durchs Leben zu gehen, in Menschen zu investieren, die kleinen Dinge zu schätzen und den Fokus nicht zu verlieren.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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