Wie attraktiv ist der Wirtschaftsstandort Deutschland für große Familienunternehmen? Wie stehen wir da im Vergleich zu 17 anderen europäischen Staaten, den USA, Kanada und Japan? Das untersucht alle zwei Jahre das Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim. Anhand der Kriterien Steuern, Arbeit, Regulierung, Finanzierung, Infrastruktur und Institutionen sowie Energie wird ein Ranking erstellt.
Und leider fällt Deutschland in diesem Standort-Ranking immer weiter zurück! Warum das so ist und was das für die – in Baden-Württemberg besonders wichtige – M+E-Industrie bedeutet, das erklärt Professor Friedrich Heinemann im aktiv-Interview. Er ist Experte für Unternehmensbesteuerung und öffentliche Finanzwirtschaft am ZEW.
Deutschland landet aktuell nur noch auf Platz 17 von 21 untersuchten Industrieländern. Allein seit 2018 sind wir um drei Plätze abgerutscht. Ist das ein Alarmsignal?
Es sollte uns zumindest wachrütteln. Im internationalen Vergleich fallen wir zurück, weil die anderen sich bewegen und Reformen anpacken, wir aber nicht. Der letzte Reformschub war die Agenda 2010. Seither sonnen wir uns im Nachglanz der guten Jahre und zehren von der Substanz. Manche Reformen wurden teilweise sogar wieder zurückgenommen.
Warum macht das Deutschland für große Familienbetriebe zunehmend unattraktiv? Wo liegen im Vergleich die gravierendsten Schwächen?
Hier muss man zunächst sagen: Deutschland hat auch Stärken. Sowohl der Staat als auch die Unternehmen mit ihren hohen Eigenkapitalquoten sind finanziell sehr gut aufgestellt. Die Schwächen liegen vor allem in drei Feldern. Erstens in der Besteuerung: Hierzulande fehlt seit der letzten großen Unternehmensteuerreform 2008 eine aktive Steuerpolitik. In dieser Zeit hat sich bei unseren Wettbewerbern enorm viel getan, weltweit und auch in Europa sind die Steuern niedriger geworden. Beispielsweise haben die USA unter Trump zuletzt die Unternehmensteuern durchgreifend gesenkt. Dadurch ist Deutschland inzwischen in der Vergleichsbetrachtung zum Hochsteuerland geworden.
Was läuft außer der Besteuerung noch schief?
Die ohnehin schon starke Regulierung der Arbeitsmärkte, etwa in Sachen Zeitarbeit oder Mindestlöhne, hat eher noch zugenommen. Jetzt dient die Corona-Krise als Anlass, ganze Sektoren noch weiter zu regulieren. Wenn wir uns in Europa umschauen, sehen wir: Länder wie Dänemark oder die Schweiz legen auch viel Wert auf einen Sozialstaat, lassen aber den Unternehmen wesentlich mehr Freiheit.
Und die dritte Schwachstelle nach Steuern und Regulierung?
Die Infrastruktur. Deutschland ist ein wohlhabendes Land, da würde man eigentlich eine exzellente Infrastruktur erwarten. Andere Staaten sind uns da aber weit voraus, wie zum Beispiel ein Blick nach Skandinavien zeigt. Das betrifft sowohl die konventionelle Infrastruktur wie Straßen und Verkehr, die immer schlechter beurteilt wird, als auch die digitale. In der Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung, des Gesundheitswesens, des Bildungssystems und die Netzdurchdringung im ländlichen Raum haben wir einen riesigen Nachholbedarf.
Was heißt das alles speziell für die Metall- und Elektro-Industrie?
Die M+E-Industrie ist von Deutschlands relativen Schwächen besonders stark betroffen, weil sie intensiver im globalen Wettbewerb steht als andere Branchen. Wenn die Standortfaktoren nicht stimmen, ist der Druck, die Produktion zu verlagern, hier besonders groß. Für sehr energieintensive Betriebe in der Metallverarbeitung ist neben den bereits genannten kritischen Faktoren auch der hohe Strompreis ein Handicap.
Wie können die Unternehmen damit umgehen?
Ein Unternehmen kann die Standortfaktoren nicht ändern. Es kann sich nur anpassen und versuchen, einzelne Nachteile mit eigenen Investitionen – etwa in Energieeffizienz oder die Ausbildung von Fachkräften – auszugleichen. Ansonsten bleibt der Industrie nur eins: auf die Politik einzuwirken, damit die Öffentliche Hand mehr in notleidende Bereiche wie die Infrastruktur investiert. Leider stehen bei Wahlen aber immer andere Dinge im Vordergrund, meistens Sozialleistungen. Den Wählern sollte aber auch bewusst sein, dass ihre Arbeitsplätze nur dann langfristig sicher sind, wenn in puncto Infrastruktur Fortschritte gemacht werden.
Und welche Lösungen bieten sich den Unternehmen in puncto Steuern?
Was die hohen Steuern anbelangt, gibt es nur einen Ausweg: im Rahmen des Erlaubten mithilfe der Finanzierungsstruktur oder durch andere Tricks Steuern zu vermeiden oder ins Ausland zu verlagern. Solche Steuervermeidung an der Grenze des Erlaubten ist nicht gut für die Akzeptanz der Marktwirtschaft und sollte daher keine Lösung sein. Dann kommt aber nur noch in Betracht, Unternehmen oder auch einzelne Unternehmensbereiche, wie die Produktion oder einzelne Produktionsschritte, ins Ausland zu verlagern. Das will die Politik zwar auch nicht, aber gleichzeitig löst sie genau diese Anreize aus.
Was bedeutet das für die Arbeitsplätze hierzulande?
Tatsächlich sind die Arbeitsplätze der Zukunft in der Nach-Corona-Ära durch diese Politik gefährdet. Denn die Karten werden ganz neu gemischt durch die Transformation und vor allem durch den Strukturwandel in der Automobilindustrie. Wie das ausgeht, wissen wir im Moment noch nicht. Aber eine standortfeindliche Politik hilft da sicher nicht. Und höhere Unternehmensteuern wären jetzt fatal.
Was läuft in anderen Ländern besser und was könnten sich unsere Politiker dort abschauen?
Kleine, wendige Staaten wie etwa die Schweiz oder die skandinavischen Länder reagieren schneller mit Reformen. Dagegen ist Deutschland ein schwerfälliger Tanker. Alles dauert unglaublich lange. Die Politik sollte unideologischer auf unsere Stärken und Schwächen schauen – und rascher handeln.
Die Corona-Krise dauert nun schon gut ein Jahr … was haben wir daraus gelernt?
Von unserer Stärke – die soliden öffentlichen und privaten Finanzen – haben wir 2020 enorm profitiert: Der Staat konnte aus dem Vollen schöpfen, die hohen Eigenkapitalquoten der Unternehmen haben diese bisher vergleichsweise glimpflich durch die Krise gebracht. Die Industrie hat ein hervorragendes Krisenmanagement betrieben: In Deutschland liefen die Bänder so gut es ging weiter, während sie in anderen Ländern komplett stillstanden. Gleichzeitig hat Corona aber auch die großen Baustellen deutlich offenbart, wie zum Beispiel die Mängel in der digitalen Infrastruktur. Daran muss dringend gearbeitet werden, damit Deutschland künftig nicht weiter abfällt.
Übrigens: Mehr zum Standort-Ranking des ZEW gibt es hier auf aktiv-online.de.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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