Donaueschingen. Wer in diesen Tagen ein globales Unternehmen führt, der erwirbt zwangsweise jede Menge Kompetenzen in Sachen kurzfristiges Krisenmanagement. Wie Wolfgang Weber, Bernd Schilling und Dieter Lebzelter: Die drei lenken den mittelständischen Automobilzulieferer IMS Gear durch den starken konjunkturellen Gegenwind, der derzeit um den Globus bläst. aktiv hat vor Ort erfahren, was Chefs und Mitarbeiter hier Unglaubliches leisten.

Der Zahnrad- und Getriebespezialist hat Jahre voller Überraschungen hinter sich. Transformation, Corona, Materialmangel, Krieg. Vorstandsmitglied Schilling drückt es so aus: „Die Welt wird immer unberechenbarer. Fast täglich kommen neue Störfaktoren dazu, die wir nicht beeinflussen können.“Zum Beispiel die Energiekosten-Rechnung.

In China wohnten Mitarbeiter wegen des Lockdowns im Werk

Am Hauptsitz in Donaueschingen gibt es eine Härterei, die mit Erdgas betrieben wird. Allein hier führt die Gaspreis-Explosion im nächsten Jahr voraussichtlich zu Mehrkosten von rund 800.000 Euro, „im ganzen Unternehmen werden die Energiekosten im laufenden Jahr um 4 bis 5 Millionen Euro höher liegen als im vergangenen Jahr“, verdeutlicht Dieter Lebzelter.

Während hierzulande die Energiepreise drücken, ist es am Standort in China die Null-Covid-Politik der Regierung, die das Produzieren schwierig macht. Im Werk Taicang nämlich hieß es von heute auf morgen: Lockdown. Die Mitarbeiter durften nur noch rein, wenn sie dann auch dort blieben! Wolfgang Weber erzählt kaum Vorstellbares: „250 Freiwillige hielten trotzdem die Produktion aufrecht, wir haben sie mit Feldbetten und Feldküchen ausgerüstet.“ Wohnen im Werk – weil sonst die Maschinen komplett stillstehen.

„Wir müssen uns jederzeit anpassen können“

Auch die Logistik am Standort Taican leidet. Für jede Abfahrt vom Werk braucht die chinesische Belegschaft eine Sondergenehmigung der Regierung. Und von ankommenden Containern muss sie Abstriche nehmen – um sie auf eine Kontamination mit Corona-Viren zu prüfen.

„Immerhin, wir konnten in China während des Lockdowns zumindest teilweise produzieren“, ist Weber dankbar. „Dem Engagement der dortigen Mannschaft ist zu verdanken, dass wir nicht in ein totales Loch fallen.“

Auch an den Heimatstandorten beweist die Belegschaft Zusammenhalt und Veränderungsbereitschaft. „Wir müssen uns ja jederzeit an neue Gegebenheiten anpassen können, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, betont Schilling.

Im Schwarzwald hat IMS Gear rund 1.700 Beschäftigte, mehr als die Hälfte der 3.100 Mitarbeiter weltweit arbeiten in Donaueschingen, Eisenbach, Trossingen und Villingen-Schwenningen. Einer von ihnen ist Thomas Falkner – der Mechatroniker stellt gerade eine Maschine ein, die kleine Getriebe für die elektrische Sitzverstellung im Auto montiert. „Die Maschine geht bald in unser Werk in Virginia Beach in den USA“, erklärt er.

Kosten sparen, Synergieeffekte nutzen

Falkners Arbeitsplatz ist das Technikzentrum, wo sich gerade viel verändert. „Wir sind mitten im Umbau“ – Schilling zeigt auf eine noch leere Fläche. Um flexibler zu werden, hat das Unternehmen nämlich wichtige Bereiche, die früher über verschiedene Standorte verstreut waren, hier zusammengeführt: Forschung und Entwicklung, Industrial Engineering, Testlabor und Ausbildungszentrum. Das schafft Synergieeffekte, spart Kosten – und beflügelt die Innovationsstärke.

Innovation und Diversifizierung sind für IMS Gear wichtige Waffen im Kampf gegen globale Krisen. Rund 50 Millionen Euro hat der Getriebespezialist und Komponentenlieferant im vergangenen Jahr – allen Unsicherheiten zum Trotz – in den Ausbau seiner Produktionskapazitäten investiert.

90 Prozent der Produkte gehen an die Autobranche, hier sieht das Unternehmen auch künftig Wachstumspotenzial. IMS Gear arbeitet stets an neuen Produkten etwa fürs Elektroauto und das autonome Fahren. Und man will zunehmend auch andere Geschäftsfelder erschließen. Die sogenannten Planetengetriebe von IMS Gear stecken zum Beispiel schon in Rasenmäher-Robotern, Sorbet-Rührmaschinen und in Förderbändern des Versandriesen Amazon.

„Man lernt, mit Überraschungen möglichst flexibel umzugehen“

„Man lernt, mit Überraschungen und konjunkturellen Schwankungen möglichst flexibel umzugehen“, so beschreibt Schilling das Rezept gegen die Krise. Und: Im ganzen Unternehmen würden die verschiedensten Möglichkeiten ausgeschöpft, Kosten zu sparen. Denn man könne weder die Preise der Rohstoffe drücken noch die höheren Kosten an die Kunden weitergeben. So wird zum Beispiel beim Einsatz von Druckluft Energie gespart, und Anlagen werden komplett vom Strom genommen, wenn sie gerade nicht arbeiten.

Wagt man in solchen schwierigen Zeiten überhaupt eine Prognose? Das Führungstrio des Traditionsunternehmens ist nach eigenen Worten „vorsichtig optimistisch“. Nach einem dramatischen Umsatzeinbruch im Jahr 2020, der leider auch einen Stellenabbau notwendig machte, stehen die Zeichen trotz allem wieder auf Wachstum.

Ein Schwarzwälder Unternehmen bewegt die Welt

  • IMS Gear ist einer der weltweit führenden Hersteller von Zahnrad- und Getriebetechnik und beliefert vor allem die Auto-Industrie. Der Umsatz im Jahr 2021 lag bei rund 460 Millionen Euro.
  • Das Familienunternehmen wurde 1863 gegründet und produzierte ursprünglich Zahnräder für die Uhren-Industrie. Heute gehören über 6.000 (!) verschiedene Teile zum Produktspektrum.
  • Im Auto sind das zum Beispiel Getriebe-Baugruppen für die elektrische Verstellung der Sitze, Spiegel oder Fenster und für automatische Heckklappen. Je mehr die Autos sich weiterentwickeln, desto mehr Anwendungsgebiete kommen für IMS Gear dazu. In einem autonom fahrenden Auto beispielsweise sollen die Sitze viel umfangreicher verstellbar sein.
  • Getriebe aus dem Schwarzwald sorgen zunehmend auch anderswo für Bewegung, etwa im Rasenmäher-Roboter, in Düngemaschinen, in Flurförderzeugen oder im E-Bike-Antrieb.
Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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