Alfdorf. Was Sven Turza den ganzen Tag so macht, gleicht ein wenig der Arbeit in einer Arztpraxis: Er macht regelmäßig den Gesundheitscheck und versorgt äußere Verletzungen wie Schnittwunden oder verbogene Gelenke. Aber zum Glück sind seine Patienten nicht aus Fleisch und Blut!

Turza versorgt mit seinem Team beim Unternehmen ZF in Alfdorf rund 50 Crashtest-Dummys, die permanent in Unfälle verwickelt sind. „Für den nächsten Crash muss alles wieder einwandfrei eingestellt sein“, beschreibt er, „da zählt jedes Detail.“

Der Automobilzulieferer ZF ist eines von nur rund 100 Unternehmen weltweit, die regelmäßig Versuche mit den teuren Testpuppen durchführen. Die Hightech-Fahrzeuginsassen tragen wesentlich dazu bei, dass der Straßenverkehr immer noch sicherer wird. Die Zahl der Verkehrstoten geht seit Jahrzehnten zurück.

Ein einziger Crashtest-Dummy hat bis zu 200 Sensoren – und kann schon mal 1 Million Euro kosten

Sven Turza arbeitet schon seit 18 Jahren in dem Dummy-Labor. Er ist gelernter Elektrotechniker, „früher war ich bei einer Fernsehgeräte-Produktion“, erzählt er. Als die geschlossen wurde, stieß er auf ZF: Der Konzern produziert am Standort Alfdorf Airbags und Sicherheitsgurte, die ständig weiterentwickelt und dabei eben auch getestet werden.

„Die haben damals Leute gesucht, die sich mit Messtechnik auskennen“, so Turza. „Crashtest-Dummys sind allerdings ein ganz spezielles Metier, in das man erst nach und nach reinwächst.“ Heute leitet der 47-Jährige ein Team mit sieben Leuten. Und ist als Experte in global vernetzten Arbeitsgemeinschaften gefragt, wenn es um Austausch und Weiterentwicklung der Dummys geht.

Von jedem Modell gibt es eine ganze Familie

Persönliche Namen haben die Exemplare in seinem Labor übrigens nicht. „Nur der mit der Seriennummer 007“, verrät Turza, „den nennen wir James.“ Die übrigen heißen zum Beispiel „Hybrid III“. Oder „Thor“, das ist das Modell der neuesten Generation. Thor ähnelt dem Menschen noch stärker als seine Vorgänger und bewegt sich beim Crash authentischer. Von jedem Modell gibt es eine ganze Familie, mit unterschiedlich großen Exemplaren, auch Kinder und Babys sind dabei.

So ein Dummy ähnelt uns übrigens ziemlich: Er hat Rippen und Gelenke, Bandscheiben aus Gummi, Weichteile, und alles wird umspannt von einer elastischen Vinylhaut. „Wir hatten mal eine Medizinstudentin zu Besuch in unserem Labor“, sagt Turza, „die war überrascht, wie detailgetreu Dummys aufgebaut sind.“ Die Hightech-Helden haben außerdem bis zu 200 Sensoren pro Puppe: Damit erfassen sie zum Beispiel, welche Kräfte in welchem Winkel einwirken.

Ein einziger Dummy kostet denn auch bis zu 1 Million Euro! Deshalb ist es umso wichtiger, dass er nach einem Crash wieder voll funktionsfähig gemacht wird. Turza und seine Kollegen ersetzen zum Beispiel Körperteile, wenn sie zu Bruch gegangen sind, kontrollieren die Sensoren und Messkanäle.

Der älteste Dummy hat schon rund 2.200 Unfälle überstanden

Dann wird der Dummy spezifisch für den nächsten Test vorbereitet. Und mit bunten Farben geschminkt: „So sieht man später ganz genau, wo der Dummy in den Airbag gefallen ist“, erläutert Turza. Der älteste Dummy bei ZF ist übrigens schon über 30 Jahre alt – und hat rund 2.200 Unfälle überstanden.

Unfallforschung gibt es seit den 1950er Jahren, die ersten Dummys waren Schaufensterpuppen mit Prothesen. Menschen wagten sich nur für ungefährliche Demonstrationen hinters Steuer.

Seit Turza im Dummy-Labor arbeitet, sieht er den Straßenverkehr mit anderen Augen. Er weiß, dass Autofahren viel sicherer geworden ist. Aber auch, dass die Insassen nur dann von der Schutzwirkung der Airbags und Gurte profitieren, wenn sie sich richtig anschnallen und normal sitzen. „Als Beifahrer die Füße aufs Armaturenbrett zu legen, das geht gar nicht!“

Nachgefragt

Wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?

Ich habe eine Ausbildung zum Elektrotechniker gemacht und war bei einer TV-Geräte-Produktion, bis ich zu ZF kam.

Was reizt Sie am meisten?

Mich mit meinen internationalen Kollegen an unseren Standorten in Europa, Asien und Amerika auszutauschen, um Versuche noch besser zu machen.

Worauf kommt es an?

Man muss extrem genau arbeiten. Denn ein Dummy ist ein Messgerät, das in jedem Detail exakt funktionieren muss.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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