Stuttgart. Dass sehr viele Unternehmen aus Baden-Württemberg Lieferanten, Kunden und Produktionsstandorte rund um den Globus haben, trägt zu ihrer großen Stärke wesentlich bei. Doch je mehr es in einzelnen Regionen oder gar global kriselt, desto stärker ist dieses Erfolgsmodell der Industrie bedroht. Und aktuell kommt es besonders dick. Hier einige Fakten und Zahlen über die dramatischen Herausforderungen für Betriebe und ihre Beschäftigten.
Die aktuelle Konjunkturumfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln zeigt es ganz deutlich: Der noch im Herbst erkennbare Optimismus der Industrieunternehmen quer durch die Republik hat sich erheblich eingetrübt. Zwar prognostizieren im Schnitt immerhin noch 37 Prozent der Unternehmen, dass ihre Produktion in diesem Jahr zulegt. Doch der Anteil der Firmen, die das Gegenteil erwarten, nämlich einen Rückgang, hat sich auf jetzt 28 Prozent verdoppelt! 22 Prozent der Firmen rechnen mit einem Rückgang ihrer Investitionen, 20 Prozent sogar mit einem Beschäftigungsabbau.
„Die Preise – besonders für Energie – steigen weiter"
Die deutsche Industrie stehe „nahe an der Rezessionsschwelle“. So fasst IW-Konjunkturexperte Professor Michael Grömling die Zahlen zusammen – und das ist kein Wunder. „Die Liste der Probleme der deutschen Wirtschaft ist lang“, sagt der Ökonom. Er zählt auf: „Die Preise – besonders für Energie – steigen weiter. Hohe Infektionszahlen sorgen an vielen Standorten für Personalausfälle. China schottet ganze Metropolen von der Außenwelt ab. Und immer noch kommen wichtige Lieferungen mit großer Verspätung an oder bleiben ganz aus.“
Und dazu dann noch Russlands Krieg in der Ukraine, der für zusätzliche Unsicherheiten sorge: Betriebe müssten damit rechnen, dass sich die damit zusammenhängenden Probleme im Jahresverlauf noch verschärfen. Zu ähnlichen Ergebnissen kommen übrigens auch zahlreiche andere Konjunkturprognosen und Umfragen.
Metall- und Elektro- Industrie ist besonders stark betroffen
Die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs, der stärkste Industriezweig in diesem Bundesland, hat mit all diesen Problemen leider besonders zu kämpfen. Denn die Branche ist eben international sehr stark verflochten und macht einen entsprechend großen Teil ihres Umsatzes im Ausland: 2020 waren es rund 60 Prozent. Und an der M+E-Industrie hängen allein in Baden-Württemberg insgesamt rund eine Million Arbeitsplätze!
Weitere Belastungen der Wirtschaft müsse die Bundesregierung daher unbedingt vermeiden, fordert Peer-Michael Dick, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Südwestmetall. „Mindestlohn, Lieferkettengesetz – es gibt eine Reihe von Dingen, die den Unternehmen nicht unbedingt jetzt hätten aufgebürdet werden müssen“, argumentiert Dick. „In der Politik sollte vielmehr überlegt werden, was der Wirtschaft noch zumutbar ist und wie sie entlastet werden kann.“
Die sechs größten Herausforderungen für die Branche derzeit – hier ein Überblick:
1. Lieferketten
- Bei 83 Prozent (!) der Metall- und Elektro-Unternehmen in Deutschland gab es im April Produktionsbehinderungen wegen Materialknappheit. Das ergab eine Auswertung des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo.
- Wann wird's besser? Klaus Wohlrabe, Leiter der Ifo-Umfragen: „Im Moment gibt es keine Anzeichen, dass es in den kommenden Monaten zu einer substanziellen Entlastung kommt.“
- Beispiel Bosch-Gruppe: „Der Bereich Mobility Solutions ist besonders durch die Lieferengpässe bei Halbleitern belastet“, sagt Bosch-Finanzchef Markus Forschner.
2. Krieg
- Fast die Hälfte der 100 Top-Manager großer Unternehmen, die von der Managementberatung Horváth jüngst zu den Kriegsfolgen befragt wurden, gehen aktuell von einem Umsatzrückgang aus. Besonders stark betroffen sind produzierende Unternehmen, so ein weiteres Ergebnis dieser Umfrage. Sie haben ihre Umsatzerwartungen im Schnitt um 7,5 Prozentpunkte zurückgeschraubt.
- „Gerade Baden-Württemberg mit einer traditionell starken Metall- und Elektro-Industrie spürt die Kriegsfolgen deutlich, sei es durch gestiegene Energiepreise oder die teilweise Unterbrechung der Lieferketten.“ So sagt es Daniel Kittelberger von Horváth.
3. Kosten
- Viel teurer geworden sind zum Beispiel Rohstoffe wie Stahl oder auch elektronische Bauteile, auf die produzierende Betriebe angewiesen sind. Ökonomen sprechen von einem „Kostenschock“. Nur etwa die Hälfte aller Industrieunternehmen kann solche höheren Kosten mal eben an die eigenen Kunden weitergeben. Das zeigt eine Umfrage des Münchner Ifo-Instituts auf.
- Beispiel BEW Umformtechnik: Bei diesem Spezialisten für Schmiedetechnik aus Rosengarten mit gut 200 Mitarbeitern sagt der geschäftsführende Gesellschafter Markus Schramek: „Durch den Ukraine-Krieg haben sich die Rohstoffe wie Erz, Schrott und Legierungen noch einmal massiv verteuert. Gepaart mit den hohen Energiekosten ist das eine Liquiditätsbelastung, die ein Mittelständler allein nicht mehr stemmen kann.“
4. Transformation:
- Digitalisierung und Industrie 4.0: Betriebe müssen umdenken und investieren. Das ist aber gar nicht so einfach! Viele Firmen stehen vor wirtschaftlichen Hürden auf dem Weg in die digitalere Zukunft. Dazu kommen der Klimaschutz, Stichwort „Dekarbonisierung“ – und speziell beim Auto die Umstellung auf neue Antriebe.
- Beispiel MAHLE: Bei diesem Automobilzulieferer gibt es einen „Transformationsdialog“ zwischen Geschäftsführung, Betriebsräten und IG Metall, um Standorte zukunftsfähig zu machen. Arbeitsdirektorin Anke Felder betont: „Die massive Beschleunigung der Transformation in den vergangenen Jahren hat den Veränderungsdruck in allen Bereichen erhöht.
5. Unsicherheit:
- „Kaum einzuschätzende Perspektiven” lasteten momentan zusammen mit den anderen aktuellen Problemen auf der Industrie „wie Blei“, hieß es jüngst im Mittelstandsbarometer von Ifo und KfW Research.
- Wohin die Wirtschaft läuft? „Die aktuellen Ereignisse machen Konjunkturprognosen derzeit höchst unsicher“, sagte Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW-Bank.
6. Lockdowns in China:
- Während die Pandemie bei uns nur noch am Rande ein Thema ist, herrscht in China vielerorts ein strenger Lockdown. Das liegt auch daran, dass sehr viele ältere Chinesen nicht geimpft sind.
- Fast alle europäische Unternehmen in China spüren die Folgen, zeigt eine Umfrage der EU-Handelskammer in China. 85 Prozent der befragten Firmen sehen erhebliche negative Folgen bei Geschäftsreisen, 37 Prozent bei der Produktion. Fast die Hälfte meldet Probleme, das eigene Firmengelände zu betreten. Die Lockdowns treffen über die Lieferketten aber auch Unternehmen, die nicht selbst in China produzieren – weil die Volksrepublik die Werkbank der Welt ist.
Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.
Alle Beiträge der AutorinAls Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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