Der Strom aus der Steckdose ist immer öfter grün. Wind, Sonne, Wasser und Biomasse lieferten 2023 fast 60 Prozent des Stroms. Dieses Jahr dürfte es noch mehr werden. Damit nähert sich Deutschland der Zielmarke von 80 Prozent Ökostrom im Jahr 2030, das die Bundesregierung ausgegeben hat.

Und weil Sonne und Wind „keine Rechnung“ schicken, wie die Ökonomin Claudia Kemfert vom Wirtschaftsforschungsinstitut DIW sagt, müsste Strom nun billiger werden. Doch jüngst warnte der Bundesrechnungshof: „Die Energiewende ist mit massiven Kosten verbunden, weitere Preissteigerungen sind absehbar.“ Strom muss aber preiswert sein, wenn Verbraucher auf E-Autos sowie Wärmepumpen-Heizungen umsteigen und Unternehmen Produktionsanlagen verstärkt elektrifizieren sollen.

Also: Schicken Wind und Sonne doch eine Rechnung? Und wie finanziert man die Kosten? aktiv erklärt, was man dazu wissen muss.

Letztes Jahr gab es so viel Ökoenergie wie nie – warum wird Strom dadurch nicht billiger?

2023 brachte einen Rekord beim Ökostrom: 261 Milliarden Kilowattstunden wurden erzeugt. Das waren enorme 60 Prozent des Stroms, der aus der Steckdose kam. „Grundsätzlich sind mehr Erneuerbare im Stromsystem eine gute Nachricht“, sagt der Energieexperte und Ökonom Thilo Schaefer vom Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW). „Denn ihr Preis ist vergleichsweise günstig.“

Aber: Den tatsächlichen Strompreis im Handel bestimmt immer das teuerste Kraftwerk, das produzieren muss, damit der gesamte Bedarf der Verbraucher zu einer bestimmten Stunde gedeckt wird. Das war im vergangenen Jahr oft ein teures Gaskraftwerk. Daher ist der günstige Grünstrom bisher nur selten preisbestimmend.

Warum warnt der Bundesrechnungshof vor weiteren Preissteigerungen?

Die Rechnungsprüfer befürchten, dass die Systemkosten der grünen Energie aus dem Ruder laufen und teurer Strom Haushalte und Wirtschaft belastet. „Die Systemkosten sind nötig, um die Ökoenergie ins Stromsystem zu integrieren“, erklärt IW-Experte Schaefer. „Das sind etwa die Investitionen in die Digitalisierung der Netze, in Speicher und in die Infrastruktur, die wir tätigen müssen, um die vielen dezentralen Anlagen gut ins Netz einzubinden.“ Dazu müssen neue Hochspannungstrassen her, die grünen Strom von den Küsten und aus Norddeutschland zu den Industriestandorten im Süden des Landes transportieren. Bis 2045 muss dieses Leitungsnetz von 37.000 auf 71.000 Kilometer erweitert werden, berichten Experten der Berliner Denkfabrik Agora Energiewende. Das koste gewaltige 310 Milliarden Euro. Der Bundesrechnungshof beziffert die Investitionen sogar auf 460 Milliarden Euro.

Und wie teuer werden die Gaskraftwerke, die in den nächsten Jahren gebaut werden sollen?

Die werden etwa 15 bis 20 Milliarden Euro kosten. Für das Geld sollen zusätzlich zu den bestehenden Gaskraftwerken noch etwa 20 Anlagen mit insgesamt zehn Gigawatt Leistung hinzukommen. Sie sollen von vornherein auch Wasserstoff als Energieträger nutzen können. „Die Gaskraftwerke sollen einspringen, wenn Wind und Sonne keinen Strom liefern“, so Schaefer. Bei zukünftig hohem Ökostromanteil werden die Kraftwerke aber nicht viel laufen. Deshalb will die Bundesregierung einen sogenannten „Kapazitätsmarkt“ schaffen. Die Betreiber der Kraftwerke werden dann auch dafür bezahlt, dass die Anlagen jederzeit lieferbereit sind. Das sorgt ebenfalls für Systemkosten.

Die Ausbaukosten werden aktuell auf den Strompreis umgelegt. Bleibt das dabei?

Heute zahlen Verbraucher für Betrieb und Ausbau der Stromnetze das Netzentgelt. Das sind im Durchschnitt 11,5 Cent je Kilowattstunde (Betriebe zahlen deutlich weniger). Aber die großen Ausgaben kommen noch, Strom könnte viel teurer werden. „Wir werden darüber debattieren müssen, ob wir die Umbaukosten vollständig auf den Strompreis umlegen oder einen Teil davon vielleicht der Staat finanziert“, sagt Schaefer. „Wenn Verbraucher mit der Wärmepumpe heizen und dem E-Auto fahren sollen, müssen die Strompreise attraktiv sein.“

Für die Industrie sind Energiekosten ein wichtiger Standortfaktor. Was braucht sie jetzt?

„Sollen die Betriebe Produktionsprozesse von Gas und Öl auf Strom umstellen und dafür investieren, benötigen sie einen verlässlichen, wettbewerbsfähigen Strompreis“, sagt IW-Experte Schaefer. „Unsicherheit, wie der teure Netzumbau letztlich finanziert wird, ist Gift für solche Investitionsentscheidungen.“ Durch die hohen Strompreise in den letzten beiden Jahren sind Produktion sowie Stromnachfrage vieler energieintensiver Firmen bereits zurückgegangen. Mittlerweile hat sich der Strompreis für die Betriebe – auch wegen der gesunkenen Nachfrage – wieder deutlich verringert.

Der Verbraucher zahlt aktuell 35 Cent für die Kilowattstunde. Geht das auch günstiger?

Für Haushalte sinkt der Strompreis ebenfalls, aber nicht so stark. Denn die Versorger beziehen einen Großteil des Stroms über langfristige Verträge von den Erzeugern. Allerdings: Wer jetzt den Stromversorger wechselt, kann laut dem Vergleichsportal Verivox 26 Cent je Kilowattstunde erzielen (bei 4.000 Kilowattstunden Jahresverbrauch).

Und profitiert der Klimaschutz von dem vielen Ökostrom?

Definitiv. Die Stromerzeugung der Kohlekraftwerke war so gering wie zuletzt 1959. Kohle- und Gasblöcke stießen nur 179 Millionen Tonnen Klimagas aus. So wenig wie noch nie seit 1990.

Schon gewusst?

  • 445 Milliarden Kilowattstunden Strom speisten Erzeuger letztes Jahr ins Netz
  • 1.900.000 Kilometer lang sind Übertragungsnetz und Verteilnetz hierzulande insgesamt
Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

Alle Beiträge des Autors