Düsseldorf. Für viele Verbraucher sind die Abschläge für Strom und Gas in ungeahnte Höhen gestiegen. Jetzt wird Energie an den Strom- und Gasbörsen wieder günstiger, was auch Neuverträge verbilligt. Wie passt das zusammen? Und lohnt sich trotz Preisbremse ein Tarifwechsel? Energie-Referentin Christina Wallraf von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen hat Antworten.

Frau Wallraf, nach dem Preisschock im Herbst hat sich der Energiemarkt wieder beruhigt. Manche Neuverträge kosten schon wieder so wenig wie vor dem Krieg in der Ukraine. Sollten Verbraucher jetzt wechseln?

Wenn ich aktuell einen teuren Tarif habe, kann sich ein Wechsel durchaus lohnen. Die Tarife einiger Anbieter liegen ja bereits unter den von der Bundesregierung festgelegten Preisdeckeln für Gas und Strom. Wer bei seinem Versorger in der Grundversorgung steckt, kann das nutzen und seinen Alt-Vertrag binnen zwei Wochen kündigen. Bei Sonderverträgen sind die Kündigungsfristen und Vertragslaufzeiten allerdings länger.

Dabei kann die Ersparnis doch nur minimal sein: Die Preisbremsen bieten doch ohnehin für 80 Prozent des durchschnittlichen Verbrauchs einen Fixbetrag.

Das stimmt. Die Preisbremsen deckeln den Preis auf 12 Cent pro Kilowattstunde (kWh) Gas und 40 Cent pro kWh Strom. Was über diese Obergrenze hinausgeht, zahlt der Staat: Nimmt mein Stromlieferant also beispielsweise 55 Cent, übernimmt der Staat die Differenz von 15 Cent. Das gilt aber nur für 80 Prozent meines früheren Verbrauchs. Bei den restlichen 20 Prozent zahle ich selbst den im Zweifel höheren Marktpreis. Das heißt: Liegt mein neuer Tarif über der Preisbremse, ist aber günstiger als der alte, spare ich bei einem Fünftel meines Verbrauchs. Liegt er sogar unterhalb der Preisbremse, spare ich immer. Im Übrigens kann ein Wechsel auch aus einem anderen Grund sinnvoll sein.

Was meinen Sie?

Als Steuerzahler tragen wir die Kosten für die Preisbremsen ja indirekt mit. Und nur weil der Staat für alles bis 80 Prozent aufkommt, muss man dem Anbieter ja nicht das Geschäft vergolden. Damit würde man auch den Wettbewerb schwächen: Wenn alle bequem bei ihren teuren Verträgen bleiben, hätten die Anbieter keinen Anreiz, mit ihren Preisen runterzugehen.

Warum geben die Anbieter die Preise denn nicht von sich aus an Bestandskunden weiter?

Sie geben die niedrigen Beschaffungskosten weiter, aber eben später. Weil sie Energie längerfristig einkaufen, um nicht große Mengen kurzfristig zu möglicherweise hohen Preisen besorgen zu müssen. Sie haben eine weniger riskante Einkaufsstrategie. Deshalb werden die hohen Kosten aus dem Vorjahr teilweise auch noch jetzt an Kunden weitergegeben. Die Tarife, die man aktuell in den Vergleichsportalen sieht, orientieren sich dagegen an den aktuellen Kursen der Strom- beziehungsweise Gasbörse. Günstig können vor allem die sogenannten Discounter sein, die kurzfristig Energie einkaufen und Preise sofort an Kunden weitergeben können.

Wieso sind die Preise eigentlich jetzt wieder relativ niedrig?

Das liegt daran, dass die anfängliche Panik verflogen ist. In den Preisspitzen aus dem Herbst war die Angst vor Engpässen eingepreist. Die haben wir – auch dank eines milden Winters – zum Glück nicht gesehen. Jetzt haben die Tarife wieder das Niveau vom Januar 2022.

Was wäre denn aktuell ein fairer Gas- und Strompreis?

Fair ist das, was aktuell in den Vergleichsportalen angeboten wird. Die günstigsten Tarife fangen beim Strom aktuell bei 39 Cent an. Man sollte aber auch immer den Grundpreis im Auge behalten. Wir wissen aus Verbraucherzuschriften, dass der eine oder andere Anbieter zwar den Tarif gesenkt hat, aber dafür die Grundpreise erhöht. Dazu muss man wissen: Liegt der Tarif in Höhe der Preisbremse oder höher, darf der Anbieter den Grundpreis nicht erhöhen. Aber schon wenn er 1 Cent darunter bleibt, gilt diese Regel nicht. Deshalb sollte man auch die Grundpreise vergleichen.

Was ist denn außer dem Preis noch wichtig? Das Produkt Strom oder Gas ist ja überall das gleiche – abgesehen vom Klima-Aspekt beim Ökostrom.

Das Wichtigste ist, einen Anbieter zu finden, mit dem man wenig Probleme hat. Deshalb sollte man sich vorab im Internet informieren: Hatten Kunden schon schlechte Erfahrungen mit diesem Versorger? Hat er zum Beispiel Guthaben nicht ausgezahlt? Unterschiedlich ist auch der Bonus, den Anbieter für Neuverträge springen lassen. Der ist neuerdings übrigens ebenfalls gedeckelt: Liegt der Tarif über der Preisbremse, darf der Bonus maximal 50 Euro betragen; ist er mit energieeffizienten Maßnahmen verknüpft, höchstens 100 Euro. Da gibt es also aktuell nicht so viel mitzunehmen.

Raten Sie eher zu langfristigen Verträgen? Oder purzeln die Preise demnächst weiter?

Wie sich die Preise entwickeln, weiß niemand. So turbulent wie im vergangenen Jahr dürfte es nicht mehr werden. Zumal die Deckel durch die Preisbremsen bis April 2024 schützen. Um zu verhindern, dass man kurz nach Vertragsschluss eine Preiserhöhung erhält, würde ich zu Verträgen mit einer Preisgarantie von 12 Monaten raten. Bei einer kürzeren Laufzeit kann es passieren, dass nach zwei, drei Monaten wieder eine Preiserhöhung kommt.

Was empfehlen Sie: lieber Discounter oder Stadtwerke?

Grundsätzlich ist nichts gegen Discounter zu sagen. Aber in der Energiekrise und auch in den Jahren zuvor hat insbesondere die Gruppe der Discounter vielen Verbrauchern Probleme bereitet, ihnen zum Beispiel kurzfristig außerplanmäßig gekündigt. Auch Stadtwerke können günstig sein – man muss ja nicht sein eigenes nehmen, sondern kann sich auch in Nachbarstädten nach dortigen Sondertarifen umschauen. Übrigens kann manchmal sogar die örtliche Grundversorgung die preiswerte Alternative sein.

Worauf sollte man beim Wechsel noch achten?

Vorsichtig sollte man sein, wenn Anbieter erst mit Kampfpreisen reingehen und wenig später ein intransparentes Preiserhöhungs-Schreiben schicken, das man vielleicht nicht sofort als solches erkennt. Solche Maschen kennen wir aus der Vergangenheit. Der eine oder andere Anbieter mag dieses Jahr auch darauf spekulieren, dass Kunden ihre Rechnungen nicht richtig durchschauen – die sind ja durch die Preisbremsen noch komplexer geworden. Deshalb finde ich es ganz wichtig, dass Verbraucher das System zumindest in Ansätzen verstehen. Es muss jedem klar sein: Energiesparen lohnt sich immer – und einen günstigeren Anbieter zu suchen in der Regel auch.

Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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