Deutschland braucht Strom – und zwar viel: Um rund 11 Prozent wird der Bedarf hierzulande bis zum Jahr 2030 steigen, so eine Berechnung des Forschungsinstituts Prognos. Dafür braucht es neben neuen Windrädern und Solaranlagen vor allem starke Netze. „Für ein klimaneutrales Stromsystem brauchen wir bis 2045 in erheblichem Umfang zusätzliche Stromleitungen“, sagt Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur. Tatsächlich sehen der aktuelle Bundesbedarfsplan und das ältere Energieleitungsausbaugesetz (EnLag) mehr als 14.000 Kilometer Hochspannungs-Verbindungen vor.

Und das ist noch nicht alles: Anfang März bestätigte die Netzagentur 4.800 neue Leitungskilometer, die von den Übertragungsnetzbetreibern vorgeschlagen wurden – darunter eine weitere Mega-Trasse von Schleswig-Holstein nach Baden-Württemberg. Bislang stehen nur die Anfangs- und Endpunkte der Verbindungen fest. Sollte der demnächst erscheinende Umweltbericht nicht dagegen sprechen, gehen sie in den nächsten Bundesbedarfsplan ein. Erst dann beginnt die konkrete Planung.

Doch bevor der erste Bagger anrücken kann, muss jeder Streckenkilometer genehmigt werden. „Die Genehmigung nimmt die meiste Zeit in Anspruch“, erklärt Anke Weidlich, Professorin für Technologien der Energieverteilung an der Universität Freiburg. Der Grund: Für alle Grundstücke an einer Trasse – bei SuedLink sind es rund 20.000! – müssen zunächst die Besitzer gehört werden. Außerdem sind mit Bund, Ländern und Kommunen an einer Leitung oft gleich mehrere Behörden beteiligt. Das dauert!

Hochspannungsleitungen: Genehmigungen sollen schneller erteilt werden

Kein Wunder also, dass bislang erst für 4.139 der im Bedarfsplan und im EnLAG vorgesehenen 14.000 Leitungskilometer alle Planungs- und Genehmigungsverfahren abgeschlossen sind. Immerhin: Bis Ende des Jahres sollen alleine bei den Bundesnetzagentur- Vorhaben gut 1.400 Kilometer dazukommen. „Ab Mitte 2024 wird die Zahl der Genehmigungen deutlich ansteigen, insbesondere bei den großen Vorhaben“, erklärt eine Sprecherin der Agentur. Grund sind gesetzliche Neuerungen: Viele Prozesse wurden zuletzt vereinfacht.

So sehr starke Netze gebraucht werden – klar ist auch, dass jeder Ausbaukilometer Geld kostet. „Die Netzentgelte sind einer der größten Posten des Strompreises“, sagt Alexander Weiss, Energieexperte der Unternehmensberatung McKinsey. Deshalb müsse man bei jeder Leitung schauen, ob sie effizient ist. „Und auch, ob und wo der Ausbau von Erneuerbaren sinnvoll ist.“

Energiewende: Das Netz muss zu den Anlagen passen

Die Effizienz wäre am höchsten, wenn alle Netze möglichst oft aus-, aber nicht überlastet wären. Das könnte man am besten über eine intelligente Verteilung von Windrädern und Solaranlagen erreichen, sagt auch Leonhard Birnbaum, Chef des Energieversorgers Eon: „Die Bundesregierung sollte sich fragen, ob der Ausbau der Erneuerbaren regional gesteuert werden muss.“ Als Beispiel führt er Texas an: Wenn in dem US-Staat Windräder dort gebaut werden, „wo das Netz den Strom nicht aufnehmen kann, hat der Investor Pech gehabt. Dann verdient er kein Geld“.

Auch bei den Großabnehmern – etwa den künftigen Elektrolyseuren – müsse man regionale Anreize setzen, sagt Energieforscherin Weidlich. Alles können die Netze schließlich nicht auffangen.

Deutschlands Stromverteiler

  • Für Betrieb und Ausbau der Stromnetze sind in Deutschland Privatunternehmen zuständig. Früher waren die Netzbetreiber oft zugleich Energieversorger – seit 2012 muss beides getrennt sein.
  • Für die überregionalen Netze sind die Übertragungsnetzbetreiber verantwortlich. In Deutschland gibt es vier davon: Tennet, 50Hertz, Amprion und TransnetBW. Sie haben jeweils das Monopol für eine „Regelzone“ (siehe Karte).
  • Verteilnetzbetreiber wie Eon oder Westnetz nehmen den Strom aus den überregionalen Netzen ab und speisen ihn in ihre regionalen Leitungen.
Michael Aust
aktiv-Redakteur

Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band. 

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