Jules Verne hat es vorausgesehen: „Wasser ist die Kohle der Zukunft“, schrieb der Science-Fiction-Autor schon im Jahr 1870. Rund 150 Jahre lang sah es nicht so aus, als würde der Fantasy-Schriftsteller („Die Reise zum Mittelpunkt der Erde“) mit seiner Prognose einmal recht behalten.
Das Henne-Ei-Problem hat beim Wasserstoff vieles verzögert
Zwar ist Wasserstoff das häufigste Element auf der Erde. Allerdings ist H2 – so der chemische Name – meist mit Sauerstoff verbunden. Um Wasser in seine Bestandteile aufzuspalten, braucht es elektrische Energie – im besten Fall Ökostrom, dann wird auch der Wasserstoff „grün“. Strom jedoch lässt sich häufig effizienter direkt nutzen. Deshalb setzt die Auto-Industrie eher auf E-Autos als auf Wasserstoff-Fahrzeuge.
Zudem galten Wasserstoffnetze lange als unwirtschaftlich. „Der Grund war das Henne-Ei-Problem“, erklärt Malte Küper, Energie-Experte am Institut der deutschen Wirtschaft (IW). Es war unklar, wer in Vorleistung geht: Sollen die Netzbetreiber in Leitungen investieren, obwohl es noch keinen grünen Wasserstoff gibt? Oder soll die Industrie H2-fähige Anlagen bauen, für die das Netz fehlt? „Der Lösung dieses Problems ist der Bund nun einen großen Schritt nähergekommen“, sagt Küper.
Mitte November kündigte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck den Bau eines sogenannten Wasserstoff-Kernnetzes an: Bis 2032 soll es – und jetzt wird es technisch – die wesentlichen Erzeugungs- und Verbrauchsschwerpunkte sowie Speicher und Importpunkte miteinander verbinden. So kommt die Energie aus dem windstromreichen Norden zu den Industriezentren Deutschlands. Für 60 Prozent der 9.700 Kilometer langen Strecke werden Erdgasleitungen umgestellt. Nur 40 Prozent der Rohre werden neu verlegt. „Das spart Zeit“, sagt Peter Alexewicz vom Netzbetreiber ThyssenGas. „Aktuell brauchen wir zwei Drittel der Zeit für die Genehmigung.“
Das Wasserstoffnetz wird schon bald engmaschiger
Finanziert wird das Kernnetz von den privaten Netzbetreibern. Die bekommen dafür vom Bund Investitionssicherheit: Zwar sollen die künftigen Netzentgelte „etwa in Höhe der heutigen Netzentgelte für Erdgas“ gedeckelt werden, so IW-Experte Küper. Die entstehende Kostenlücke will der Bund erst mal zwischenfinanzieren. Dass es mittelfristig an Abnehmern mangelt, fürchten die Netzbetreiber nicht. „Viele Industrien können sich ohne Wasserstoff nur schwer dekarbonisieren“, sagt Barbara Fischer, Geschäftsführerin der Fernleitungsnetzbetreiber Gas (FNB Gas). „Dazu gehören energieintensive Branchen wie Stahl oder die Chemie.“
Zukünftig werden auch die Bedarfe weiterer Nutzergruppen in der Netzplanung berücksichtigt. „Im zweiten Schritt werden die Verteilnetze umgestellt“, sagt Fischer. „Darüber kann der Wasserstoff auch an Mittelständler und Haushalte transportiert werden.“
Klar ist: Zunächst zielt der Leitungsbau auf die Industrie. Wann genug Wasserstoff für die private „H2-ready“-Gastherme da sein wird, ist offen. Nach Einschätzung von Robert Habeck wird Deutschland auf lange Sicht nur 30 bis 50 Prozent seines Bedarfs selbst produzieren. Der Rest muss importiert werden.
Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band.
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