Köln. Corona hat die Lieferketten der Welt durcheinandergewirbelt. Der Welthandel sei so massiv gestört wie lange nicht, konstatieren Logistik-Experten, womöglich so einschneidend wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr. Die Frachtkosten sind enorm gestiegen, auf der Route Schanghai-Rotterdam etwa um 500 Prozent. Zehntausende Truck-Fahrer fehlen in Europa. Chip-Hersteller kommen mit der Produktion nicht nach. Stahl, Magnesium, Aluminium, Kunststoffe sind knapp und teuer. 96 Prozent der Metallbetriebe ächzen laut einer Umfrage des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall von Oktober unter Versorgungsproblemen.
Engpässe bis weit ins neue Jahr
Bei fast jedem zweiten Metall- und Elektro-Unternehmen führt das zu Produktionseinschränkungen sowie Umsatzeinbußen von im Schnitt 12 Prozent. Das schlägt auch auf die Konjunktur durch. Der Sachverständigenrat hat die Wachstumsprognose für die Wirtschaft in diesem Jahr von 3,1 auf 2,7 Prozent gesenkt. Ein „Alarmsignal“ sieht darin Joachim Lang, Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands BDI: „Die kommenden Monate versprechen wenig Besserung.“
Besonders betroffen ist die Auto-Industrie. Die Inlandsproduktion hat sich im Verlauf des Jahres deutlich abgeschwächt; in den drei Monaten von September bis November brach sie gegenüber der schwachen Vorjahresperiode regelrecht ein: minus 38 Prozent!
Aussicht auf rasche, durchgreifende Besserung besteht nicht, beim Welthandel so wenig wie bei den Computerchips. Frühestens ab der zweiten Jahreshälfte 2022 rechnen Experten mit einer leichten Entspannung. Trübe Aussichten für die Wirtschaft. Wo es überall hakt und warum, lesen Sie hier:
Transport: Hunderte Schiffe im Stau
Zu wenige Container, zu wenige Schiffe, zu wenige Hafenarbeiter: Als nach Corona der Welthandel rasch wieder ansprang, waren Reeder und Häfen nicht vorbereitet. Dann kam die Wirtschaft nicht überall gleichzeitig in Gang. Jetzt stauen sich in einigen Häfen leere Container, vor manchen volle Frachtschiffe. Knapp 500 Schiffe ankerten am 6. Dezember vor Häfen, notiert der Monitor Seaexplorer des Logistikunternehmens Kühne+Nagel. Und die Frachtraten haben sich auf manchen Routen verfünffacht.
- Schiffsstau an der US-Ostküste. Die Bilder gingen um die Welt: Vor den Häfen von Los Angeles und Long Beach an der Westküste der USA stauen sich die Containerschiffe. Im Oktober schätzt die Investmentbank Goldman Sachs, dass dort Waren im Wert von 24 Milliarden Dollar auf Abfertigung warten. In den beiden Häfen wird nun rund um die Uhr gearbeitet, um Schiffe aus Asien zu entladen.
- Chinas Häfen hinken hinterher. Auch auf der anderen Seite des Pazifischen Ozeans kämpfen ebenfalls Häfen mit den enormen Mengen Fracht. Allein vor den Containerhäfen von Hongkong und Shenzhen warteten laut dem Monitor von Kühne+Nagel im November 37 Schiffe, vor Schanghai 78. Ein Grund: Immer wieder haben chinesische Behörden wegen Corona-Fällen Häfen ganz oder teilweise abgeriegelt. Im Mai traf es zum Beispiel für Wochen Teile des Ports von Yantian.
- Wartezeit auch vor Rotterdam. Selbst vor der niederländischen Küste warten Tanker und Frachtschiffe darauf, entladen zu werden. Vor dem Hafen von Rotterdam stauten sich auf den Armen des Rhein-Maas-Deltas auch Binnenschiffe, weil sie ihre Fracht nicht löschen konnten. Der Hafen in Hamburg hatte zeitweilig ebenfalls Probleme.
- Suezkanal tagelang blockiert. Im März lief in der Wasserstraße das Containerschiff „Ever Given“ auf Grund. Sechs Tage lang versperrte der 400 Meter lange Frachter die wichtige Verbindung zwischen Asien und Europa. Beiderseits des Kanals stauten sich schließlich 422 Schiffe. Laut Schätzungen wurde pro Tag Fracht im Wert von 9 Milliarden Dollar blockiert.
Rohstoffe: China und Corona bremsen
Energieprobleme, enorme Nachfrage, extreme Kälte: Bei wichtigen Rohstoffen ist die Versorgung aus dem Lot geraten. Ob Stahl, Magnesium, Kunststoffgranulat oder Kautschuk – Deutschlands Vorzeigebranche Auto-Industrie trifft es gleich mehrfach. Laut einer Umfrage des Ifo-Instituts klagten im November 88 Prozent der Branchenfirmen über Engpässe bei Vorprodukten und Rohstoffen.
- Stahl ist knapp und teuer. Vor allem getrieben von den beiden Wirtschaftsriesen China und USA ist Stahl derzeit global enorm gefragt. Peking hat gleichzeitig seine Stahlerzeugung verringert, um Energie zu sparen, und deshalb die Exportförderung für den Werkstoff gestrichen. Auch in Europa ist die Nachfrage stark, deshalb ist Stahl knapp und teuer. Die deutschen Stahlwerke erhöhten die Produktion bis Ende Oktober um 15 Prozent auf fast 34 Millionen Tonnen.
- Alarm bei Magnesium. Im September kappt China, weltgrößter Lieferant für das Leichtmetall, die Ausfuhr um 25 Prozent. Das Land will weniger Strom verbrauchen. Daher mussten die energieintensiven Magnesiumhütten runterfahren. Der Preis für das Leichtmetall schoss auf zeitweise 10.000 Dollar pro Tonne hoch. Magnesium ist wichtig für die Aluminium-Produktion, für den Auto- und Flugzeugbau. Inzwischen produziert China wieder mehr Magnesium.
- Kunststoffproduktion ausgebremst. Ein extremer Wintereinbruch legte im Februar die Produktion von Kunststoffen im US-Bundesstaat Texas auf Eis. Viele Chemieanlagen fielen für Wochen aus. Betroffen waren Werke in Houston, Dallas und Baytown. Am Golf von Mexiko liegen viele Raffinerien und Petrochemieanlagen, so entstehen dort etwa 96 Prozent der US-Erzeugung des Kunststoffvorprodukts Ethylen. Die Preise für Kunststoff erhöhten sich um 10 bis 20 Prozent.
- Weniger Kautschuk durch Lockdowns. In Thailand, Malaysia, Indonesien hielt der Lockdown Arbeiter und Kleinbauern von den Kautschukplantagen fern. Die Produktion verringerte sich, die Preise stiegen. Hinzu kamen Überflutungen und Pflanzenkrankheiten. Schon im Jahr 2020 ging die weltweite Kautschukerzeugung von 29 Millionen auf 27,4 Millionen Tonnen zurück.
- Mangel an Papier. Auch Papier für Tüten, Bücher, Zeitungen ist knapp und teuer. Wegen der Lockdowns brach hierzulande die Altpapiermenge 2020 um 30 Prozent ein, es wurden weniger Prospekte und dünnere Zeitungen gedruckt. Der Preis für Altpapier verdoppelte sich seit Jahresbeginn. Zugleich verlangte der boomende Online-Handel nach immer mehr Verpackungen, sodass weitere Papierfabriken ihre Produktion auf Pappe und Karton umstellten. Zudem kauft China den Weltmarkt für Zellstoff leer.
- Erdgas teuerer, Dünger knapp. Engpass auch beim Erdgas: Russland hält zwar die Lieferverträge ein, füllt aber die Speicher nicht auf. Norwegens Flüssiggas-Exporte sind eingebrochen, die Niederlande fahren die Förderung in Groningen runter. Deshalb ist Erdgas deutlich teurer geworden. Für die Chemie-Industrie ist das doppelt problematisch, weil sie Erdgas als Energieträger und Rohstoff nutzt. Der Chemiekonzern BASF hat daher die Produktion von Ammoniak in Ludwigshafen und Antwerpen gedrosselt, andere Unternehmen ihre Erzeugung ebenfalls. Ammoniak wird für die Produktion von Dünger und Harnstoff benötigt. Dünger könnte nun knapp werden. Und auch die Harnstofflösung AdBlue für die Abgasreinigung in Dieselautos und Trucks.
Vorprodukte: Markt für Chips leer gefegt
Kurzarbeit, weniger Schichten, lange Lieferzeiten: Die Auto-Industrie spürt Ende 2021 immer noch den Mangel an Mikrochips. Die deutschen Hersteller bauen deshalb weniger Autos, als sie könnten. Bei manchen Konzernen suchen eigene „Taskforces“ den Weltmarkt nach Restmengen an Rechenchips ab.
- Chipproduktion reicht nicht. Die Produktionskapazitäten der Chipfabriken etwa in Kalifornien, Südkorea oder Taiwan sind derzeit voll ausgelastet. Besonders gefragt sind Prozessoren für PCs, Tablets und Smartphones, weil durch Corona der Alltag verstärkt in den eigenen vier Wänden stattfindet. Die Autohersteller, die zu Beginn der Pandemie Aufträge verringert oder storniert hatten, kommen daher aktuell nicht richtig zum Zug.
- Produktionsausfälle durch Sturm und Dürre. Ein Schneesturm führte im Februar zu Stromausfällen in Texas. Chipproduzenten in Austin mussten ihre Werke zeitweilig schließen. In Japan bremste ein Brand eine Fabrik für einen Monat aus, in Taiwan sorgten Dürre und Wassermangel für Produktionsprobleme bei Chips.
Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.
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