München. Einer der wichtigsten Standortfaktoren für die Wirtschaft in Deutschland und Bayern ist ein tragfähiges und finanzierbares Sozialversicherungssystem. Sichere Renten, Krankenversicherung, Absicherung gegen Arbeitslosigkeit sowie Pflegeleistungen im Alter stabilisieren eine Gesellschaft. Das sieht auch die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) so. Gerade in der Corona-Zeit habe sich gezeigt, wie wichtig so ein soziales Netz ist.
Jedoch stößt dieses Netz an seine Grenzen, sagt Professor Bernd Raffelhüschen. Der Finanzwissenschaftler und Direktor des Forschungszentrums Generationenverträge der Uni Freiburg erläuterte auf Einladung der vbw die Gründe dafür.
Früher kamen sechs Erwerbstätige auf einen Rentner – heute nur zwei
Das deutsche Sozialversicherungssystem beruht darauf, dass Erwerbstätige und ihre Arbeitgeber hälftig Beiträge für Rente, Krankenkasse, Pflege oder Arbeitslosenversicherung einzahlen. Von diesem Geld werden die Renten der Älteren sowie Leistungen für Kranke oder Pflegebedürftige bezahlt.
„Wenn genügend Erwerbstätige einer kleinen Gruppe von Rentnern gegenüberstehen, ist das kein Problem“, so der Wissenschaftler. Im Jahr 1962 etwa kamen sechs Erwerbstätige auf einen Rentenempfänger.
Dies hat sich geändert. Immer weniger Jüngere rücken in den Arbeitsmarkt, gleichzeitig steigt die Lebenserwartung der Älteren. Bald geht zudem die geburtenstarke Babyboomer-Generation anfangs der 1960er Jahre in Rente.
Bis zum Jahr 2040 wird der Anteil der über 67-Jährigen von heute 19 auf 26 Prozent steigen. Auf einen Rentner kommen dann nicht mal mehr zwei Erwerbstätige! „Und weil Ältere ein höheres Krankheits- und Pflegerisiko haben, wird auch da mehr Geld benötigt“, so Raffelhüschen und fordert „eine Debatte in der Gesellschaft“, welche Leistungen wir zukünftig wollen und wie das System reformiert werden kann.
Private Altersvorsorge muss gestärkt werden
Höhere Beiträge zulasten der Jüngeren halten Experten weder für sinnvoll noch gerecht. Die Pläne der Ampel-Koalition dürften die Beiträge jedoch auf über 40 Prozent steigen lassen. Dagegen spricht sich die vbw aus, denn es käme zu höheren Kosten für die Betriebe: „Ziel muss ein tragfähiger Ausgleich zwischen Sozialschutzniveau und Kostenbelastung sein.“ Auch Zuschüsse aus Steuergeld für Soziales seien kritisch: „An anderer Stelle fehlt dadurch Geld für wichtige Investitionen in Bildung, Forschung, Digitalisierung, Klimaschutz.“
Wichtig wäre, wenn Erwerbstätige wirklich bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter von 67 Jahren arbeiteten. Dazu müssten Anreize für Frühverrentung abgebaut werden. Zudem müsse die private Vorsorge gestärkt werden.
Dass ein Kapitalstock angelegt wird, aus dem künftig Zuschüsse für die Rente fließen, sei ein gutes Ziel – aber keine kurzfristige Lösung. Laut Raffelhüschen brauche es bei dem geplanten Startkapital an die 30 Jahre, bis in so einem Fonds genügend Geld angespart wäre.
Neu denken und reformieren müsse man auch bei Pflege und Gesundheit. Bessere Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung könnte hier etwa Kosten sparen.
Alix Sauer hat als Leiterin der aktiv-Redaktion München ihr Ohr an den Herausforderungen der bayerischen Wirtschaft, insbesondere der Metall- und Elektro-Industrie. Die Politologin und Kommunikationsmanagerin volontierte bei der Zeitungsgruppe Münsterland. Auf Agenturseite unterstützte sie Unternehmenskunden bei Publikationen für Energie-, Technologie- und Mitarbeiterthemen, bevor sie zu aktiv wechselte. Beim Kochen und Gärtnern schöpft sie privat Energie.
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