Anfang Juni ruft Europa zur Wahl – dann werden die Abgeordneten des Europäischen Parlaments neu gewählt. aktiv sprach mit Franz-Peter Falke über die Bedeutung der EU und darüber, warum diese Wahl für ihn eine Schicksalswahl ist. Falke ist geschäftsführender Gesellschafter der gleichnamigen Modefirma und Vorstandsmitglied im Europäischen Dachverband der Textil- und Bekleidungsindustrie Euratex.

Herr Falke, ihre Produkte sind in etwa 60 Staaten präsent. Wie wichtig ist der europäische Markt für Sie?

Stimmt, wir sind in recht vielen Ländern auf der Welt präsent. Aber nach wie vor ist Europa unser Hauptabsatz- und auch Produktionsmarkt. Falke erwirtschaftet mehr als die Hälfte seines Umsatzes in Europa. Unser Unternehmen ist 1895 im Sauerland gegründet worden, quasi im Herzen Europas. Die Mehrzahl unserer über 3.000 Mitarbeiter lebt und arbeitet in Europa. Aber wenn es um das Stichwort „Europa“ geht, geht es für mich nicht nur um die wirtschaftlichen Aspekte.

Sondern?

Die EU lässt sich für mich gedanklich nicht auf einen riesigen Absatzmarkt mit Hunderten von Millionen Konsumenten reduzieren. Die Gemeinschaft vertritt vor allem eine bestimmte Geistes-, Denk- und Wertehaltung. Europa steht für eine freiheitlich-demokratische Grundhaltung, Rechtsstaatlichkeit, individuelle Freiheit, kulturelle Vielfalt, Kreativität und Innovation, Toleranz und Menschlichkeit. Dazu gehört unabdingbar Offenheit und Neugierde, der Diskurs, also die Bereitschaft, sich mit Meinungen inhaltlich auseinanderzusetzen. Dazu gehört der Wille zu Wettbewerb und der Wille, die Zukunft gestalten zu wollen. Das alles hilft, im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu sein und es zu bleiben. Hier fühle ich mich zu Hause. 

Dennoch steht die EU als Institution durchaus auch in der Kritik. Was wünschen Sie sich da?

Dass sich die EU wieder auf ihre Kernaufgaben besinnt, also: den rechtlichen und den politischen Rahmen zu setzen und nicht die Zukunft herbeiregulieren zu wollen. Die Politik sollte die Voraussetzungen schaffen, um die gesetzten Ziele erreichen zu können und dabei Realitäten anerkennen. Ich wünsche mir, dass die Verwaltungen zukunftsfähig reformiert werden und der Wettbewerb gestärkt und respektiert wird. Dann hätten die Menschen bessere Möglichkeiten, sich frei zu entfalten, Ideen zu verwirklichen, innovativ zu sein. Das ist das Grundprinzip unseres marktwirtschaftlichen Systems und die Grundlage des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolgs der EU weltweit.

Was läuft da denn falsch?

Mein Eindruck ist, dass die EU-Kommission und die Verwaltung eben überzeugt sind, die Zukunft herbeiregulieren zu können, mit der Folge, alles detailliert vorgeben zu müssen. Dies führt zu einer überbordenden Bürokratie. So geht Kreativität verloren und relevante Innovationen entstehen nicht mehr. Die abnehmende Offenheit und Freiheit im Denken und Handeln, der zunehmende Protektionismus gefährdet die Erfolgsrezepte unseres gesellschaftlichen und finanziellen Erfolges. Dadurch verlieren viele Unternehmen, Bürgerinnen und Bürgern immer mehr Vertrauen in die Institutionen und zunehmend in unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung.

Wie könnte die EU denn dieses Vertrauen zurückgewinnen?

Indem die verantwortlichen Politiker Offenheit praktizieren und aufhören, eine stark ideologisierte Zukunft mit immer mehr Regulierung zu überfrachten. Sie sollten sich in allem Handeln rückbesinnen auf die europäischen Erfolgsfaktoren und den Bürgern die großen Erfolge der europäischen Gemeinschaft als Friedens- und Wohlstandsprojekt in Erinnerung bringen. Dazu gehört auch, breite, glaubwürdige gesellschaftliche Perspektiven zu skizzieren, die Anreize für sinnvolles individuelles wie gesellschaftliches Engagement schaffen.

Wie kann man sich selbst einbringen?

Eben durch Engagement, gesellschaftlich, kulturell oder politisch. Der Gang zur Wahlurne gehört auf jeden Fall dazu! Voraussetzung sollte die seriöse Auseinandersetzung mit den Angeboten der politischen Parteien sein, sich seine persönliche Meinung zu bilden und diese dann auch äußern. Es darf nicht sein, dass die größte Partei in Europa die Partei der Nichtwähler ist. So etwas stärkt nur die Fliehkräfte am rechten und linken Rand und schwächt unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung. Auch deshalb ist diese Wahl eine echte Schicksalswahl.

Das ist eine dramatische Einschätzung.

Es steht letztlich nicht weniger auf dem Spiel als die Idee eines gemeinsamen, freien Europas. Wir brauchen eine starke Stimme der verantwortungsvollen gesellschaftlichen Mitte, die die Werte, die die EU vertritt, stärkt und schützt. Und eine freiheitliche-demokratische Grundordnung, die Frieden und Wohlstand garantiert. Nur so können wir die vielfältigen Krisen meistern, mit denen wir leider derzeit konfrontiert sind. Deshalb zählt jetzt jede Stimme. Es geht um den Erhalt und vor allem um die Stärkung unserer Wettbewerbsfähigkeit nach innen wie nach außen.

Es steht letztlich nicht weniger auf dem Spiel als die Idee eines gemeinsamen, freien Europas

Franz-Peter Falke

Was meinen Sie damit?

Die EU steht ja nicht nur mit ihren Produkten, sondern auch mit ihren Werten im Wettbewerb mit dem Rest der Welt. Die Menschen weltweit kaufen Produkte „made in Europe“ nicht nur wegen der hohen Qualität, sondern auch, weil sie an diesen europäischen Werten und deren Faszination teilhaben wollen. Die Begehrlichkeit einer faszinierenden Marke entsteht immer aus dem Vergleich, vor allem aber auch aus berührenden Emotionen. Dieser Gleichklang erzeugt Mehrwert. Das beobachte ich immer wieder, wenn ich außerhalb Europas unterwegs bin.

Wer also eine Falke-Socke kauft, kauft ein Stück weit die europäische Idee mit?

Im Grunde genommen ja. Die EU steht weltweit für viel Positives. Daran sollten wir bei aller berechtigten Kritik auch immer denken und es wertschätzen.

Anja van Marwick-Ebner
aktiv-Redakteurin

Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.

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