Unnötige Regelungen und „bürokratische Monster“ belasten die Wirtschaft, kritisiert Jens Harde. Der 61-Jährige ist Mitglied im Präsidium von NiedersachsenMetall und Geschäftsführer Operations bei der Weidemann GmbH in Korbach. Mit aktiv spricht er über Hürden und Herausforderungen und die anstehende Europawahl.
Herr Harde, Sie kennen die Industrie aus verschiedenen Positionen, haben auch schon für einen US-Konzern gearbeitet. Welche Weichen sollte die Politik aus Sicht der Betriebe stellen?
Eine erfolgreiche Industrie ist die Basis für unseren gesellschaftlichen Wohlstand. Dass es uns allen insgesamt so gut geht, ist nicht selbstverständlich, sondern das Ergebnis einer permanenten Weiterentwicklung der Unternehmen. Speziell die technologische und organisatorische Weiterentwicklung lässt uns im globalen Wettbewerb bestehen. Mein Eindruck ist, dass in weiten Teilen der Politik ein falsches Bild über die Wirtschaft vorherrscht: Viele Politiker betrachten diese Weiterentwicklung mittlerweile als zu selbstverständlich.
Was kritisieren Sie konkret?
Vielen Menschen, besonders in der Politik, ist nicht bewusst, in welch großem Veränderungsprozess sich die Industrie befindet: Die erlebt gerade die größte Transformation, den größten Umbau ihrer Geschichte! Wegen der globalen Wettbewerbsfähigkeit können wir uns keine unnötigen Regelungen und bürokratischen Monster leisten. Wir müssen den gemeinsamen europäischen Binnenmarkt nutzen, um die Freizügigkeit der Arbeitnehmer sicherzustellen. Und die Entwicklung von Zukunftstechnologien aktiv vorantreiben.
Die EU hat zuletzt viele Richtlinien und Verordnungen geschaffen, die von der Wirtschaft als überbürokratisch kritisiert werden. Teilen Sie die Kritik?
Nehmen wir als Beispiel die EU-Lieferkettenrichtlinie. Das Vorhaben überschreitet gleich mehrere Grenzen. Zum einen können insbesondere mittelständische Unternehmen den geforderten Prüfungsaufwand nicht leisten. Zum anderen bedeutet die Richtlinie eine erhebliche Kostensteigerung im Beschaffungs- und Produktionsprozess. Man kann fast den Eindruck gewinnen, dass die Personen, die sich damit in der EU beschäftigen, uns als Unternehmen nicht vertrauen. Es werden permanent zusätzliche neue Richtlinien und Verordnungen geschaffen, die von der Idee her zum Teil richtige Ziele verfolgen – aber eben in der Umsetzung zu einem nicht vertretbaren Aufwand führen.
Was ist aus Ihrer Sicht zu tun?
Es gilt absolut, unnötigen Aufwand zu vermeiden. Dazu müssen wir die erforderlichen Prozesse effizient und möglichst automatisiert beziehungsweise digitalisiert gestalten. Die EU macht Gesetze in dem Glauben, Wirtschaft und Wohlstand zu stärken. Tatsächlich fühlen sich die Unternehmen aber in Summe zunehmend von einer überbordenden EU-Politik geschwächt. Wichtig für unsere Zukunftsfähigkeit ist, die Gesetzgebung zu vereinfachen, überholte Vorschriften zu identifizieren und abzuschaffen. Wir müssen den Schalter umlegen, damit Europa wettbewerbsfähig bleibt.
Sie haben von großen Veränderungen gesprochen. Dazu zählt auch die demografische Entwicklung: Es kommen immer weniger junge Menschen nach. Und die, die kommen, sind zudem immer schlechter qualifiziert.
Das stimmt und ist eine große Herausforderung für die Wirtschaft. Die Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie haben leider gezeigt, dass Deutschland bereits den Anschluss an vergleichbare Industrieländer verloren hat. Ein Desaster für eine Nation, die auf den Rohstoff „schlaue Köpfe“ angewiesen ist, um ihren Wohlstand zu sichern! Die Folge ist, dass die Qualität der Bewerber um Ausbildungsplätze leider kontinuierlich sinkt – sowohl fachlich als auch in der persönlichen Entwicklung. Hier hat auch Corona tiefe Spuren hinterlassen. Mit dem Wissen von heute erkennen wir, dass es ein Fehler war, die Schulen so lange geschlossen zu halten. Auch bei der Ausstattung der Schulen hapert es: Sowohl bei der „Hardware“ als auch bei der Aus- und Weiterbildung von Lehrkräften müssen wir Gas geben!
Was sollte sich konkret in der Bildung ändern?
Die Pisa-Ergebnisse haben gezeigt, dass unsere Schüler gerade in Mathematik und den Naturwissenschaften nicht flächendeckend über das erforderliche Basiswissen verfügen. In den Schulen wieder Lust auf Technik zu wecken, könnte ein Ansatz sein, das zu ändern.
Welche Wege bieten sich da an?
Ich bin ein großer Befürworter von Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Sie bieten Chancen, die wir unbedingt nutzen müssen – in der Schule, im Berufsleben und natürlich auch in der Produktion, Administration und in unseren Prozessen. Gleichzeitig aber ist es wichtig, dass junge Menschen wieder spielerisch etwas Praktisches erleben. Nicht nur virtuell, sondern in der echten Welt, im Physikraum, beim Werken oder zu Hause in der Garage. Begeisterung in die Klassenzimmer tragen wäre aus meiner Sicht einer der besten Beiträge von Pädagogen, um dem wachsenden Fachkräftemangel entgegenzuwirken.
Stichwort künstliche Intelligenz: Sehen Sie KI als Konkurrenten oder als Kollegen?
Da habe ich eine klare Position: Zukünftig werden unsere Arbeitsplätze kaum noch ohne KI auskommen. Darauf müssen und werden wir uns einstellen. Ich persönlich habe sehr gute Erfahrungen damit gemacht, in kleinen und nachvollziehbaren Schritten eine vernetzte Produktion entstehen zu lassen. Besonders wichtig dabei ist, die Mitarbeiter von Beginn an mitzunehmen und von den vielen Vorteilen der digitalen Transformation zu überzeugen. Die Digitalisierung spielt eine Schlüsselrolle als Treiber unserer Wettbewerbsfähigkeit.
Zur Person
- Jens Harde ist seit 2019 Mitglied im Präsidium von NiedersachsenMetall.
- Aktuell ist er Geschäftsführer Operations der Weidemann GmbH in Korbach. Das Maschinenbau-Unternehmen ist mit seinen 300 Mitarbeitern auf die Produktion von Arbeitsmaschinen wie Hoflader und Radlader spezialisiert.
- Zuvor war Harde Geschäftsführer der Howmet Aerospace am Standort Hildesheim.
Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.
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