Düsseldorf. Nordrhein-Westfalen ist ein industrielles Schwergewicht. Was zeichnet NRW aus? Und was muss besser werden? aktiv fragte im Vorfeld der Landtagswahl im Mai den Unternehmer Arndt G. Kirchhoff. Er ist im Ehrenamt Präsident der Unternehmensverbände NRW.
Herr Kirchhoff, der Krieg in der Ukraine lässt andere wichtige Themen in den Hintergrund treten. Wie empfinden Sie, was derzeit geschieht?
Der Überfall Russlands auf die Ukraine, das unbeschreibliche Leid der Menschen und die unfassbare Zerstörung erschüttern uns alle. Wir erleben leider auf brutale Weise, dass Frieden, Freiheit und Demokratie nicht selbstverständlich sind. Ich stelle mir die Frage, was wir als westliche Welt aggressiven Regimen entgegenstellen können. Und da ist meine Überzeugung, dass wir nicht nur moralisch Stärke zeigen, sondern auch wirtschaftlich stärker sein müssen.
Sind die Folgen für Nordrhein-Westfalen bereits spürbar?
Ja, natürlich. Manche Bereiche unserer Wirtschaft sind durch unterbrochene Lieferketten massiv getroffen. Es fehlen zunehmend Rohstoffe, Vorprodukte, Materialien. Vieles lässt sich im Detail derzeit noch gar nicht bemessen. Das tatsächliche Ausmaß auch der wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges wird sich ohnehin erst in nächster Zeit klarer abzeichnen.
Was muss geschehen mit Blick auf die Energieversorgung am Standort NRW – und auf das Erreichen der Klimaziele?
Es ist kein Geheimnis, dass NRW ein Land mit vielen energieintensiven Industrien ist. Das gehört zu unserer DNA. Unsere geschlossenen industriellen Wertschöpfungsketten sind die wichtigste Voraussetzung für Hunderttausende Arbeitsplätze. Jetzt ändern sich gerade binnen kürzester Zeit grundlegend die Spielregeln für unsere Versorgungssicherheit mit Energie. Ein Großteil unserer Kohle-, Öl- und Gaslieferungen kommt aus Russland. Auch wenn gegenwärtig unter Hochdruck an der Neu-Organisation gearbeitet wird, kann das nicht von heute auf morgen gelingen. Wir müssen zudem aufpassen, dass die Energiepreise nicht komplett durch die Decke schießen – gerade für die Industrie. Sonst gefährden wir in vielen Bereichen die Produktion. Mit Blick auf unsere Klimaziele können wir selbst vor allem eines tun: Den Ausbau der erneuerbaren Energien massiv beschleunigen – und da muss jetzt bei Genehmigungsverfahren in den höchsten Gang geschaltet werden.
Am 15. Mai wählt NRW einen neuen Landtag. Welche Erwartungen hat die Industrie an die nächste Landesregierung?
Der Erneuerungsprozess muss mit noch mehr Tempo fortgesetzt werden. Da ist zuletzt viel Richtiges geschehen, aber: Wirtschafts- und Standortpolitik müssen in der nächsten Legislaturperiode einen noch größeren Stellenwert bekommen. Unser Land ist darauf angewiesen, international wettbewerbsfähig zu bleiben.
Viele Unternehmen leiden bereits unter Fachkräftemangel. Wäre eine Bildungsoffensive im Land die richtige Antwort darauf?
Es war keine Selbstverständlichkeit, dass sich der Arbeitsmarkt in NRW selbst in der Corona-Krise als relativ stabil erwiesen hat. Wichtig ist, dass diese positive Entwicklung nach der Wahl nicht durch zusätzliche Regulierungen und Belastungen leichtfertig aufs Spiel gesetzt wird. Aber Sie haben recht: Dem Thema Fachkräftesicherung gehört in der Bildungspolitik ganz hohe Priorität – und Digitalisierung und Transformation müssen dabei die Schwerpunkte sein.
Die vielen maroden Brücken in NRW werden zunehmend zum Problem. Was muss das Land tun?
Zunächst will ich schon feststellen, dass in NRW in den letzten fünf Jahren erkennbar saniert, modernisiert und ausgebaut worden ist. Da darf es jetzt keinen Richtungswechsel geben. Die Verkehrsministerin hat jüngst ein Zehn-Punkte-Programm aufgelegt, das noch einmal das Tempo erhöht. Möglich werden kann dies durch eine Parallelisierung von Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Mit Blick auf die Zukunft: Ist NRW ein attraktiver Investitionsstandort?
Das Land liegt im Herzen Europas, ist einer der wichtigsten Wirtschafts- und Industriestandorte des Kontinents und bekannt für sein riesiges Potenzial. Als Unternehmer schaue ich mir daher diesen Standort schon mal an, wenn ich investieren will. Und dann will ich wissen, wie die wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen sind: Infrastruktur, Digitalisierung, Fachkräfte, Bürokratie, Wissenschaftslandschaft, Innovations- und Gründerkultur! Das ist das Spielfeld der Landespolitik. Und der kann ich nur empfehlen, den in den letzten fünf Jahren eingeschlagenen Weg weiterzugehen.
- Der Unternehmer Arndt G. Kirchhoff, geboren 1955 in Essen, ist Vorsitzender des Beirats der Kirchhoff-Gruppe in Iserlohn, einem familiengeführten Autozulieferer mit weltweit 12.500 Mitarbeitern und einem Umsatz von gut 2,25 Milliarden Euro.
- Im Ehrenamt ist Kirchhoff unter anderem Präsident des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln, der Landesvereinigung der Unternehmensverbände (unternehmer nrw) sowie des Arbeitgeberverbands der Metall- und Elektro- Industrie METALL NRW.
Thomas Goldau schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Politikthemen. Nach dem Politikstudium an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und einem Zeitungsvolontariat beim „Offenburger Tageblatt“ hat er bei Tageszeitungen und einem Wirtschaftsmagazin über den Politikbetrieb in Bonn, Berlin und Brüssel berichtet. Privat zieht es den Familienvater regelmäßig mit dem Wohnmobil in die Ferne.
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