Aldenhoven. Mit dem Auto durch eine steile Kurve rasen, übers Kopfsteinpflaster holpern, über eine spiegelglatte Fläche rutschen, kurz anhalten – und dann einen pitschnassen Hang mit 12 Prozent Steigung erklimmen: Im Aldenhoven Testing Center (ATC) zwischen Düren und Aachen wird Fahrzeugen einiges abverlangt. Auf den zwölf Teststrecken kann alles, was Räder hat, fast jedes Fahrmanöver ausprobieren. Nicht zum Spaß: Das hier ist Arbeit! Auch wenn der Fahrer immer öfter die Hände einfach in den Schoß legen und das Auto machen lassen kann. Im ATC wird das autonome Fahren mitentwickelt.

Ob Autofirma oder Start-up: Das Testzentrum steht allen Interessierten offen

„Bei uns werden voll automatisierte Fahrzeuge, Elektroantriebe, autonome Paketzustellung und die Vernetzung zwischen Fahrzeugen und Infrastruktur getestet. Aber auch Drohnen, die den Verkehr überwachen und bei Rettungseinsätzen unterstützen“, erzählt Micha Lesemann, einer der Geschäftsführer. „Die Systeme müssen zunächst unter kontrollierten Bedingungen ihre Reife nachweisen, bevor man sie auf die Straße lässt.“ Testgelände wie bei Aachen gebe es weltweit 40 bis 60, in Europa sind es 20 bis 25, schätzt er. „Sie sind jedoch fast alle in privater Hand, angesiedelt bei den großen Autoherstellern und -zulieferern.“

Nicht so das ATC. Es steht allen Interessierten offen. Neben den bekannten Produzenten aus der Auto-Industrie können Hochschulen, Forschungsinstitute, Start-ups und Mittelständler hier ihre Technologien auf die Probe stellen. Entstanden ist das Testzentrum 2009 als ein Joint Venture der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) Aachen und des Kreises Düren auf dem Gelände einer ehemaligen Steinkohlezeche. Seitdem wurde es für gut 40 Millionen Euro ausgebaut. Betriebe rund um das Thema Fahren siedelten sich an. Ein „Future Mobility Park“ ist im Zuge des Kohleausstiegs geplant.

Auch Kunden aus Asien wissen die Tests zu schätzen

Streetscooter, eGo, die Transportkapseln von E-Mover, das Solarauto von Lightyear: Sie alle waren schon zum Testen da. Klar, Aachen ist stark in Sachen Mobilität der Zukunft. Aber auch Kunden aus Großbritannien, Osteuropa und Asien wissen die Tests zu schätzen.

Der Clou: Das ATC stellt das modernste Mobilfunknetz in ganz Europa zur Verfügung – Vodafone unterhält hier sein 5G Mobility Lab. Das machte im Januar einen abgefahrenen Test mit dem autonomen Auto von Sony möglich; es wurde von Japan aus über 5G gelenkt.

Eine „Stadt“ mit Kreisverkehr, Zebrastriefen, Kreuzungen und Ampeln

Das autonome Fahren braucht Daten in Echtzeit – und zwar sehr viel davon: rund fünf Gigabyte pro Minute. Das fahrerlose Fahrzeug ist wie ein Smartphone auf Rädern. Es kommuniziert mit anderen Autos, Bussen und Lkws, mit den Ampeln und mit lokalen Clouds, um etwa vor Nebel oder Baustellen gewarnt zu sein. Es kann auch „um die Ecke gucken“, wo seine Kameras, Lidar- und Radarsensoren nicht hinkommen. Nahende Fußgänger werden zum Beispiel am Signal ihres Handys erkannt.

Der innerstädtische Verkehr ist die Königsdisziplin: „Hier gelten ganz viele Regeln. Es gibt mehrere Spuren, Ampeln, schnellere und langsamere Fahrzeuge und unterschiedliche Verkehrsteilnehmer“, zählt Lesemann auf. Damit die fahrenden Roboter diese unübersichtliche Situation einüben, bauen ihnen die Mobilitätsforscher der RWTH Aachen hier eine urbane Umgebung nach: Kreisverkehr, Zebrastreifen, drei verschiedene Kreuzungen mit unterschiedlich gesteuerten Ampeln und Betonmauern, die für die Sensoren der Autos wie echte Häuser wirken. Echte Menschen und Tiere laufen aber selten durch die Geisterstadt: „Wir testen mit Dummys“, sagt Lesemann.

Minibusse auf festen Routen starten das neue Zeitalter

Und wann werden die ersten Fahrzeuge wirklich fahrerlos auf der Straße unterwegs sein? „Es wird seit vielen Jahren gesagt, es dauert noch zehn Jahre“, schmunzelt der Ingenieur, der auch an der RWTH Aachen forscht. Als Erste werden sich die Minibusse durchsetzen, orakelt er. „Ihr Vorteil ist: Sie haben eine vordefinierte Strecke. Das lässt sich relativ leicht programmieren.“ Auf ATC werden zwar meist Pkws getestet, aber es sei kein Problem, die Technologie auf größere Fahrzeuge zu übertragen.

„Die Technik zu beherrschen, ist das eine, aber es braucht auch die Akzeptanz und die Klärung der rechtlichen Fragen“, meint Lesemann. Und auch die Straßeninfrastruktur müsste viel besser werden.

Einer aktuellen Studie im Auftrag des ADAC zufolge werde erst nach 2040 eine größere Anzahl voll autonomer Fahrzeuge unterwegs sein. 2050 werden, so die Prognose, 70 Prozent der Neufahrzeuge auf den Autobahnen vom Computer gefahren.

Robo-Busse im Westen

Hier rollt die mobile Zukunft heran: In Iserlohn fahren inzwischen autonome Busse im Probebetrieb, zwischen Bahnhof und Fachhochschule.
Hier rollt die mobile Zukunft heran: In Iserlohn fahren inzwischen autonome Busse im Probebetrieb, zwischen Bahnhof und Fachhochschule. Bild: imago images/Rupert Oberhäuser

Köln. Das autonome Fahren kommt in Fahrt, auch im öffentlichen Nahverkehr: Derzeit gibt es in 37 deutschen Kommunen Projekte mit selbstfahrenden Kleinbussen, zeigt die Innovationskarte vom Verband Deutscher Verkehrsunternehmen in Köln.

Allein in NRW rollen Robo-Busse in vier Städten: Aachen, Iserlohn, Monheim und Soest. Vier weitere Kommunen haben die Projekte abgeschlossen. Die etwas niedlich aussehenden E-Mobile fahren auf festen Routen. Und haben immer noch einen Fahrer an Bord. Der ist bereit einzugreifen, falls plötzlich ein Hindernis auftauchen sollte.

Die Studierenden sind nicht nur Fahrgäste – sie machen auch am Forschungsprojekt mit

Bezahlt wird er für das „hochkonzentrierte Nichtstun“, wie es bei der Stadt Monheim heißt. Hier pendeln die Kleinbusse schon im Regelbetrieb, zwischen dem Bahnhof und der Altstadt. In Iserlohn sind die Shuttles zwischen dem Bahnhof und dem Campus der Fachhochschule Südwestfalen unterwegs: Die Studierenden sind nicht nur Fahrgäste, sondern werden gleich in das Forschungsprojekt eingebunden.

Auch sonst tut sich in Sachen autonomes Fahren landesweit eine ganze Menge: So hat sich rund um den Autozulieferer Aptiv (früher Delphi) in Wuppertal das Cluster Automotiveland nrw gebildet, mit zwei Dutzend Unternehmen, Organisationen und der Universität der Stadt. Das wichtigste Projekt des Clusters ist Bergisch Smart Mobility. Im Städtedreieck zwischen Wuppertal, Solingen und Remscheid werden Sensoren und Algorithmen für hochautomatisiertes oder gar völlig autonomes Fahren unter Realbedingungen geprüft, etwa auf einer Landesstraße bei Wuppertal.

Der autonome Nahverkehr hat viele Vorteile, vor allem auf dem Land: Ältere können so auch ohne eigenes Auto wieder mehr am (mobilen) Leben teilnehmen, Jugendliche kämen sicherer von der Party heim. Zudem ließe sich die Fahrzeit besser nutzen, als nur auf die Fahrbahn zu starren.

Gesetzgeber auf dem Beifahrersitz

Berlin. Seit 2021 hat Deutschland ein Gesetz zum autonomen Fahren und ist damit Vorreiter. „Es ist der erste Staat, der fahrerlose Kfz aus der Forschung in den Alltag holt“, schreibt dazu das Bundesverkehrsministerium (BMVI). Der Gesetzgeber macht so den Weg frei etwa für selbstfahrende Busse auf festen Routen oder autonome Gütertransporte auf einem Firmengelände.

Das Gesetz regelt die Zulassung und die „nachträgliche Aktivierung automatisierter und autonomer Fahrfunktionen“ bei schon zugelassenen Autos. Aber auch die Pflichten der Halter, der Hersteller und der neu geschaffenen Technischen Aufsicht. Es gibt fünf Automatisierungsgrade.

  • Erster Grad: Dazu zählen einzelne, unabhängige Assistenzsysteme wie der Tempomat. Der Fahrer muss den Verkehr ständig im Blick haben.
  • Zweiter Grad: Das Auto kann mehrere Aufgaben gleichzeitig selbst ausführen: Spur halten, bremsen oder beschleunigen. Trotzdem: Laut Gesetz haftet der Fahrer auch in diesem Fall für Verkehrsverstöße und Schäden.
  • Dritter Grad: Hochautomatisiertes Fahren. So kann ein Stau-Assistent selbstständig durch den zähflüssigen Verkehr navigieren: Bis Tempo 60 übernimmt der Autopilot. Der Fahrer darf sich vom Verkehr abwenden, aber nicht schlafen: Er muss im Notfall das Steuer wieder in die Hand nehmen.
  • Vierter Grad: Der Computer übernimmt die Kontrolle auf bestimmten Strecken. Der Fahrer wird zum Passagier und haftet während der voll automatisierten Fahrt nicht für Unfälle.
  • Fünfter Grad: Der Mensch ist schlicht Passagier, es gibt kein Lenkrad und keine Pedale mehr.

Das autonome Fahren soll die Zahl der Unfälle weiter senken. Sie sind laut BMVI zu 90 Prozent durch menschliche Fehler verursacht. Allerdings sind viele Deutsche skeptisch: Nach einer Umfrage der Datenanalysefirma Yougov machen Roboterautos 45 Prozent der Deutschen Angst.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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