Alexander Militsch spielt für sein Leben gern Fußball. Doch seine Ü-40-Herrenmannschaft musste auf den Mittelfeldspieler zuletzt immer häufiger verzichten. „Ich hatte kaum noch Zeit für mein Hobby“, sagt der 52-Jährige. Der Grund: Der Job ging vor. Als Gruppenleiter Logistik gestaltet Militsch beim Familienunternehmen Stüken in Rinteln den Transformationsprozess maßgeblich mit. Ein Mammutprojekt – und eine willkommene Herausforderung für den Routinier, der schon seit 16 Jahren bei Stüken arbeitet.

Beim aktiv-Besuch zeigt Militsch, was man beim globalen Technologieführer für Tiefziehteile unter Transformation versteht. Tiefziehen ist eines der wichtigsten Blechumformverfahren: Dabei wird ein Blechzuschnitt in einer Presse zu einem einseitig geöffneten Hohlkörper verarbeitet. Das Verfahren selbst wird von Stüken permanent weiterentwickelt. Gewandelt hat sich auch die Produktionsumgebung. Und zwar massiv!

„Wir produzieren 1.200 verschiedene Artikel – einige 30 Millionen Mal am Tag."

Dr. Uwe Krismann, Sprecher der Geschäftsführung

Heute gehe es in der Fertigung um Vernetzung, datengetriebene Verknüpfungen und das Internet der Dinge, sagt Militsch. In einer modernen Fabrik sprechen nicht mehr nur Menschen miteinander, sondern auch die Fördertechnik mit fahrerlosen Transportfahrzeugen. Stüken hat vor rund zehn Jahren begonnen, seine Produktion immer stärker zu digitalisieren. Heute sind die Rintelner weit vorn.

Mehr Branchen, mehr Innovation, mehr Automation

Stüken stellt Tiefziehteile in riesigen Stückzahlen her. „Wir produzieren 1.200 verschiedene Artikel – einige 30 Millionen Mal pro Tag“, erklärt Geschäftsführer Dr. Uwe Krismann. Ein Erfolgsprodukt – und gleichzeitig das kleinste Stüken-Teil – sind die Widerstandskappen: Montiert als Bauelement, finden sie sich in unzähligen Bereichen der Elektronik im Haus, im Auto und auch in der Raumfahrt wieder. „Unsere Widerstandskappen sind hochanspruchsvoll beschichtet“, sagt Krismann. „Da ist extreme Genauigkeit gefragt. Wir sprechen hier von einer Fehlerquote gemessen in ppm – also Teile pro Million!“ 

Transformation finde bei Stüken auf vier Ebenen statt, erklärt der Geschäftsführer:

  1. Produkt-Portfolio: Den Wandel vom Verbrenner- hin zum E-Auto hat das Unternehmen, das viel für die Automobilindustrie produziert, frühzeitig angenommen. Zunächst ging es für Stüken darum, neue Abnehmerbranchen zu gewinnen. Neben der Elektro- ist heute unter anderem die Medizintechnik ein immer wichtigerer Partner. Auch die boomende E-Bike-Branche, die Hausgeräte- und Haustechnik sind für den Massenhersteller als interessante neue Abnehmer hinzugekommen.
  2. Entwicklungs-Kompetenz: Zentral für den Erfolg einer Transformation sind auch Forschung und Entwicklung. Sein Unternehmen habe immer proaktiv Innovationen geschaffen, sagt Geschäftsführer Krismann: „Wir waren nie die Getriebenen.“ Ein Beispiel: Weltweit sind die Niedersachsen einer der wenigen Tiefzieher, die sich an den Werkstoff Titan herantrauen – ein Material, das eigentlich als nicht tiefziehfähig gilt. Stüken hatte den Mut und ist inzwischen auf gutem Wege, seine Kompetenz in der Medizintechnik und in anderen Branchen erfolgreich einzusetzen.
  3. Energie-Mix: Im Wandel ist bei Stüken auch der Umgang mit Strom und Gas. Wo immer möglich, spare man Energie, setze sie effizienter ein oder erzeuge sie selbst, sagt Krismann. „Das hat bislang eine Verbesserung von 15 bis 20 Prozent gebracht.“
  4. Automatisierung: Die vierte – und für Besucher besonders eindrucksvolle – Ebene ist die automatisierte Produktion. Hier fahren fahrerlose Transportfahrzeuge, wie von Geisterhand gesteuert. Begegnen sie einem Mitarbeiter, bremsen sie ab und setzen anschließend ihre Dienstfahrt fort. Die Selbstfahrer transportieren Körbe mit Teilen über Strecken von bis zu 150 Metern und docken sie an sogenannten Bahnhöfen an, von denen jeder Fertigungsschritt einen besitzt. Über Fördertechnik rollen die Körbe anschließend ins Lager. Von dort aus werden sie vom System angefordert und anschließend mit Hilfe von Robotern für die Auslieferung an die Kunden vorbereitet. Insgesamt gibt es 75.000 dieser Lagerplätze!

Behälter schleppen? Das übernehmen heute die Roboter

Und wie fühlen sich die Menschen in dieser automatisierten Fertigungswelt? Alexander Militsch strahlt, wenn er sich in seiner supermodernen Fabrik umschaut. Rund 25 Millionen Euro habe der Betrieb in die Erneuerung investiert, sagt er anerkennend. Die Kollegen seien froh darüber. Schließlich bringe die neue Technik auch ergonomische Vorteile. „Früher mussten Menschen die schweren Behälter heben, das ist nun vorbei“, sagt Militsch.

Transformation wird bei Stüken auch an den Besprechungsinseln sichtbar, die mitten in der Produktionshalle stehen. Die Mitarbeiter der unterschiedlichen Fertigungsabschnitte stehen auch untereinander in einem Lieferanten-Kunden-Verhältnis – und das verlangt nach Koordination. Das Besondere an dem seit vielen Jahren bei Stüken gelebten Konzept des Shopfloor Managements ist, dass Beschäftigte unterschiedlicher Bereiche sich direkt am Ort der Wertschöpfung zu Besprechungen treffen.

Zurück zu Alexander Militsch: Er hat vor Jahren Kfz-Mechniker gelernt. Nach einem Arbeitsunfall schulte er zum Kaufmann für Spedition und Logistikdienstleistungen um, kam 2008 zu Stüken. „Heute bin ich dankbar, dass man mir die Chance gegeben hat, an den vielen Veränderungen mitzuwirken“, sagt er. Seine Familie habe dafür oft zurückgesteckt, auch die Fußballkameraden mussten mal alleine kicken. „Veränderung macht Arbeit, klar. Aber sie macht auch unglaublich viel Spaß!“  

    Das Unternehmen Stüken

    • Die Geschichte des Familienunternehmens reicht zurück bis ins Jahr 1931. Damals machte sich Hubert Stüken in Wuppertal selbstständig.
    • Die ersten Produkte: Automaten zum Zusammensetzen von Knöpfen und Rädern für Spielzeugautos.
    • Heute ist Stüken Weltmarktführer für Tiefziehteile, Stanzteile und Baugruppen mit weltweit rund 1.300 Mitarbeitern an Produktionsstandorten in Rinteln, Tschechien, den USA und China.
    Werner Fricke
    Autor

    Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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