Es rumst ordentlich, wenn der mächtige Bär, wie der Fallblock auch genannt wird, auf das Untergesenk fällt. Mit wenigen Schlägen wird der glühende Rohling zu einer bis zu acht Kilogramm schweren Pleuelstange geformt. Bei den gewaltigen Kräften, die da wirken, erstaunt schon, dass fertige Teile für Pkws gerade mal um plus/minus fünf Gramm vom geforderten Gewicht abweichen – mit dieser Genauigkeit ist das Unternehmen oso precision weltweit ganz vorn.
Pleuelstangen für Pkws und Lkws sind ein Renner – noch
Das sind harte Jobs, mit denen in der Plettenberger Gesenkschmiede die Pleuelstangen für Pkws und Lkws produziert werden. Sechs der zwölf Hammerlinien sind mittlerweile vollautomatisiert, Roboter übernehmen die Arbeit vom Erwärmen bis hin zum Entgraten. Es ist ein Weg, die Produktivität zu steigern und damit ein wichtiger Schritt, die Zukunft zu gestalten.
Die ist herausfordernd für den Betrieb, der seit 1905 Pleuelstangen schmiedet. Bis zu 30 Millionen wurden früher jährlich produziert. Ohne sie läuft nichts im Verbrennungsmotor. In der E-Mobilität sind sie überflüssig. Das ist ein Problem. Von einem Auslaufprodukt möchte man in Plettenberg trotzdem nicht sprechen. Aktuell ist die Nachfrage sogar groß: „Wir sind voll ausgelastet und könnten mehr liefern, als wir schaffen“, sagt Marc Schneider, seit 2009 im Unternehmen. „Der Verbrenner wird Bestand haben. Vielleicht nicht mehr so groß, aber er bleibt.“
Darauf verlässt man sich aber nicht, Transformation ist ein großes Thema. Schneider hat gemeinsam mit seinen Geschäftsführerkollegen Moustafa Oualkadi und Michael Ostermann im November 2022 die Gesenkschmiede in einem Management-Buy-out gekauft. Für die Frauenthal-Gruppe, seit 2017 Eigentümer des 1864 von Friedrich Brockhaus gegründeten Unternehmens, habe sich der Markt nicht so entwickelt wie erwartet. Die drei neuen Gesellschafter sehen sich als Mittelständler, blicken anders darauf. „Wir glauben daran, etwas bewegen zu können“, sagt Schneider.
Inhabergeführter Mittelstand
Die Umbenennung von Frauenthal Powertrain in oso precision im April ist da nur ein äußeres Zeichen. Zusammengesetzt aus den Anfangsbuchstaben der drei Gesellschafternamen verweist oso auf ein jetzt wieder inhabergeführtes Werk und stellt gleichzeitig – oso ist das spanische Wort für Bär - einen Bezug zur Schmiede her.
„Wir wollen eine Schmiede bleiben.“ Das war 2019 das klare Ergebnis eines Strategieworkshops, so Schneider. Dafür sind Umstrukturierungen nötig. So beschäftigt sich seitdem ein Innovation Lab unter einem anerkannten Schmiedeexperten mit Märkten und neuen Produkten. Zehn Kernprodukte wurden ausgewählt, mit denen oso precision in die Zukunft gehen will. Nach und nach kommen sie auf den Markt: Verbindungselemente, Lenkungsteile für Lkws, Komponenten für den Maschinenbau. Die Pleuelstangen – 120 verschiedene laufen regelmäßig in der Schmiede – werden bleiben, aber eine kleinere Rolle spielen. Noch machen sie für Pkws 56 Prozent und für Lkws 36 Prozent der Gesamtproduktion aus. 2030 sollen es 15 Prozent bei den Pkw-Komponenten und 40 Prozent bei den Lkws sein - und 45 Prozent sonstige Schmiedeteile.
In der Prüftechnik setzt man unter anderem auf KI
Die Zeichen, dass es klappt, stehen gut. Die USA wurden als Zielmarkt ausgemacht, dort wurde eine Vertriebsgesellschaft gegründet. „Die Präsenz trägt jetzt Früchte“, erklärt Schneider. Erste große Aufträge konnten gewonnen werden.
Stützen kann sich oso precision bei der Transformation auf die Kompetenzen und das Know-how der 370 Mitarbeiter. Allein der Werkzeugbau ist mit rund 40 Mitarbeitern sehr gut aufgestellt, kann flexibel auf Kundenwünsche reagieren und soll seine Fähigkeiten zukünftig auch nach außen hin anbieten.
In der Prüftechnik, unerlässlich für den hohen Präzisionsanspruch, setzt man unter anderem auf künstliche Intelligenz, war mit selbst entwickelten optischen Prüfanlagen Pionier in dem Bereich und hat sich einen Technologievorsprung gesichert.
Flexibel und nah an den Mitarbeitern
Mit neuen Produkten in bestehende Märkte einzusteigen, erfordert dennoch viel Vorbereitung. Mancher Mitarbeiter hätte sich schnellere Ergebnisse gewünscht. Viele intensive Gespräche haben die neuen Eigentümer bei der Übernahme des Unternehmens geführt.
Die Vorteile werden jetzt sichtbar: Nicht mehr vom Aufsichtsrat abzuhängen, sondern schneller und flexibler reagieren zu können, hilft in der Transformation. Das überzeugt. Key Account Manager Julian Hageböck beschreibt es so: „Es ist ein Ruck durch die Mitarbeiter gegangen. Die Entscheider sind nicht mehr weit weg, sondern sitzen jetzt hier. Alle Chefs sind zu sehen und ansprechbar.“
„Wir wollen zeigen: Ihr liegt uns am Herzen“, sagt Schneider. Dazu gehört die wöchentliche Information über wichtige Themen ebenso wie das firmeneigene Fitnessstudio „Hammerstark“. Bei oso precision ist viel in Bewegung.
Begegnung mit Tim Pohl: Entspannt wieder aufgetaucht
Nach einem Jahr Elternzeit ist Tim Pohl zurück in der Prozesstechnik.
Tim Pohl hat sich 2022 in die Elternzeit verabschiedet, bei Frauenthal Power- train. Im Mai 2023 ist er bei oso precision als Projektleiter Prozesstechnik wieder eingestiegen. Vom Wandel dazwischen hat er wenig mitbekommen - der 32-Jährige war mit Frau und Sohn in Südostasien unterwegs. Ein Jahr reiste er durch Thailand, Indonesien, Vietnam und Singapur. Genoss die Familienzeit, die andere Kultur, das Abenteuer - und tauchte ab. Der Plettenberger entdeckte das Freediving für sich. Mit einem Atemzug ohne Geräte in die Tiefe: „Der Puls sinkt, der Körper ist komplett tiefenentspannt.“ 35 Meter hat er geschafft, in zweieinhalb Minuten.
Es ist eine der Erfahrungen, die ihn weiter gebracht haben. „Es verändert einen“, sagt Pohl über die Auszeit: „Man hinterfragt mehr.“ Und nimmt die Wertschätzung der Kollegen anders wahr: „Gerade nach der Elternzeit ist das ein antreibender Faktor. Es ist ein gutes Gefühl.“ Eingewöhnt hat sich Pohl schnell wieder.
Er hat im Betrieb seine Ausbildung zum Mechatroniker gemacht, Ausbilderschein und Elektrotechniker draufgesetzt. Seit 2019 kümmert er sich um die Verbesserung der Betriebsprozesse, um Anpassungen an Produkte, um Automatisierung. Das Auftauchen in der neuen Firmenwelt hat da spannende Aufgaben mit hochgespült.
Nachgefragt
Herr Pohl, wie kamen Sie zu Ihrem Beruf?
Mechatroniker, das Beste aus beiden Welten - so wurde es mir verkauft und es stimmt! Die Spezialisierung Richtung Elektrotechnik kam dann im Nachgang.
Was reizt Sie am meisten?
Die Komplexität und Varianz der Aufgabe, Tagesgeschäft ist eher die Ausnahme.
Worauf kommt es an?
Nie zu stagnieren! Alles ist ein Prozess, das Leben, die Familie und die Berufung.
Die studierte Politikwissenschaftlerin und Journalistin ist für aktiv vor allem im Märkischen Kreis, in Hagen und im Ennepe-Ruhr-Kreis unterwegs und berichtet von da aus den Betrieben und über deren Mitarbeiter. Nach Studium und Volontariat hat sie bei verschiedenen Tageszeitungen gearbeitet und ist seit vielen Jahren als freie Journalistin in der Region bestens vernetzt. Privat ackert und entspannt sie am liebsten in ihrem großen Garten.
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