Aufgereiht wie an einer Perlenkette stehen die Kesselwagen hintereinander – nagelneu und hochglänzend. Jan Marschollek gesteht: „Ich muss mich immer mal wieder kneifen und mir sagen, was für einen coolen Job wir machen.“ Der Betriebsleiter der Waggonbau Graaff GmbH in Elze ist stolz: „Der Anblick der glänzenden Riesen ist das eine, die hohe Qualität der Herstellung das andere.“
Beim Schweißen kommt es auch auf die Atmung an
Wenn er Besucher durch die Fertigungshallen und über das Freigelände führt, vergehen zwei Stunden wie im Flug. „Es gibt bei uns unglaublich viel zu sehen und zu lernen“, erzählt er. Denn der Bau von Chemiekesselwagen nach Kundenwunsch ist eine hochkomplexe Angelegenheit. „Eigentlich sollte man glauben, es handelt sich bei unseren Kesselwagen doch nur um Fässer auf Rädern. Doch dahinter steckt viel, viel mehr.“ Erfahrung, Fingerspitzengefühl, Liebe zum Detail – so umschreibt der 37-Jährige die Arbeit in Fertigung und Konstruktion. „Die Herstellung eines Kesselwagens ist und bleibt sehr viel Handarbeit.“
Und diese Handarbeit macht das Geheimnis der glänzenden Riesen aus. Zwar ist auch bei Graaff schon vieles digitalisiert worden. Doch die Arbeit von erfahrenen Schweißern kann ein Roboter nur bedingt übernehmen. Denn die Facharbeiter bei Graaff sind hochpräzise Metallspezialisten – mit einem Bewusstsein für jedes Detail: Sie achten auf ihre Atmung, damit sie in der Spur bleiben. Und dürfen nicht im falschen Moment mit den Augen blinzeln, sonst laufen sie Gefahr, die Naht nicht exakt zu ziehen. Schließlich müssen sich gute Schweißer auch auf ihr Gehör verlassen, um einen perfekten Job zu machen.
„Unsere Leute ziehen total gut mit“
Betriebsleiter Jan Marschollek
Weil solche Spezialisten rar sind, setzt Graaff verstärkt auf den eigenen Nachwuchs. Das Highlight in der Ausbildungswerkstatt ist ein digitalisierter Schweißtrainer. Der Helm mit 3-D-Brille steht dem Nachwuchs seit Kurzem zur Verfügung. Stimmt die Geschwindigkeit? Ist die Brennerhaltung in Ordnung? Sind alle Einstellungen korrekt? Darauf kommt es an. Und am Ende sind auch hier menschliches Auge und Gehör gefragt. All das lässt sich in der Werkstatt gut digital simulieren. „Wir haben sehr viel Geld in die Ausbildungswerkstatt gesteckt“, sagt Marschollek. Der Betriebsleiter hat mit Waggonbau Graaff noch einiges vor. „Wir gestalten den Wandel“, sagt er. Diesen Prozess will er in enger Abstimmung mit den Mitarbeitern umsetzen. „Jeder einzelne weiß viel mehr über seine Arbeit als wir aus dem Management.“
Bis Ende 2025 ist das Werk voll ausgelastet
Gemeint ist, die hohe handwerkliche Qualität mit einer gesteigerten Produktivität zu kombinieren. Denn Abstriche an der Zuverlässigkeit der Kesselwagen darf es nicht geben. Auch Liefertreue und Service müssen stimmen. Allerdings gilt es, die Kosten stärker in den Fokus zu nehmen. Dazu will Marschollek zusammen mit dem Graaff-Team den Materialfluss und die Prozesse optimieren. „Veränderungen finden in jedem Unternehmen statt, aber bei uns gerade ganz massiv“, sagt er. Das Wichtigste dabei sei, alle mitzunehmen. „Wir investieren aktuell so viel wie nie in eine stabile Infrastruktur, um den Produktionsprozess zu stabilisieren. Unsere Leute sind voller Optimismus. Sie ziehen total gut mit.“
Bis Ende 2025 sind sie voll ausgelastet. Zwei Kesselwagen pro Tag verlassen im Schnitt die Fertigungslinien. Die Graaff-Konstrukteure entwickeln viele Modelle am Standort komplett selbst. „Wir können so ganz individuell auf Kundenwünsche eingehen“, sagt Marschollek. Das größte Zukunftspotenzial böten aktuell die neuen Ladegüter, die mit der Energiewende einhergehen. „Das ist ein spannender Bereich und eine Aufgabe für uns hier am Standort Elze.“

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.
Alle Beiträge des Autors