Gütersloh. Die schnelle Entwicklung des Corona-Impfstoffs machte Uğur Şahin und sein Unternehmen Biontech mit Sitz in Mainz berühmt. Neue Krebstherapien aber will der Mediziner jetzt in Großbritannien testen, weil es dort rascher geht. Der Leverkusener Chemiekonzern Bayer wiederum setzt bei Krebs auf neue Labore in Boston (USA), einen der weltweit innovativsten Standorte für Pharmaforschung.
Die Beispiele zeigen: Der Forschungsstandort D fällt zurück. Und das nicht nur bei der Arzneientwicklung, berichtet eine aktuelle Studie der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh. Senior Project Manager Armando García Schmidt warnt: „Immer mehr Firmen ziehen sich aus dem aktiven Innovationsgeschehen zurück! Das ist ein Alarmsignal!“
Erfinderische Unternehmen schaffen mehr Jobs
Das gefährde auf die Dauer unseren Wohlstand, so García Schmidt. Denn innovative Unternehmen erzielen höhere Gewinne und schaffen mehr Arbeitsplätze. In den vergangenen drei Jahren aber ist der Anteil hoch innovativer Firmen von 25 auf 19 Prozent geschrumpft. Zugleich stieg der Anteil der Firmen, die nicht aktiv nach Neuerungen suchen, von 27 auf 38 Prozent! Für ihre Studie haben die Forscher 1.000 Unternehmen zu 32 Kriterien befragt.
164 der 500 innovativsten Unternehmen haben ihren Sitz in den USA
Eine Untersuchung der Beraterfirma EY bestätigt den Trend. Danach steigen die Forschungsausgaben in Europa und Asien schwächer als in Nordamerika. Von den 500 innovativsten Firmen der Welt sind 164 aus den USA, 98 aus Japan, 38 aus China, aber nur 29 aus Deutschland.
Wie stehen bei Innovationen wichtige Branchen da? Vier Beispiele:
- Informationstechnik. US-Konzerne sind hier die Platzhirsche. 2022 reichten sie beim Patentamt auf vier wichtigen IT-Gebieten 14 bis 25 Prozent mehr Patente ein als im Jahr zuvor. Deutsche Firmen meldeten überall weniger an als zuvor. Patentamt-Präsidentin Eva Schewior: „Wenn wir bei digitalen Schlüsseltechnologien den Anschluss verlieren, wird die Innovationskraft in allen Branchen leiden.“
- Autohersteller. VW, BMW und Daimler holten sich beim umfassenden Innovationsranking des renommierten CAM-Instituts für 2019 bis 2021 die Medaillenplätze. Auf Rang vier folgte Tesla, und unter den Top Ten waren drei chinesische Firmen. Im Ranking speziell für die E-Mobilität rangieren VW, Daimler, BMW aber auf den Plätzen zwei, vier und zehn.
- Pharma-Industrie. Der Standort D fällt bei klinischen Studien zurück. War er 2016 noch mit 641 Studien global die Nummer zwei, reichten 589 Untersuchungen 2021 nur noch für Platz sechs. Aufs Treppchen kamen die USA, China und Spanien.
- Medizintechnik. Deutschland ist hier bei den Patenten die Nummer zwei hinter den USA. Ein Drittel ihres Umsatzes erzielen deutsche Firmen mit innovativen Produkten.
Wie die Forschung wieder ankurbeln? Kleine und mittlere Firmen benötigen dafür mehr Fachkräfte, so García. „Da hilft verstärkte Zuwanderung.“ Zudem brauchten die Betriebe klare Signale der Politik, welche Technologien in Zukunft gefordert sind. Damit sie sich ausrichten können. „Wir müssen aufpassen, dass die Erosion nicht weitergeht!“
Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.
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