Chaos bei der Terminvergabe fürs Impfen, veraltete Technik in Gesundheitsämtern und eine nahezu nutzlose Corona-Warn-App: Die Pandemie legt Schwachstellen und Planungsfehler im Gesundheitswesen schonungslos offen.

Längst wissen wir: Infektionsketten frühzeitig zu unterbrechen, ist extrem wichtig im Kampf gegen Corona. Viele Gesundheitsämter aber hantieren noch immer mit Excel-Tabellen oder selbst gestrickter Software. Dabei gibt es eine leistungsfähige Software für genau solche Einsatzzwecke: „Sormas“, entwickelt vom Braunschweiger Helmholtz-Zentrum.

Spezial-Software im Gesundheitsamt kaum genutzt

Sormas führt Mitarbeiter durch die Arbeitsschritte, übernimmt Laborergebnisse digital, visualisiert Infektionsketten auf Karten, vernetzt die Ämter miteinander und unterstützt die Datenübermittlung an Landesbehörden.

In Afrika hat sich das Tool im Kampf gegen Ebola und Lassafieber schon bewährt. Frankreich und die Schweiz setzen auf Sormas zur Corona-Bekämpfung.

In Deutschland dagegen vertraut man augenscheinlich vielerorts lieber aufs gute alte Faxgerät. Zwar haben zwei Drittel der 375 Gesundheitsämter die kostenlose Software installiert. Aber laut einer Umfrage wird sie nur in 84 Behörden eingesetzt. Unverständlich!

Corona-App hat ein Manko – übergroßen Datenschutz

Digital gegen die Pandemie, aber Deutschland macht nicht richtig mit – das gilt auch für die Corona-Warn-App. Das Tool ist geradezu zu einem Symbol für Deutschlands Handlungsunfähigkeit geworden.

Zuerst dauerte es eine halbe Ewigkeit, bis die App endlich zum Download stand. Und seit es sie gibt, ist sie vor allem: ein zahnloser Tiger, an die Leine gelegt durch überstrengen Datenschutz.

Zusätzlich sabotiert wird der Nutzen der App vom Unwillen großer Teile der Bevölkerung, das Tool überhaupt richtig zu nutzen. Von den 410.000 Nutzern, die seit September an Corona erkrankten, teilten 41 Prozent ihr Testergebnis nicht mit.

Bitkom-Präsident Achim Berg plädiert daher für eine automatische Warnmeldung. Leisten könnte die App das problemlos. Sie darf es aber bislang nicht. Und: Nur 30 Prozent der Bundesbürger haben die vom Softwarekonzern SAP entwickelte App überhaupt installiert. Zum Vergleich: In Finnland sind es 50 Prozent.

Die elektronische Patientenakte kommt mit Jahren Verspätung

Auch die Kommunikation zwischen Kliniken und Arztpraxen läuft zumeist noch per Telefon, Fax oder gar Brief. Die elektronische Patientenakte (ePA) soll da jetzt die Digitalisierung anschieben.

Die Idee entstand bereits im Jahr 2003. Jetzt, vier Gesundheitsminister später, nach langem Verhandlungs-Hin-und-Her und technischen Pannen, ist die digitale Akte endlich da – aber bloß im Probebetrieb in ausgewählten Praxen in Berlin und der Region Westfalen-Lippe.

Bis Juli sollen 200.000 Ärzte, Apotheker und Krankenhäuser angeschlossen sein. Und so Zugriff auf Arzneipläne, Blutwerte, Röntgenbilder, Notfalldaten eines Menschen haben. Die Daten werden zentral gespeichert, verschlüsselt übertragen, sind nur mit Pin zugänglich. Und die Teilnahme ist freiwillig.

Trotzdem gibt es Kritik vom Bundesbeauftragten für Datenschutz, Ulrich Kelber. Denn Versicherte können erst ab 2022 bestimmen, welcher Arzt welche Daten einsehen darf. 

aktiv-Themen-Special: Reformstau

Als starker Industriestandort mit vielen Weltmarktführern ist Deutschland an Erfolge gewöhnt. Und auch etwas verwöhnt – das führt zu Bequemlichkeit, die wiederum zu Problemen führt. In diesem Themen-Special gibt aktiv einen Überblick darüber, wo es hierzulande so hakt. Bei der Infrastruktur etwa oder der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Gesellschaft: Mit Panne auf der Standspur – so wirkt Deutschland gerade 

Behörden: Massiver Aufholbedarf bei Bildung und Verwaltung 

Verkehr: Bauverzögerungen werden zum Standortproblem

Psychologie: Sind wir zu satt, um uns mehr anzustrengen? 

Hans Joachim Wolter
aktiv-Redakteur

Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.

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