Herr Frädrich, wir galten mal als supereffiziente Organisationsweltmeister. Was ist bloß los mit uns?

Im Kern geht es um den Unterschied zwischen Effizienz und Effektivität. Effizienz heißt, die Dinge möglichst perfekt machen. Darin sind wir Deutsche gut. Wir bauen die besten Verbrennermotoren, werden weltweit beneidet um unsere Ingenieurskunst. In Extremsituationen wie beispielsweise der aktuellen Pandemie aber braucht es was anderes: Effektivität.

Erklären Sie das bitte …

Effektivität heißt: die richtigen Dinge tun. Schnell, auch spontan. Man muss dafür bereit sein, Regeln auch mal zu brechen, etablierte Wege zu verlassen, Neues auszuprobieren. Und das ist sicher nicht so unsere Stärke.

Woran liegt das? Warum haben wir etwa bei der Digitalisierung so viel verpennt?

Eigentlich ist das etwas sehr Menschliches. Wenn ein System gut funktioniert, gibt es ja erst mal keinen echten Grund, daran etwas zu ändern.

Bis es nicht mehr geht?

Bis der Druck so groß wird, dass man was ändern muss! Insofern könnten zum Beispiel die durch Corona aufgedeckten Defizite so etwas sein wie ein großer Weckruf. Ich bin optimistisch, dass wir den hören.

Sind wir vielleicht einfach zu bequem?

Die meisten Menschen bleiben ganz gern in ihrer Komfortzone. Das liegt an neuronalen Netzen, an bestimmten Verhaltensweisen, die wir uns beigebracht haben. Jetzt aber quasi mit dem Zeigefinger auf die Defizite zu zeigen, bringt uns ja auch nicht viel weiter.

Sie glauben, wir sind zu negativ?

Zumindest ist die Dauernörgelei sicher auch typisch deutsch. Natürlich merken wir gerade, dass uns etwa eine bessere digitale Infrastruktur in Corona-Zeiten gutgetan hätte. Aber wollen wir deshalb ein System wie in China haben, bloß weil die da alle so herrlich digital ticken? Also, ich zumindest nicht.

Mit „weiter so“ ist es nicht getan, oder?

Nein, sicher nicht. Trotzdem: Ich glaube schon, dass so manch anderes Land auch jetzt auf uns schaut und sagt: Leute, motzt mal nicht so viel. Im interantionalen Vergleich schlagt ihr euch noch ganz ordentlich.

aktiv-Themen-Special: Reformstau

Als starker Industriestandort mit vielen Weltmarktführern ist Deutschland an Erfolge gewöhnt. Und auch etwas verwöhnt – das führt zu Bequemlichkeit, die wiederum zu Problemen führt. In diesem Themen-Special gibt aktiv einen Überblick darüber, wo es hierzulande so hakt. Bei der Infrastruktur etwa oder der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

  • Gesellschaft: Mit Panne auf der Standspur – so wirkt Deutschland gerade
  • Gesundheit: Mit Faxgeräten statt mit Software gegen Corona
  • Verkehr: Bauverzögerungen werden zum Standortproblem
  • Behörden: Massiver Aufholbedarf bei Bildung und Verwaltung
Ulrich Halasz
aktiv-Chefreporter

Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher. 

Alle Beiträge des Autors