Behörden, Schulen und Kommunikationsnetze haben eines gemeinsam: Hier kommt die Digitalisierung nur im Schneckentempo voran. Ob Führerschein oder Gewerbeanmeldung – dafür muss Mann oder Frau ins Amt. Übers Netz ordern geht oft nicht.
Behörden sind noch kaum digital
Das Onlinezugangsgesetz von 2017 soll das verbessern, 575 Verwaltungsleistungen bis 2022 digital abrufbar machen. Bei 327 Leistungen ist das laut Innenministerium schon jetzt möglich. Klingt toll. Aber die Wahrheit ist: Möglich ist das zumeist nur in Pilotkommunen. In den meisten Städten heißt es weiter: Nümmerchen ziehen!
Aber nicht nur die Beamten, auch die Bürger mögen’s lieber analog. Beispiel: der digitale Personalausweis. Zwar sind 36 Millionen Persos längst onlinefähig. Genutzt wurden sie 2021 aber nur etwa drei Millionen Mal.
Bei Schulen hinkt die Digitalisierung hinterher
Fehlende Laptops, lahmes Internet und kaum ein Konzept für digitalen Unterricht: Deutschlands Schulen verharren in der Kreidezeit. Dabei gibt es seit 2019 den Digitalpakt Schule. Bund und Länder wollen binnen fünf Jahren 5,5 Milliarden Euro lockermachen für schnelles Internet, Soft- und Hardware. Aber nur ein Fünftel der Summe wurde bisher bewilligt. Weitere 1,6 Milliarden Euro werden jetzt als Soforthilfe nachgeschoben. Höchste Zeit: Mit 0,61 Computern pro 15-jährigem Schüler rangierte Deutschland bei der Pisa-Studie 2018 auf Rang 36 von 78 Ländern.
Glasfasernetz kommt nur langsam voran
Ähnlich schlecht schneidet das Datennetz ab. Beim internationalen Geschwindigkeitstest landete Deutschland im Januar auf Rang 34 – hinter Frankreich, Spanien, Rumänien, Ungarn oder Malta. Gerade abseits der Städte ruckelt das Netz gehörig.
Mitte letzten Jahres hatten nur 4,75 Millionen Haushalte einen Glasfaseranschluss, also 11 Prozent. Ein flächendeckendes Gigabit-Netz, wie es etwa für Industrie 4.0 nötig ist, liegt in weiter Ferne. Dabei stellt die Bundesregierung 11 Milliarden Euro für die Glasfaser-Verlegung bereit. Erst 500 Millionen Euro wurden tatsächlich für Baumaßnahmen ausgegeben.
aktiv-Themen-Special: Reformstau
Als starker Industriestandort mit vielen Weltmarktführern ist Deutschland an Erfolge gewöhnt. Und auch etwas verwöhnt – das führt zu Bequemlichkeit, die wiederum zu Problemen führt. In diesem Themen-Special gibt aktiv einen Überblick darüber, wo es hierzulande so hakt. Bei der Infrastruktur etwa oder der Digitalisierung im Gesundheitswesen.
- Gesellschaft: Mit Panne auf der Standspur – so wirkt Deutschland gerade
- Gesundheit: Mit Faxgeräten statt mit Software gegen Corona
- Verkehr: Bauverzögerungen werden zum Standortproblem
- Psychologie: Sind wir zu satt, um uns mehr anzustrengen?
Hans Joachim Wolter schreibt bei aktiv vor allem über Klimaschutz, Energiewende, Umwelt, Produktinnovationen sowie die Pharma- und Chemie-Industrie. Der studierte Apotheker und Journalist begann bei der Tageszeitung „Rheinpfalz“ in Ludwigshafen und wechselte dann zu einem Chemie-Fachmagazin in Frankfurt. Wenn er nicht im Internet nach Fakten gräbt, entspannt er bei Jazz-Musik, Fußballübertragungen oder in Kunstausstellungen.
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