Der Werbeslogan ist legendär: „Er läuft und läuft und läuft …“ Was Volkswagen einst über das Wirtschaftswunderauto Käfer sagte, gilt ja irgendwie bis heute – für den Industriestaat Deutschland, der dank technischer Überlegenheit auf langer Strecke allen davonfährt, kritische Situationen reaktionsschnell meistert und dann souverän weiter seinen Weg hin zu immer neuen Zielen verfolgt.

Oder muss man besser sagen: Es galt? Zwar haben wir immer noch ordentlich Power unter der Haube, vor allem in Form von starken Betrieben und fitten Mitarbeitern. Aber trotzdem fühlt es sich derzeit so an, als wäre Deutschland rechts rangefahren. Andere ziehen lässig hupend an uns vorbei.

Wenn alte Rechnervor sich hin ruckeln

Bedrückendes Beispiel: In anderen Staaten wird deutlich schneller zum Schutz vor Corona geimpft – in Israel mittlerweile schon im Möbelhaus. Und bei uns? Hängen die Impfwilligen in überlasteten Hotlines fest. Auch Infektionszahlen werden anderswo schneller erfasst und übermittelt. Und dass die digitale Ausstattung der Schulen zum Beispiel in Skandinavien deutlich besser ist, weiß man nicht erst seit dem vielerorts chaotischen Homeschooling.

In Krisenzeiten zeigt sich halt, wo es im Argen liegt. „Es hapert an der technologischen Infrastruktur“, sagt Christos Cabolis. Der Schweizer Ökonom ist verantwortlich für das weltweit renommierte jährliche IMD-Ranking zur digitalen Wettbewerbsfähigkeit. Und da ist Deutschland zuletzt auf Platz 18 unter 63  Ländern gefallen. 2016 lang die Bundesrepublik noch auf Platz 15.

Wer bei mangelnder Infrastruktur nur an Funklöcher im Mobilnetz denkt, hat noch keinen Blick in deutsche Amtsstuben geworfen. Allein 60.000 Rechner mit dem elf Jahre alten Betriebssystem Windows 7 ruckeln nach wie vor in Bundesministerien vor sich hin, davon die Hälfte übrigens im Verteidigungsressort. Die entsprechenden Sicherheitslücken dürften in Peking oder Moskau nicht unbemerkt bleiben. 

Eine Modernisierung der IT-Infrastruktur hat sich der Bund schon vor fünf Jahren auf die To-do-Liste geschrieben. Bis 2025 will man damit durch sein. Keine schöne Perspektive etwa für Selbstständige oder Unternehmer, die aktuell händeringend auf die Auszahlung von Corona-Hilfen warten.  

Wenn Datenleitungen in die Knie gehen

Aber es geht noch langsamer als mit Windows 7. Faxgeräte gehören in vielen Behörden noch immer zum Alltag. Und zwar nicht nur in Gesundheitsämtern. So könnten in vielen Kommunen Architekten Baupläne nicht per Mail einreichen, klagt der Deutsche Beamtenbund. Der Download würde tatsächlich die Datenleitungen von Rathäusern in die Knie zwingen. Schwierig sei es auch mit dem Datenaustausch zwischen Bund, Ländern und Kommunen, weil deren Software häufig nicht kompatibel ist.

Doch der technische Standard staatlicher Stellen ist nicht das einzige Problem. „Zu viele Deutsche kennen sich im digitalen Raum zu wenig aus“,  legt Wettbewerbsforscher Cabolis den Finger in die Wunde. „Da haben die Bildungsmaßnahmen bisher noch nicht genug gebracht.“ Digitale Fähigkeiten, Anwendung neuer Technologien, aber auch Verfügbarkeit elektronischer Lösungen für die Bevölkerung: Überall sehen die Macher des IMD-Rankings Deutschland auf den hinteren Plätzen.

Immerhin: Mit der „Initiative Digitale Bildung“ packt die Bundesregierung dieses Thema groß an. Doch bei der Umsetzung fühlt man sich schon wieder an die Standspur erinnert. „Wir brauchen mehr Geschwindigkeit und weniger Bürokratie“, sagt Achim Berg, Präsident des Digitalverbandes Bitkom. 

Wenn Bürger auf der Bremse stehen

Mehr Einheitlichkeit unter den 16  Bundesländern wäre da sicher kein Nachteil. Auch so ein Punkt, wo Deutschland im Stau steht, im Reformstau. Und das nicht erst seit Corona. Das Gefühl, dass so manches nicht richtig vorangeht, ist leider älter als die Pandemie. Auch die Bürger haben ihren Anteil, wenn sie zum Beispiel beim Ausbau von Infrastruktur gern mal auf der Bremse stehen. Wäre doch schön, wenn es da etwas vorwärtsginge. Und wir das eine oder andere Warndreieck einpacken könnten.

aktiv-Themen-Special: Reformstau

Als starker Industriestandort mit vielen Weltmarktführern ist Deutschland an Erfolge gewöhnt. Und auch etwas verwöhnt – das führt zu Bequemlichkeit, die wiederum zu Problemen führt. In diesem Themen-Special gibt aktiv einen Überblick darüber, wo es hierzulande so hakt. Bei der Infrastruktur etwa oder der Digitalisierung im Gesundheitswesen.

Gesundheit: Mit Faxgeräten statt mit Software gegen Corona 

Behörden: Massiver Aufholbedarf bei Bildung und Verwaltung 

Verkehr: Bauverzögerungen werden zum Standortproblem 

Psychologie: Sind wir zu satt, um uns mehr anzustrengen?  

Thomas Goldau
Redaktionsleiter aktiv

Thomas Goldau schreibt bei aktiv vor allem über Wirtschafts- und Politikthemen. Nach dem Politikstudium an der Gerhard-Mercator-Universität Duisburg und einem Zeitungsvolontariat beim „Offenburger Tageblatt“ hat er bei Tageszeitungen und einem Wirtschaftsmagazin über den Politikbetrieb in Bonn, Berlin und Brüssel berichtet. Privat zieht es den Familienvater regelmäßig mit dem Wohnmobil in die Ferne.

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