Stuttgart. Alles fing an, als sich vor 75 Jahren genau 32 Unternehmer in der Stuttgarter Liederhalle trafen: zur Gründung des Verbands Württembergisch-Badischer Metallindustrieller. Daraus ist einer der bundesweit größten Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektro-Industrie (M+E) geworden: Südwestmetall – mit heute rund 700 Mitgliedsunternehmen und etwa 1.000 weiteren Unternehmen im Schwesterverband USW (Unternehmensverband Südwest). aktiv vermittelt einige Fakten über den Verband und seine Geschichte.​​​​​​

Warum wurde der Verband gegründet?

Deutschland lag nach dem Zweiten Weltkrieg in Trümmern. Doch es herrschte auch Aufbruchsstimmung in Richtung Demokratie. Und es gab viele Fragen zu klären.

Zum Beispiel: Wie sollte man künftig die Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern organisieren? Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften hatten da eine klare Vorstellung: Der Staat sollte sich aus der Lohnfindung möglichst heraushalten und diese den Tarifpartnern überlassen. Dieses Prinzip nennt man „Tarifautonomie“.

Wie ist das genau mit der Tarifautonomie?

In Deutschland regeln Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände die Lohn- und Arbeitsbedingungen weitgehend selbst, ohne den Staat. Und zwar deshalb, weil sie die Gegebenheiten ihrer jeweiligen Branche selbst am besten kennen.

Dahinter steckt auch das Subsidiaritätsprinzip unserer Demokratie: Aufgaben sollen möglichst bürgernah geregelt werden.

Die deutsche Tarifautonomie ist schon im Jahr 1918 erstmals eingeführt worden, im Stinnes-Legien-Abkommen, und nach dem Zweiten Weltkrieg wiederbelebt worden. Sie ist im Grundgesetz festgeschrieben.

Wer sind eigentlich die Vorsitzenden des Verbands?

Die ehrenamtlichen Vorsitzenden sind Unternehmer und Manager, oft waren es bekannte Persönlichkeiten, die später bundesweit wichtige Ämter bei Verbänden übernahmen. Dazu zählen Hanns Martin Schleyer, der auch Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeber- verbände (BDA) und des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) war, Hans Peter Stihl, Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages, Dieter Hundt (er war lange BDA-Präsident), der aktuelle BDA- Präsident Rainer Dulger (zuvor war er Präsident des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall) sowie der heutige Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf.

Warum aber opfern Manager ihre Freizeit fürs Ehrenamt und manchmal nächtelange Verhandlungen? Dieter Hundt sagte einmal über seine Arbeit mit seinem Verhandlungspartner bei der Gewerkschaft IG Metall, dem späteren Arbeitsminister Walter Riester: „Unsere Überschrift hieß: Wir wollen gesellschaftspolitische Lösungen finden.“

Und das könne ein Unternehmer wegen seiner Nähe zum Industriealltag eben besser als Verbandsfunktionäre – so brachte es Jan Stefan Roell auf den Punkt, selbst Südwestmetall-Vorsitzender von 2006 bis 2009: „Das muss jemand sein, der am Morgen gerade per Mail erfahren hat, dass ihm der Auftrag aus Thailand geplatzt ist, den mittags der Personalleiter anruft, dass drei Leute krank geworden sind, und den nachmittags der Produktionsmann wegen eines Maschinencrashs alarmiert.“

Warum ist Baden-Württemberg so oft Pilotbezirk?

Baden-Württemberg ist der größte Industriestandort Deutschlands und einer der wichtigsten in Europa. Die Metall- und Elektro-Industrie ist hier die Schlüsselbranche. Südwestmetall ist der größte unter den regionalen M+E-Verbänden.

Daher werden im Südwesten auch die meisten Pilot-Abschlüsse erzielt: So nennt man wegweisende Tarifverträge, die dann bundesweit übernommen werden – wie zuletzt im November.

Welche besonders wichtigen Tarifverträge sind in Baden-Württemberg entstanden?

Wegweisend für die M+E-Industrie der ganzen Republik war etwa das Pforzheimer Abkommen von 2004: Seitdem können Unternehmen in schwieriger Lage im Einzelfall vom Flächentarifvertrag nach unten abweichen – dafür wird die Sicherung von Arbeitsplätzen vereinbart. Das hat vielfach geholfen, Krisen abzufedern.

Auch der Entgelt-Rahmentarifvertrag (kurz ERA) aus dem Jahr 2003 ist ein Meilenstein der Tarifpolitik. Er machte aus einem verwirrenden Entgeltsystem mit 65 Eingruppierungen ein modernes und gerechtes Vergütungssystem, das nicht mehr zwischen Arbeitern und Angestellten unterscheidet.

2001 haben Südwestmetall und IG Metall den bundesweit ersten Tarifvertrag zur Qualifizierung abgeschlossen. Er schaffte Lösungen, um die Qualifikationen der Mitarbeiter für ihr Aufgabengebiet zu erhalten und zu erweitern.

Tarifpolitik – ist ja klar. Und was tut so ein Verband sonst noch alles?

Die Aufgaben sind vielfältig. Hier ein paar Beispiele: Verbände werden grundsätzlich angehört, wenn die Politik Gesetze macht. Und sie spielen am Arbeitsgericht eine wichtige Rolle: Die Sozialpartner stellen dort ehrenamtliche Richter.

Südwestmetall bietet außerdem Lösungen für die Altersvorsorge der Beschäftigten (dafür gibt es das Versorgungswerk MetallRente).

Der Verband gestaltet die Inhalte der beruflichen Ausbildung mit. Und ist auch sonst in Sachen Bildung aktiv: mit Projekten für Kindergarten, Schule und Hochschule. So bringt Südwestmetall Lehrer und Ausbilder an einen Tisch. Oder sorgt dafür, dass schon Kinder Einblicke in den Industriealltag bekommen – das Beispielfoto rechts entstand beim Unternehmen Werma in Rietheim-Weilheim.

Auch die Transformation ist ein wichtiges Thema für den Arbeitgeberverband: Die Unternehmen bekommen fachliche Unterstützung unter anderem bei der Gestaltung der digitalen Arbeitswelt.

Wie viele Leute arbeiten eigentlich bei Südwestmetall?

Landesweit hat der Verband etwa 260 Mitarbeiter. Zum einen in der Zentrale in Stuttgart (rechts im Bild), wo derzeit auch eine Ausstellung zum Jubiläum zu sehen ist. Zum anderen vor Ort in 13 Bezirksgruppen. Auch in Brüssel gibt es ein Büro.

Die Mitarbeiter sind zum Beispiel Juristen oder Ingenieure, die beraten, vernetzen und Veranstaltungen organisieren, zu Themen wie Arbeitsrecht, Betriebsorganisation, Politik, Soziales – und so fort.

Das ganze Team arbeitet auch für den Schwesterverband, den Unternehmensverband Südwest. Er vertritt die nicht tarifgebundenen Unternehmen.

Warum sind Arbeitgeberverbände derzeit besonders wichtig?

Gerade die massiven aktuellen Probleme wie Corona, Russlands Krieg in der Ukraine und der Fachkräftemangel machen Arbeitgeberverbände unverzichtbar: Sie erarbeiten mit den Gewerkschaften maßgeschneiderte tarifpolitische Lösungen zur Bewältigung der Krisen.

Sie bieten fachkundige Unterstützung bei speziellen Problemen wie Handelsbarrieren oder politischen Unsicherheiten.

Und Verbände wie Südwestmetall begleiten durch den Wandel, der die ganze M+E-Branche prägt: Ob beim Thema Klimaschutz, bei Industrie 4.0 oder bei der Arbeitskultur. Deshalb ist Südwestmetall nicht nur für Unternehmen wichtig, sondern auch für deren Belegschaften.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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