Minden. Ein bequemes Sofa, Sessel, schöne antike Möbel, Radierungen an den Wänden. Die „Plaza“ am Eingang soll heimelig und ein wenig „chillig“ sein. „Chillig“, ja, so sagt es Thomas Heimann. Er ist Ausbildungsleiter bei Wago in Minden. In Zeiten knapper Nachwuchskräfte müsse man mehr bieten als eine gute Bezahlung und viel Technik.

Nach der „Relaxing-Zone“ geht es in die Ausbildungswerkstatt, mit einem Mix aus klassischer Metallbearbeitung und CNC-gesteuerten Maschinen. Ein Ausstellungsraum zeigt, wofür all die Klemmen und die sogenannten Feldbussysteme von Wago gut sind: um Strom und Daten in Energienetzen, Industrieanlagen und Gebäuden zu leiten, zu messen und zu steuern. Bis Ende August wird im neuen Ausbildungszentrum des Herstellers von Verbindungs- und Automatisierungstechnik noch gebaut. Der Betrieb investiert 6 Millionen Euro, um seinen 250 Azubis und dualen Studierenden das Beste zu bieten.

Dank der Energiewende sind die Produkte extrem gefragt

Der Grund für den Neubau: Wago wächst und wächst. 2021 riss das Familienunternehmen (9.000 Mitarbeiter weltweit) zum ersten Mal die Milliardenmarke beim Jahresumsatz. Auch in diesem Jahr erwartet Vorstandsvorsitzender Heiner Lang ein Plus, trotz Corona und Ukraine-Krieg. „Durch die Energiewende, bei der mehr Strom dezentral erzeugt und verteilt wird, und wegen der hohen Investitionen in Gebäudetechnik sind unsere Produkte und Dienstleistungen extrem gefragt.“ Die Firma hat zuletzt die Produktion um ein neues Werk an seinem Stammsitz Minden erweitert. In diesem Jahr investiert es die Rekordsumme von 150 Millionen Euro in ein Logistikzentrum in Thüringen – und eben in das Ausbildungszentrum.

Denn Wachstum braucht neue Mitarbeiter. Jährlich 300 bis 500 mehr, so Lang. „Fachkräfte für bestimmte Tätigkeiten sind dünn gesät, und wir müssen ihnen mehr bieten als Geld, nämlich Sinn und Spaß an der Arbeit.“ Ausbildungsleiter Heimann ergänzt: „Unsere Werkzeugmechaniker für die Spritzgießmaschinen etwa arbeiten mikrometergenau. Solche Leute finden wir nur schwer auf dem Arbeitsmarkt.“

Für viele Bewerber ist die Athmosphäre im Unternehmen wichtig

Mindestens 100 gewerblich-technische und kaufmännische Ausbildungsplätze schreibt Wago jährlich aus. Zurzeit können Mädchen und Jungen wieder zu Berufsorientierungstagen und Praktika ins Haus kommen. Zwei Jahre lang gab es nur virtuelle Veranstaltungen. „Die Zahl der Bewerbungen ist deswegen deutlich zurückgegangen“, sagt Heimann.

Schulte und seine Kollegen Jirko Langemeier und Dominik Löwen, alle im dritten Ausbildungsjahr, haben anderthalb Jahre an der Entwicklung des Berechtigungssystems gearbeitet: Schaltschränke geplant, Software programmiert, viel verdrahtet. Nun soll es im neuen Zentrum an zahlreichen Arbeitsplätzen installiert werden. Marco Deibele, der die Entwicklung betreut hat: „Wir Ausbilder können dann mit einem Ampelsystem aus der Ferne sehen, wo was eingeschaltet wurde, und erweitern somit immens unser Sicherheitskonzept.“

Das Ausbildungszentrum ist aus der Sicht von „Azubi Lucas“ gestaltet, einer Fantasiefigur, die ihren ersten Tag bei Wago verbringt. „Er wird nach und nach herangeführt, soll keine Angst beim Ankommen haben“, schildert Heimann das Konzept. Echte Azubis wurden eingebunden und befragt.

Wohlfühlen: Das Wort fällt in solchen Gesprächen mehrmals – auch bei Bewerbern. „Wir fragen Kandidaten, die oft zwei, drei Zusagen haben, nach welchen Kriterien sie sich für ein Unternehmen entscheiden“, erklärt Heimann. Und siehe da: Die Atmosphäre zählt. Es gebe den Wunsch nach einer „Arbeitswelt, die eine Seele hat“. Daher die chilligen Möbel. So „megahip“ wie bei Google soll es im ostwestfälischen „Klemmen-Valley“ zwar nicht werden. „Aber in der Region findet man kein Ausbildungszentrum mit dieser Ausstattung“, ist sich Heimann sicher. Und kein so vernetztes. Gewerblich-technische und kaufmännische Berufe – alle sollen unter einem Dach an Projekten arbeiten.

Azubis haben einen Chip mit Clou ausgetüftelt

Eines davon: ein benutzerspezifisches Berechtigungssystem für Arbeitsplätze, das von angehenden Elektronikern entwickelt wurde. Mit dem Legic, per Chip, weist sich Maurice Schulte als Azubi im Betrieb aus. Darauf ist sein Lernstand gespeichert. Je nachdem, welche Kompetenzen er erworben hat, darf er verschiedene Dinge einschalten. Anfänger lässt das System nur mit Schutzkleinspannung arbeiten, Fortgeschrittene dürfen auch an Drehstrom ran.

Stark unter Strom

Großer Player: Die rund 9.000 Mitarbeiter weltweit erwirtschafteten letztes Jahr mehr als 1 Milliarde Euro.

Spannendes Geschäft: Wago produziert Klemmen und sogenannte Feldbussysteme. Sie sind dafür da, Strom und Daten in Energienetzen, Industrieanlagen sowie Gebäuden zu leiten, zu messen und zu steuern.

Engagierte Ausbildung: 6 Millionen Euro kostet das Zentrum in Minden.

Matilda Jordanova-Duda
Autorin

Matilda Jordanova-Duda schreibt für aktiv Betriebsreportagen und Mitarbeiterporträts. Ihre Lieblingsthemen sind Innovationen und die Energiewende. Sie hat Journalismus studiert und arbeitet als freie Autorin für mehrere Print- und Online-Medien, war auch schon beim Radio. Privat findet man sie beim Lesen, Stricken oder Heilkräuter-Sammeln.

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