Not macht erfinderisch. Eigentlich logisch, dass gute Ideen eben dann geboren werden, wenn Probleme zu lösen sind. Genau die hat die baden-württembergische Metall- und Elektro-Industrie gerade ja zuhauf. Und das nicht erst seit gestern. Der Boom nach der Finanzkrise 2009 fand 2018 sein Ende. Schon 2019 schwächte sich die Konjunktur ab und brach während der Coronajahre komplett ein. Seitdem hat jede Aussicht auf Erholung und Aufschwung einen jähen Dämpfer erfahren – sei es durch Lieferengpässe, Preissteigerungen bei Rohstoffen und Energie oder durch die allgemein stagnierende Wirtschaft in Deutschland.

Die Unternehmen stehen unter großem Druck

Was noch dazugekommen ist: eine schleppende Weltkonjunktur. Verunsichert durch geopolitische Spannungen und durch Inflation haben Unternehmen und Haushalte weltweit in den vergangenen zwei Jahren ihr Geld zusammengehalten und weniger investiert beziehungsweise konsumiert. Das schlägt sich nun in den Bilanzen der deutschen Industriebetriebe nieder und wird auch noch einige Zeit nachwirken.

Eine Umfrage der Unternehmensberatung Staufen AG aus Köngen unter Industriefirmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz hat ergeben: 89 Prozent der Unternehmen spüren insgesamt einen großen Druck durch die aktuelle Lage! Es ist anzunehmen, dass es im exportorientierten Baden-Württemberg ähnlich aussieht. Die gute Nachricht: Eine klare Mehrheit der Unternehmen betrachtet sich selbst als flexibel und anpassungsfähig, und fast drei Viertel schätzen das hohe Engagement der Beschäftigten. In der Umfrage kristallisierten sich fünf Strategien heraus, mit denen die Betriebe den Widrigkeiten trotzen:

  1. Zuallererst – optimistisch bleiben! Das bedeutet: Nicht nur die Probleme, sondern auch die Chancen sehen. Und davon ausgehend konstruktiv denken und handeln.
  2. Die Kostensteigerungen machen Einsparungen oft unumgänglich. Meistens wird hier bei Betriebskosten, Einkauf und Beschaffung angesetzt, aber auch bei Personal, Marketing, Forschung und Entwicklung.
  3. Wo bisher noch nicht geschehen, versuchen die Betriebe mithilfe von Digitalisierung die Produktivität und Effizienz zu erhöhen – vor allem in den Bereichen Produktion, Vertrieb und Beschaffung.
  4. Durch flache Hierarchien und mehr Agilität lassen sich Prozesse verschlanken und optimieren. Damit einher geht eine größere Eigenverantwortung der Mitarbeiter.
  5. Wenn es gar nicht anders geht, müssen längerfristige strategische Entscheidungen auch mal aufgeschoben werden, damit der Fokus voll auf die aktuellen Probleme gerichtet werden kann.

Aber wie gestalten die Betriebe das konkret in der Praxis? aktiv hat sich umgehört und bei drei M+E-Unternehmen genauer nachgefragt.

„Wir stecken den Kopf nicht in den Sand“

Blanc & Fischer, Oberderdingen, Küchenausstatter

Ein historisch schwacher Markt bescherte der Unternehmensgruppe im vergangenen Jahr einen Umsatzeinbruch von 14,5 Prozent. Wie viele andere auch spürt der Hersteller von Ausstattungen für Privat- und Großküchen die Krise in der Baubranche, die Verunsicherung durch den Ukraine-Krieg und die Folgen der Inflation. Dazu kommen noch Flauten auf großen Märkten wie etwa China. Die Gegenstrategie lautet: Mutig die Weichen stellen für die Zukunft. Das heißt im Kern: Die Kosten durch effizientere Prozesse senken und den Fokus auf die Entwicklung und gezielte Vermarktung innovativer, smarter Produkte richten. Deshalb hat der Konzern seine Aufwendungen für Forschung und Entwicklung trotz allem beibehalten und insgesamt fast genauso viel investiert wie 2022 – weltweit, aber auch am Stammsitz in Oberderdingen. Ein Meilenstein war dabei das größte IT-Infrastrukturprojekt in der bald 100-jährigen Unternehmensgeschichte: Die Umstellung auf eine neue SAP-Software in weiten Teilen des Konzerns.

Auch an anderer Stelle hat Blanc & Fischer den Digitalisierungsturbo gezündet: nämlich mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) quer durch die Unternehmensgruppe. Die ersetzt nun zum Beispiel die interne IT-Hotline – in Form eines digitalen Support-Assistenten mit spezieller Eingabemaske. Texte und Präsentationen einfacher und schneller erstellen können die Beschäftigten außerdem mit dem „Sous-Chef“, einer firmeneigenen KI-Anwendung, die auf ChatGPT basiert. Und auch die Produktion profitiert von KI: In der Qualitätskon­trolle hilft sie, Auffälligkeiten besser zu erkennen. „Dadurch haben wir 85 Prozent weniger Nachprüfungen“, erklärt CEO Eckl.

Ganz ohne Anpassungen bei der Beschäftigung ging es bei der turbulenten Marktlage allerdings leider nicht: Von 8.707 Arbeitsplätzen weltweit Ende 2022 sind im vergangenen Jahr knapp 800 der Krise zum Opfer gefallen. Für dieses Jahr ist Finanzvorstand Heiko Pott nur vorsichtig optimistisch: „Wir rechnen mit einer stabileren Gesamtlage, erwarten aber keine großen Sprünge. Denn positive konjunkturelle Ereignisse sehen wir nicht kommen.“

„Nicht jammern, sondern flexibel agieren“

Hansgrohe, Schiltach, Hersteller von Armaturen und Brausen

Größtmögliche Anpassungsfähigkeit – so lautet das Rezept von Hansgrohe gegen die Krise. Nach zwei guten Jahren gingen 2023 die Auftragseingänge zurück. „Das Geschäftsjahr hat der gesamten Bad- und Sanitärbranche einen Dämpfer versetzt“, erklärt Hans Jürgen Kalmbach, Vorsitzender des Vorstands. Trotzdem ist es dem Unternehmen gelungen, die Durststrecke bislang ohne Kurzarbeit durchzustehen – dank der hohen Flexibilität der Beschäftigten. Sie waren bereit, Arbeitszeiten anzupassen und Zeitkonten zu nutzen.

Auch Jörg Hass, Leiter der Unternehmenskommunikation, ist froh, dass es so gut geklappt hat. „2021 und 2022 haben wir Personal aufgebaut, und die Beschäftigten haben viele Überstunden geleistet“, erzählt er. Als die Nachfrage dann zurückging, konnten die Mitarbeiter diese Überstunden abbauen. Außerdem wurde Zeitarbeit reduziert. Auf diese Weise wurde das Gros der Schwankungen in der Produktion geregelt. Wer wann Freizeitausgleich nahm, haben die Abteilungen für sich organisiert. „Das haben die Führungskräfte gemanagt, da einzelne Bereiche unterschiedlich betroffen waren“, berichtet Hass. „Ganz individuell ist das in der Produktion natürlich nicht machbar, da ja keiner arbeiten kann, wenn die Maschinen stillstehen.“ Das zog sich dann auch durch die nachfolgenden Bereiche: von der Montage über Logistik und Vertrieb bis hin zum Marketing. In der Verwaltung und anderen Bürobereichen wurden freiwerdende Stellen nicht nachbesetzt – etwa wenn Mitarbeiter in Rente gingen oder aus anderen Gründen das Unternehmen verließen. Darüber hinaus musste Hansgrohe auch mit dem Auslaufen von befristeten Verträgen und dem Angebot von Aufhebungsverträgen reagieren.

„Wir senken die Kosten, da machen alle mit“

Automobil-Zulieferer IMS Gear, Donaueschingen, Spezialist für Zahnrad- und Getriebetechnik

Komponenten dieses Unternehmens stecken in vielen Autos: etwa in elektromechanischen Sitzverstellungen und Parkbremsen. Das Unternehmen konnte seinen Umsatz zuletzt zwar um 8 Prozent steigern, aber die Umsatzrendite von 4 Prozent bereitet den Chefs noch Sorgen: Vom Umsatz bleibt zu wenig Gewinn übrig – von jedem Euro nur 4 Cent. „Um weiterhin ausreichend zu investieren, brauchen wir wieder eine höhere Umsatzrendite“, erklärt Bernd Schilling, eines der drei Vorstandsmitglieder. Die Belegschaft hatte es zuletzt gleich mit drei großen Herausforderungen auf einmal zu tun: Mit dem technologischen Mega-Umbruch in der Auto-Industrie. Mit dem Konjunktureinbruch. Und dann noch mit der Inflation – „die Kosten sind in so kurzer Zeit massiv gestiegen, dass es unmöglich war, die Produktivität in gleicher Weise zu steigern“, schildert Schilling.

Im Unternehmen dreht sich deshalb vieles darum, die Kosten zu reduzieren und die Effizienz zu steigern. Ales Starek, ebenfalls im Vorstand, erzählt: „Das ist etwas, mit dem nicht nur wir Vorstände uns befassen. Jeder Einzelne macht mit, zum Beispiel in Projekten. Unsere Mitarbeiter sind sehr motiviert und setzen sich fürs Unternehmen ein.“ Wo möglich, werden Arbeitsschritte automatisiert und der Ausschuss reduziert. Wenn ein Bereich nicht ausgelastet ist, arbeiten die betroffenen Mitarbeiter zuweilen in anderen Units. Auch die Verwaltungsmitarbeiter nehmen ihre Prozesse und Strukturen unter die Lupe: Wo können wir besser, schneller werden?

Weil bestimmte Produkte in Deutschland nicht mehr wettbewerbsfähig hergestellt werden können, baut IMS Gear ein neues Werk in Kroatien auf: „Das brauchen wir auch zur Sicherung der deutschen Standorte“, verdeutlicht Wolfgang Weber, der Dritte im Vorstandsteam. Er glaubt, dass die Planungssicherheit, wie sie vor der Krise herrschte, so schnell nicht mehr zurückkommen wird. „Darauf müssen wir uns dauerhaft einstellen.“ Immerhin: Die hiesige Belegschaft ist zuletzt gleich groß geblieben. 3.200 Leute arbeiten für IMS Gear insgesamt, davon rund 1.700 in Baden-Württemberg.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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