Erst im vergangenen Jahr hatte die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins erhöht, um die Inflation zu bekämpfen. Inzwischen aber denkt sie schon wieder über Zinssenkungen nach. Die Unternehmen würden das begrüßen, weil dadurch Kredite für Investitionen wieder günstiger würden. Aber wäre es nicht riskant für die Preisentwicklung? Darüber sprach aktiv mit Moritz Kraemer, Chef-Volkswirt der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW).
Herr Kraemer, droht uns ein neuer Inflationsschub, wenn die EZB die Zinsen wieder senkt?
Die Inflation ist deutlich auf dem Rückzug, auch dank der Zinspolitik der EZB. Nun kann der Kurs also wieder umschwenken. Bei LBBW Research gehen wir von einer ersten Zinssenkung im Juni aus. Die Preissituation würde auch jetzt schon eine Zinssenkung zulassen, aber die EZB wartet noch ab, wohin sich die Löhne entwickeln.
Was haben denn die Löhne damit zu tun?
Die starken Inflationstreiber wie gerissene Lieferketten oder Kostenexplosionen für Energie sind inzwischen weggefallen, hier besteht also keine Gefahr mehr. Offensichtlich auch nicht von den Rebellen-Angriffen auf Handelsschiffe im Roten Meer, sonst hätten wir das schon gespürt. Als einziger potenzieller Preistreiber bleiben jetzt noch hohe Lohnzuwächse. Denn höhere Lohnkosten müssten die Unternehmen auf die Preise umwälzen, die Produkte würden also teurer. Das würde die Arbeitnehmenden dazu veranlassen, in der nächsten Runde wieder höhere Löhne zu verlangen. Und so schaukelt sich das hoch zur sogenannten Lohn-Preis-Spirale. Wegen dieses Risikos hält die EZB momentan aus Vorsicht an der preisbremsenden Wirkung höherer Zinsen fest.
Aber nach einer hohen Inflation wären hohe Lohnforderungen doch gerechtfertigt?
Einerseits ist es nachvollziehbar, wenn die Beschäftigten erwarten, dass Kaufkraftverluste durch die Hochinflationsphase wieder ausgeglichen werden. Andererseits aber ist zu befürchten, dass durch hohe Lohnsteigerungen eine zweite Inflationswelle losgetreten wird, die dann noch schwieriger einzufangen wäre. Ein Tarifabschluss sollte die Preisstabilität also nicht gefährden.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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