Bremerhaven. Die Löcher in den Gas-Pipelines North Stream 1 und 2 haben im September 2022 die Öffentlichkeit aufgeschreckt. Könnten Saboteure unsere Energieversorgung oder andere kritische Infrastrukturen – kurz KRITIS genannt – mutwillig lahmlegen? Was könnte schlimmstenfalls passieren und wer schützt uns davor und wie? Darüber sprach aktiv mit Frank Sill Torres, dem Leiter des Instituts für den Schutz maritimer Infrastruktur am Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt.
Herr Sill Torres, maritime Infrastruktur klingt erst mal ziemlich abstrakt. Was zählt alles noch dazu außer den bekannten Pipelines durch die Ostsee?
Dazu gehören auch Häfen, Ölplattformen, Off-Shore-Windkraftanlagen, Flüssiggas-Terminals und Untersee-Glasfaserkabel.
Es geht also insbesondere um Transport und Energie. Aber welche Rolle spielen Glasfaserkabel für uns?
Sie sind essenziell für das Internet. Das ist überlebenswichtig, denn ohne Internet könnte ich zum Beispiel kein Geld vom Bankautomaten holen. Das globale Finanzsystem, die Kontrollsysteme für die Energieversorgung und vieles mehr würden zusammenbrechen. Die ganze Welt ist per Glasfaserdatenleitungen verbunden. 95 bis 99 Prozent des weltweiten Internetverkehrs gehen durch Unterseekabel, allein zwischen den USA und Europa verlaufen rund 250 Stück.
Wie real ist die Gefahr, dass Saboteure solche Kabel kappen?
Wer das unbedingt will, kann das machen, denn man kann unmöglich jeden Meter Kabel überwachen. Aber die Saboteure hätten einen gigantischen Aufwand: Die Kabel liegen in bis zu 6.000 Meter Tiefe im Meer. Daher ist ein Anschlag höchst unwahrscheinlich. Zumal die Daten, die durch die Kabel fließen, viel interessanter für Geheimdienste und andere sind als die Kabel selbst.
Angenommen, ein Saboteur würde sich trotzdem die Mühe machen. Was wäre dann?
Wir würden es wahrscheinlich kaum bemerken, da genug andere Kabel da sind, die die Funktion der zerstörten Kabel übernehmen könnten. Hier muss man wissen: Es gibt oft Schäden an Untersee-Kabeln, meist durch Schleppnetze, Anker oder Naturereignisse wie zum Beispiel Seebeben. Pro Jahr wird dadurch weltweit rund 100-mal ein Kabel durchtrennt. Mithilfe von elektrischen Signalen kann man die Stelle finden, mit einem Schiff hinfahren und das Kabel dann innerhalb von Stunden reparieren. Bei Pipelines ist eine Reparatur allerdings bedeutend aufwendiger.
Müssen wir also damit rechnen, auf einmal frierend im Dunkeln zu sitzen?
Wenn einzelne Kraftwerke oder Windparks stillstehen, ist das nicht weiter tragisch. Kritisch wird es erst, wenn ein sehr großer Versorger oder mehrere gleichzeitig ausfallen. Dann kann es zu kürzeren, lokalen Strom- oder Wärmelücken kommen. Flächendeckende Blackouts über längere Zeit sind aber sehr unwahrscheinlich, denn wir sind ja in eine gesamteuropäische Energieinfrastruktur eingebunden. In Sachen Gas sollten wir immer darauf achten, dass unsere Speicher gut gefüllt sind.
Werden wir – in Zeiten von Krieg und internationalen Krisen – wohl öfter mit Sabotage-Akten zu tun haben?
Das ist schwer zu sagen. Fakt ist: In letzter Zeit wurden merkwürdige Ereignisse beobachtet. Zum Beispiel fehlten 2022 in Norwegen plötzlich 4,3 Kilometer Kabel zu einer wichtigen Überwachungsstation. Es schadet also sicher nicht, unsere Infrastruktur möglichst resilient, also widerstandsfähig zu machen.
„Nicht jeder Störfall kann verhindert werden. Deshalb ist es wichtig, schnell reagieren zu können.“
Was bedeutet widerstandsfähig genau?
Im Kern heißt das, mögliche Gefahren vorherzusehen, ihnen zu widerstehen und sich von Störungen schnell erholen zu können. Wir können nicht jeden Meter Pipeline durchgängig auf dem Schirm haben. Also müssen wir – wo dies wirtschaftlich vertretbar ist – Ersatz für beschädigte Komponenten oder Systeme vorhalten oder sie eben schnell reparieren können. Und wir brauchen natürlich auch gute Schutzkonzepte.
Welche Schutzkonzepte gibt es zum Beispiel schon?
Verschiedene Radar- und Sensorsysteme auf Schiffen, Off-Shore-Anlagen oder auch Satelliten informieren laufend darüber, wer auf dem Meer so alles unterwegs ist. Diese Daten müssen nun irgendwo geschützt zusammenlaufen, um ein umfassendes Lagebild zu ergeben. Da müssen natürlich alle Beteiligten, also Betreiber und Behörden, mitspielen.
In unserem Institut haben wir im Projekt MARLIN (Maritime Awareness Realtime Instrumentation Network) die Basis für ein solches Schutzsystem entwickelt und in einem realen Angriffsszenario in einem Hafen getestet. Das System kann Daten aus verschiedenen Quellen zusammenführen: aus Sonarsystemen, von Unterseefahrzeugen, Drohnen und einem Roboter-Wachhund.
Wer kann das System nutzen, sprich: Wer ist eigentlich für den Schutz der Infrastrukturen verantwortlich?
Grundsätzlich ist die zuständige Behörde oder der private Betreiber in der Pflicht. Natürlich hat auch die Bundesregierung ein großes Interesse daran. Bis zwölf Seemeilen vor der Küste unterstützt die jeweilige Landespolizei den Betreiber. In der daran anschließenden ausschließlichen Wirtschaftszone (AWZ), welche sich bis zu 200 Seemeilen erstreckt, ist die Bundespolizei zuständig. Alles darüber hinaus ist Niemandsland, hier übernehmen militärische Partner Schutzaufgaben, zum Beispiel die Nato.
Das von der Bundesregierung geplante neue KRITIS-Dachgesetz möchte die Betreiber stärker in die Pflicht nehmen. Ist das notwendig und richtig?
Auf jeden Fall ist es nicht falsch, obwohl die Betreiber logischerweise ohnehin ein Eigeninteresse daran haben, dass ihre Infrastruktur intakt bleibt und funktioniert. Wenn sie Geld für Schutzsysteme in die Hand nehmen, wollen sie bloß sicher sein, dass dieses Geld sinnvoll investiert ist.
Müssten denn nicht zuerst mal die staatlichen Akteure effektiver arbeiten?
Der Wirrwarr der einzelnen Systeme bei den verschiedenen Behörden und auch zwischen Kommunen, Ländern und Bund ist tatsächlich eine große Herausforderung. Ich bin aber zuversichtlich, dass sie die Integration der Daten hinbekommen.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
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