Die Textil- und Bekleidungsbranche hat ein turbulentes Jahr hinter sich: Gebrochene Lieferketten und explodierende Beschaffungspreise machten den Betrieben enorme Probleme. Zudem steht der klimaneutrale Umbau der Wirtschaft an. aktiv sprach darüber mit Ingeborg Neumann. Sie ist seit 2013 Präsidentin des Gesamtverbands textil+mode.
Wie kaum eine andere Industriebranche sind die Bekleider und der Modehandel von den Lockdown-Maßnahmen betroffen. Wie geht es den Unternehmen im zweiten Corona-Winter?
Die im Dezember beschlossenen Einschränkungen für den Handel verpassen den Bekleidungsherstellern erneut einen schweren Dämpfer. Wir alle wissen: Der Handel ist kein Infektionstreiber – dennoch muss er einmal mehr ausbaden, dass es politisch und beim Impfen auf breiter Front Versäumnisse in der Pandemie-Bekämpfung gab.
Und wie steht es um die Textiler?
Dort haben die Unternehmen mit gebrochenen Lieferketten, Rohstoffengpässen und Preisexplosionen zu kämpfen. Wenn Sie 20-mal mehr für einen Container mit Vorprodukten aus Asien zahlen und alles teurer wird, müssen Sie diese Preissteigerungen eigentlich an ihre Kunden weitergeben. Das können wir aber nicht, weil wir sonst nicht mehr wettbewerbsfähig wären! Schließlich erwirtschaften wir 40 Prozent unserer Umsätze im Export.
„Wir können Wandel, wir können Klimaneutralität! Aber dazu brauchen wir ausreichend grüne Energie zu international wettbewerbsfähigen Preisen”
Das alles wirkt sich vermutlich auch auf die Beschäftigung aus?
Stimmt. Die lag zuletzt um 3,1 Prozent unter dem Wert des Jahres 2020. Bemerkenswert aber ist, dass all unsere Umfragen trotzdem noch einen ungebrochenen Optimismus in der Branche zeigen. Gerade auch in der von Corona so gebeutelten Bekleidungsindustrie. Viele Unternehmer mussten im vergangenen Jahr Umsatzrückgänge von durchschnittlich 20 Prozent wegstecken. Und trotzdem haben viele versucht, die Beschäftigten zu halten, auch mithilfe von Kurzarbeit.
Dazu kommt noch die Sorge, nicht genug junge Fachkräfte zu finden.
Tatsächlich ist der Fachkräftemangel ein Dauerthema. Wir lassen bei den Ausbildungsanstrengungen nicht nach: Die Branche insgesamt bildet pro Jahr rund 2.000 junge Menschen in dualen Ausbildungsberufen aus. Außerdem beschäftigt uns natürlich die Klima- und Energiepolitik.
In diesem Punkt tut sich ja was. Die EEG-Umlage soll laut Koalitionsvertrag ab 2023 wegfallen – auch für die Unternehmen.
Das ist richtig, kompensiert aber nicht unsere nationalen Mehrbelastungen für fossile Energien. Garnhersteller, Textilveredler, Vliesstoffhersteller, wir alle brauchen Energie zur Herstellung unserer Produkte. Solange wir aber nicht ausreichend grünen Strom und grünen Wasserstoff haben, müssen diese Kosten, die unsere internationalen Mitbewerber eben nicht haben, ausgeglichen werden.
Wie gut ist denn die Textil- und Bekleidungsindustrie auf den grünen Umbruch vorbereitet?
Unsere Unternehmen haben ja nicht erst gestern angefangen, sich mit Klimaneutralität und Nachhaltigkeit zu beschäftigen. Sie sind bis weit in viele andere Branchen hinein technologische Problemlöser! Sie stellen hocheffiziente Filter her, die Luft und Wasser reinigen. Mit Textilbeton kann man ressourcenschonend bauen. Viele unserer Firmen entwickeln biobasierte und kreislauffähige Materialien. Wir sind Weltmarktführer bei technischen Textilien, und wir verfügen in Deutschland über eine exzellente Textilforschung. Nach einer Umfrage aus dem letzten Sommer beträgt bei einem guten Fünftel der Unternehmen der Umsatzanteil mit nachhaltigen Produkten bereits über 50 Prozent. Und fast alle Unternehmen planen, ihre nachhaltigen Produktanteile noch weiter auszuweiten.
Könnte dabei die Digitalisierung helfen?
Absolut. Die Digitalisierung eröffnet vielen Betrieben ganz neue Wege – auch bei der Nachhaltigkeit. Allerdings wissen wir aus unseren Umfragen auch, dass diese Umstellung für jeden Mittelständler eine enorme Herausforderung darstellt. Das Tempo ist immens – und das ganze Thema natürlich auch eine Kostenfrage.
Bietet der Koalitionsvertrag da ausreichend Lösungen?
Die neuen Regierungsparteien haben die Problemlagen an vielen Stellen richtig beschrieben, allerdings fehlen oft konkrete Lösungsansätze. Deshalb sagen wir: Auf diesem Vertrag lässt sich durchaus aufbauen. Es kommt jetzt darauf an, wie die Ziele umgesetzt werden.
Starker Textilstandort Deutschland
- 1.285 Unternehmen gehören zur Textil- und Modebranche
- 24,9 Milliarden Euro Umsatz machten sie 2020
- 106.000 Menschen sind in der Branche beschäftigt
Quelle: textil + mode
Anja van Marwick-Ebner ist die aktiv-Expertin für die deutsche Textil- und Bekleidungsindustrie. Sie berichtet vor allem aus deren Betrieben sowie über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach der Ausbildung zur Steuerfachgehilfin studierte sie VWL und volontierte unter anderem bei der „Deutschen Handwerks Zeitung“. Den Weg von ihrem Wohnort Leverkusen zur aktiv-Redaktion in Köln reitet sie am liebsten auf ihrem Steckenpferd: einem E-Bike.
Alle Beiträge der Autorin