Über eine Million Menschen arbeiten in der Südwestindustrie. Die eigentlich starken Wirtschaftszweige befinden sich immer noch in der Talsohle. aktiv hat bei Vertretern der wichtigsten Teilbranchen nachgefragt: Wie stehen die Chancen, bald aus der Krise zu kommen?
Dr. Harald Marquardt
Auto-Industrie: Schon länger im Ausnahmezustand
Corona-Einbruch, Lieferengpässe, Energiekrise, Preisexplosion und Rezession – die Automobil-Zulieferindustrie befindet sich seit 2019 im konjunkturellen Ausnahmezustand. Die Produktion in Deutschland ist selbst in kurzen Aufholphasen kaum gewachsen und fährt der weltweiten Entwicklung der Industrieproduktion immer weiter hinterher. Dazu Dr. Harald Marquardt, Vorsitzender des Vorstands, Marquardt Gruppe:
„Für das laufende Jahr rechne ich insgesamt noch mit einem Minus, bestenfalls mit einer erneuten Seitwärtsbewegung – also mit keiner klaren Tendenz nach unten oder oben. Mit Blick auf 2025 bin ich verhalten optimistisch und rechne damit, dass sich die Stimmung langsam aufhellt. Damit wir aus der Talsohle herausfinden und Boden gutmachen können, ist es allerdings unerlässlich, dass wir alle an einem Strang ziehen. So muss die Politik die Rahmenbedingungen für unseren Standort endlich konsequent verbessern und die richtigen Prioritäten setzen. Zu den Baustellen gehören etwa: weniger Bürokratie, weniger Steuern und Abgaben, kürzere Planungs- und Genehmigungsverfahren.
Die Betriebsparteien und die Sozialpartner können einen Beitrag leisten, indem sie dafür sorgen, dass die Arbeitskosten in einer bereits zu lange anhaltenden konjunkturellen Schwächephase nicht noch weiter steigen. Die Unternehmen unserer Branche, da bin ich mir sicher, werden weiter ihr Bestes geben und an der Transformation und einer besseren Zukunft bauen – weltweit, aber auch an einem wettbewerbsfähigen Standort Deutschland.“
Maschinenbau: Investitionen liegen auf Eis
Die Wirtschaftsflaute trübt auch hier die Stimmung. Nach Angaben des baden-württembergischen Landesverbands deutscher Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) erhöht gerade mal jedes fünfte Unternehmen in diesem Jahr seine Investitionen – und auch nur in kleinem Umfang bis zu 5 Prozent. Viele Investitionsplanungen liegen auf Eis, Umsatz und Beschäftigung stagnieren. 80 Prozent der Betriebe brauchen dringend eine Entlastung bei der Bürokratie, für 60 Prozent sind die Energiekosten zu hoch.
Dr.-Ing. Mathias Kammüller
Dr.-Ing. Mathias Kammüller, Vorsitzender VDMA Baden-Württemberg, sagt: „Dass der Maschinenbau derzeit die von Kurzarbeit am stärksten betroffene Branche in Baden-Württemberg ist, lässt aufhorchen und wird voraussichtlich in den nächsten Monaten anhalten. Wir haben derzeit im internationalen Vergleich keine wettbewerbsfähigen Standortbedingungen. Hinzu kommen ein auffällig schwaches Wirtschaftswachstum und Abwanderungspläne wichtiger Kundenindustrien. Dies schürt, bei aller Treue zum Standort, auch im Maschinen- und Anlagenbau die Debatte um Verlagerungen. Und gerade kleineren Unternehmen, die nicht verlagern können, drohen dadurch Betriebsaufgaben. Wer Arbeitsplätze hier im Land halten und Betriebe für die digitale und klimaneutrale Zukunft gerüstet sehen will, muss Investitionen und Innovationen wirksam fördern, Bürokratie abbauen und Energiekosten begrenzen.“
Elektrotechnik: Geschäfte ziehen kaum an
Ein Mangel an neuen Aufträgen belastet aktuell die Hälfte der Unternehmen der deutschen Elektro- und Digital-Industrie. Angebotsseitige Engpässe wie Arbeitskräftemangel (bei 24 Prozent der Firmen) und Materialknappheit (bei 22 Prozent) werden erst danach genannt. Was die nächsten sechs Monate anbelangt, so erwartet nur jedes fünfte Unternehmen anziehende Geschäfte.
Manuel Geiger
„Das schwache erste Quartal hat bei vielen unserer Mitglieder merklich auf die Stimmung gedrückt“, sagt Manuel Geiger, Geschäftsführer des Branchenverbands ZVEI, Landesstelle Baden-Württemberg. „Die Elektro- und Digital-Industrie ist allerdings eine heterogene Branche, die Lage in den einzelnen Teilbranchen damit unterschiedlich. Unstrittig ist, dass die Herausforderungen vielfältig sind und die konjunkturelle Lage vielen Firmen derzeit Schwierigkeiten macht.“ Umso wichtiger sei es nun, die richtigen Anreize zu setzen: Wirtschaft und Gesellschaft benötigten eine Effizienzwende.
Eng damit verbunden sei die breite Elektrifizierung aller Lebensbereiche. „Die Technologien der Elektro- und Digital-Industrie sind echte ‚Gamechanger‘. Dieses Potenzial kann aber nur zum Tragen kommen, wenn ihr Einsatz auch wirtschaftlich attraktiv ist und wieder mehr auf die kreativen Kräfte der Unternehmen vertraut wird“, so Geiger.
Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.
Alle Beiträge der Autorin