Deutschlands Bildungssystem schneidet im internationalen Vergleich äußerst schwach ab. Das belegt die jüngste Pisa-Studie: Die 15-jährigen Schüler haben nicht nur die schlechtesten Ergebnisse in der Pisa-Historie abgeliefert, sondern sind im Vergleich zu 2018 auch um ein ganzes Schuljahr zurückgefallen. Das ist ein Debakel für die Zukunft der Bundesrepublik und kostet unser Land zudem langfristig hohe Summen an entgangener Wirtschaftsleistung.

Umso erfreulicher, dass es auch positive Phänomene in der heimischen Bildungspolitik gibt – wie etwa das duale Studium. Es verbindet theoretisches Wissen an Hochschulen mit praktischer Erfahrung in Unternehmen und ermöglicht dank der engen Verzahnung zwischen Theorie und Praxis einen reibungslosen Berufseinstieg.

„Inspirierend, lehrreich und anstrengend zugleich“

Leonard Sommer ist einer der Studenten, die ihren Weg in den Job über das duale Studium fanden. Der 21-jährige Hamburger hat im Oktober 2023 an der Technischen Universität Hamburg (TUHH) sein Bachelorstudium Maschinenbau erfolgreich abgeschlossen.

Sein Fazit: „In den drei Studienjahren konnte ich sehr viel theoretisches Wissen an der Uni erwerben, aber auch viele praktische Erfahrungen in Abteilungen meines Kooperationsunternehmens Airbus sammeln. Das war inspirierend, lehrreich und anstrengend zugleich.“ Inzwischen studiert er weiter an der TUHH und ist im ersten Fachsemester seines dualen Masterstudiums Luftfahrttechnik.

TUHH als Pionier

Die TUHH hatte bereits 2003 ein duales Studienangebot eingeführt – das erste an einer technischen Universität in Deutschland. Einer der wichtigsten Partner bei diesem innovativen Vorhaben war damals der Arbeitgeberverband Nordmetall. Das Angebot läuft unter dem Kürzel „dual@TUHH“. Es kombiniert das ingenieurwissenschaftliche Studium mit Praxisphasen während der vorlesungsfreien Zeit. Mehr als 70 Unternehmen aus Norddeutschland nehmen heute teil.

„14 Bachelor- und 24 Masterstudiengänge können bei uns dual studiert werden“, sagt Henning Haschke, Leiter der „dual“-Koordinierungsstelle der TUHH. „Wir haben mit einer Handvoll Studierenden begonnen und sind aktuell bei über 100 Erstsemestern im laufenden Wintersemester angekommen.“

Nordakademie meldet Höchststand an Erstsemestern

Auch die Nordakademie, die Hochschule der Wirtschaft, deren Träger unter anderem Nordmetall ist, bietet seit drei Jahrzehnten in Elmshorn und Hamburg praxisnahe Studiengänge mit exzellenten Rahmenbedingungen und hohen Erfolgsquoten an.

Das hat sich offenbar herumgesprochen. „Wir verzeichnen derzeit einen neuen Höchststand an Erstsemestern“, so Nordakademie-Präsident Professor Stefan Wiedmann. Besonders gefragt seien die Studiengänge Wirtschaftsingenieurwesen, Wirtschaftsinformatik und Betriebswirtschaftslehre.

Auch die noch jungen Studiengänge IT-Engineering und Software Engineering mit Schwerpunkt IT-Sicherheit kommen auf jährliche Wachstumsraten von mehr als 50 Prozent.

Auch Körber-Konzern ist dabei

Zu den norddeutschen Pionieren in Sachen Dualstudium zählt die Körber AG, ein internationaler Technologiekonzern mit Sitz in Hamburg. Silke Busch, Ausbildungsleiterin im Körber-Geschäftsfeld Technologies, berichtet, dass aktuell 64 der rund 140 Azubis in Hamburg ein duales Studium absolvieren.

Seit Jahren arbeitet das Unternehmen eng mit der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) und der Nordakademie zusammen. Silke Busch: „Zurzeit studieren unsere Nachwuchskräfte in den klassischen Bereichen Wirtschaftsinformatik, Wirtschaftsingenieurwesen, Elektrotechnik und Maschinenbau.“

Vorteile für Unternehmen und Beschäftigte

Einen wichtigen Aspekt des Dualstudiums sieht sie in der Verzahnung zwischen Studium und Ausbildung. „Wir lernen unsere künftigen Fachkräfte früh kennen und fördern gezielt ihre Entwicklung. Zudem können wir das Studium in Kooperation mit den Hochschulen mitgestalten, und last but not least finden alle Studierenden schon sehr früh ihren persönlichen Platz bei uns.“

Die Nähe zu den künftigen Kollegen schätzt auch Maximilian Arndt, Ausbildungsleiter des Spezialmaschinenbauers Getriebebau Nord. Das Unternehmen entwickelt und fertigt Antriebslösungen für mehr als 100 Branchen.

Enge Zusammenarbeit zwischen Betrieben und Hochschulen

Am Stammsitz in Bargteheide lernen derzeit rund 80 Auszubildende, darunter Dualstudierende in den Fachrichtungen Wirtschaftsinformatik, angewandte und technische Informatik, Mechatronik, Elektrotechnik, Maschinenbau und Wirtschaftsingenieurwesen.

„Für uns bietet sich die Chance, junge motivierte Leute zu bekommen, die wir so ausbilden können, wie wir es benötigen“, sagt Arndt. Sein Unternehmen arbeitet eng mit der TUHH, der Nordakademie und der HAW zusammen.

Diverse Vorteile für die Studierenden

Ähnlich bewertet Torsten Schröder, HR-Manager in der Berufsausbildung des Lübecker Medizin- und Sicherheitstechnik-Spezialisten Dräger, das duale Studium. Vor allem, wenn es darum geht, Studierende frühzeitig zu begleiten und sie an das Unternehmen zu binden. „So können wir von Anfang an unsere konkreten Bedarfe und Anforderungen unserer Fachbereiche erfüllen und bedienen“, sagt er.

Einen weiteren Vorteil nennt TUHH-Koordinator Henning Haschke: „Wer dual studiert, sollte sich voll und ganz auf seine Ausbildung konzentrieren können und sich nicht um die Finanzierung kümmern müssen.“ Weil die Unternehmen ihren dual Studierenden in der Regel ihre jeweilige Ausbildungsvergütung zahlen, müssen die sich über die Finanzierung keine Gedanken machen.

Auch die „Soft Skills“ kommen nicht zu kurz

Ergänzend zum eigentlichen Studium haben die Unis und Hochschulen zahlreiche Angebote entwickelt, die den Studierenden das Arbeiten erleichtern. So bietet die TUHH neben der bereits erwähnten Kombi aus ingenieurwissenschaftlichem Studium und anwendungsorientierten Praxisphasen ein „Soft-Skill-Training“ an. Hier können die Studierenden Know-how in Sachen Arbeitsorganisation, Selbstmanagement und Sozialkompetenz sowie Integrations- und Teamfähigkeit erwerben.

Die mit der Wirtschaft kooperierende Nordakademie setzt nicht nur auf eine enge Verzahnung mit den Unternehmen. Sie verbessert auch permanent ihre Studiengänge, stimmt diese mit den Entwicklungen in den Ausbildungsbetrieben und den inhaltlichen Veränderungen in der Forschung ab.

Kontinuierliche Weiterentwicklung

Präsident Wiedmann: „Somit finden viele kleine Änderungen sehr häufig statt – passend zu unserem Selbstverständnis einer unternehmerischen Hochschule.“ Derzeit arbeite man an einer umfassenden Weiterentwicklung der Bachelorstudiengänge, die auf mehr Flexibilität für Studierende, eine angepasste Profilbildung sowie eine weitere Stärkung der Persönlichkeitsentwicklung ziele.

Kurzer Draht zu den Professoren

Eine weitere Stärke der Nordakademie hebt Silke Busch hervor: „Sie verfügt über sehr gutes Equipment, die Klassenzuschnitte sind ideal, und die Lerngruppen haben ebenfalls überschaubare Größen. Und ganz wichtig: Der Draht zu den Professoren ist sehr kurz.“

Für Ausbildungsleiter Arndt von Getriebebau Nord liegen die besonderen Stärken der Nordakademie in dem Umstand, dass der Praxisanteil hoch und die Verzahnung mit den Unternehmen besonders eng ist. „Die Studentinnen und Studenten sind bei uns von Anfang an ins Unternehmen eingebunden“, sagt Arndt. „Wir schaffen eine Atmosphäre, in der sie sich wohlfühlen, und sie können sich vom ersten Tag an als potenzielle Mitarbeitende präsentieren. Das ist für beide Seiten ein Gewinn.“

Intensiver Austausch mit den Hochschulen

Arndt legt großen Wert darauf, die „Dualis“ eng zu begleiten. „Wir als Ausbildungsabteilung reden mit jedem dual Studierenden in regelmäßigen Abständen, und natürlich kümmern sich auch die Fachbereiche permanent um die Weiterentwicklung des Nachwuchses.“

Ähnlich engagiert und engmaschig betreut auch Dräger seine dual Studierenden. HR-Manager Torsten Schröder berichtet, dass die Anforderungen der einzelnen Fachbereiche aus den Praxisphasen regelmäßig abgefragt und mit den Hochschulen geteilt werden.

Studenten werden begleitet und gecoacht

Auf diese Weise können die Hochschulen diese aufgreifen und mit den Inhalten der Theoriephasen abgleichen. „Somit ist ein gegenseitiges Verständnis zwischen Betrieb und Hochschule garantiert.“

Und nach dem Studium? Dräger wählt laut Schröder bereits beim Auswahlprozess Studierende aus, die langfristig zum Unternehmen passen. Und die Studierenden wissen von Anfang an, in welcher Abteilung sie später eingesetzt werden. „Außerdem begleiten und coachen wir die Studierenden durch den gesamten Prozess.“

„20 Jahre Erfahrung zeigen: Es funktioniert“

Ähnlich persönlich betreut werden die dual Studierenden in den anderen Firmen. „Weil wir sie von Anfang an begleiten, verringern wir beispielsweise die Abbrecherquoten spürbar“, sagt Körber-Ausbildungsleiterin Busch.

TUHH-Koordinator Haschke zieht ebenfalls ein positives Fazit: „Nach 20 Jahren Erfahrung mit dem dualen Studium können wir sagen: Es funktioniert. Wir bekommen die richtigen Leute an den richtigen Ort, und die Abbrecherquote ist verschwindend gering.“ Im Vergleich mit den „normalen“ technischen und ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen an den Unis liegt die Abbrecherquote beim dualen Studium nur bei rund einem Zehntel, so Haschke.

Clemens von Frentz
Leiter aktiv-Redaktion Nord

Der gebürtige Westfale ist seit über 35 Jahren im Medienbereich tätig. Er studierte Geschichte und Holzwirtschaft und volontierte nach dem Diplom bei der „Hamburger Morgenpost“. Danach arbeitete er unter anderem bei n-tv und „manager magazin online“. Vor dem Wechsel zu aktiv leitete er die Redaktion des Fachmagazins „Druck & Medien“. Wenn er nicht für das Magazin „aktiv im Norden“ in den fünf norddeutschen Bundesländern unterwegs ist, trainiert er für seinen dritten New-York-Marathon.

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Lothar Steckel
Autor

Als Geschäftsführer einer Bremer Kommunikationsagentur weiß Lothar Steckel, was Nordlichter bewegt. So berichtet er für aktiv seit mehr als drei Jahrzehnten vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie, Logistik- und Hafenwirtschaft, aber auch über Kultur- und Freizeitthemen in den fünf norddeutschen Bundesländern.

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