Auch dem vorsichtigsten Menschen können Unfälle passieren. Gut, wenn da eine private Unfallversicherung alle Schäden bezahlt, oder? Nein, ganz falsch! „Eine Unfallversicherung übernimmt keineswegs sämtliche Kosten nach einem Unfall, sondern sie zahlt die vereinbarte Summe erst, wenn der Versicherte aufgrund des Unfalls einen dauerhaften Gesundheitsschaden hat“, sagt Thorsten Rudnik, Versicherungsexperte bei der Verbraucherzentrale. 

Im Klartext: Selbst wenn man sich bei einem Unfall sämtliche Arme und Beine bricht und wochenlang außer Gefecht gesetzt ist, bekommt man trotzdem kein Geld, wenn die ganze Sache folgenlos ausheilt. Entzündet sich dagegen ein auf den ersten Blick anscheinend harmloser Hundebiss so schlimm, dass hinterher die Hand amputiert werden muss, ist das ein dauerhafter gesundheitlicher Schaden, und die Versicherung leistet.

Privater Unfallschutz: Die Leistungen der Versicherungen

Grundsätzlich zahlt die Unfallversicherung nicht bei jedem Schaden automatisch die vereinbarte Versicherungssumme aus, sondern es geht nach dem Grad der Invalidität. Der ist in der sogenannten Gliedertaxe festgelegt. Da steht dann zum Beispiel, dass der Verlust eines Auges mit 50 Prozent bewertet wird, der Verlust eines Zehs dagegen nur mit 2 Prozent. Wie hoch der Versicherer welchen Schaden bewertet, kann er selbst in seinen Versicherungsbedingungen regeln.

Wer also beispielsweise eine Versicherungssumme von 100.000 Euro vereinbart hat und durch einen Unfall ein Auge (50 Prozent Invalidität) verliert, bekommt auch 50 Prozent der Versicherungssumme ausgezahlt, folglich 50.000 Euro.

Viele Tarife sehen zusätzlich eine sogenannte Progression vor. Je nach Anbieter kann diese Progression zum Beispiel 225, 300, 350 oder auch 500 Prozent betragen. Beispiel: Eine Progression von 350 Prozent bei einer Versicherungssumme von 100.000 Euro bedeutet, dass man bei einer Invalidität von 100 Prozent nicht nur 100.000 Euro, sondern vielmehr 350.000 Euro ausgezahlt bekommt. Ab welchem Invaliditätsgrad wie viel Prozent Progression greifen, ist unterschiedlich, auch dies entscheidet jeder Versicherer selbst.

Berufsunfähigkeitsversicherung versus Unfallversicherung

Egal, wie hoch die Versicherungssumme ist, egal ob mit oder ohne Progression: Gezahlt wird immer erst, wenn man durch den Unfall dauerhaft geschädigt ist. Genau solche irreversiblen Unfallfolgen sind aber äußerst selten. Nach Angaben des Statistischen Bundesamts sind weniger als 2 Prozent aller Schwerbehinderungen auf Unfälle zurückzuführen.

Wenn jemand aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr arbeiten kann, ist fast immer eine Erkrankung daran schuld. „Deshalb sollte jeder, der von seiner Arbeitskraft leben muss, wenn irgend möglich  eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließen“, empfiehlt Thorsten Rudnik. „Mit dieser Police sind auch Unfallschäden abgedeckt, eine zusätzliche Unfallversicherung ist damit überflüssig.“

Gesetzliche Unfallversicherung und weitere Leistungen

In unserem Sozialstaat hat man nach einem Unfall außerdem Ansprüche auf verschiedene Leistungen: Bei Arbeitsunfällen zahlt die gesetzliche Unfallversicherung eine Rente, ebenso bei Unfällen in der Schule oder Kita. Bei unverschuldeten Autounfällen zahlt die Haftpflichtversicherung des Unfallgegners. Wer sich ehrenamtlich engagiert, ist vielfach über die entsprechende Organisation versichert.

Zudem gibt es vielfältige Hilfen für die Integration von Menschen mit Behinderung oder bei Pflegebedürftigkeit. Hier reicht das Spektrum von notwendigen Umschulungen bis hin zum Umbau der Wohnung. Wer gar nicht mehr arbeiten kann, hat außerdem vielfach Anspruch auf eine Erwerbsminderungsrente der gesetzlichen Rentenversicherung oder auf Sozialleistungen.

„Auch ohne Unfallversicherung ist man nach einem Unfall also bis zu einem gewissen Grad abgesichert“, sagt Rudnik. Allerdings fallen die Leistungen tatsächlich häufig ziemlich gering aus, vielfach ist der Gang zum Sozialamt unvermeidlich. Das gilt aber auch, wenn die Invalidität nicht durch einen Unfall, sondern – wie fast immer – durch eine Erkrankung hervorgerufen wurde.

Wer trotzdem unbedingt den extrem seltenen Ernstfall eines unfallbedingten Dauerschadens zusätzlich absichern will und es sich auch finanziell leisten kann, kann aber durchaus eine private Unfallversicherung abschließen.

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Versicherung bei riskanten Tätigkeiten in der Freizeit

„Bei Personen mit einem erhöhten Unfallrisiko kann eine Unfallversicherung im Einzelfall sinnvoll sein“, sagt Rudnik. Das gilt aber natürlich nur, wenn man nicht sowieso schon über eine Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abgesichert ist. Wer keine BU hat und riskante Hobbys betreibt, zum Beispiel in der Freizeit Motorrad oder Ski fährt oder als Hobby-Heimwerker gerne mit Bohrer, Säge und Co. herumhantiert, kann über eine Unfallversicherung nachdenken.

„Hier sollte man genau nachfragen, ob das eigene Hobby auch tatsächlich mitversichert ist“, warnt Rudnik. Manche Aktivitäten wie Flugsport oder Motorradrennen sind fast überall ausgeschlossen, bei anderen Aktivitäten wie beispielsweise Kitesurfen hängt es vom Einzelfall ab.

Hoch genug versichern

Wenn man sich zum Abschluss einer privaten Unfallversicherung entschließt, sollte man auf eine ausreichend hohe Versicherungssumme achten. Dabei kommt es auf den Einzelfall an. Ist der Lebensunterhalt anderweitig gesichert (zum Beispiel durch eine Rente), ist die Unfallversicherung letztlich nur eine zusätzliche Finanzspritze, damit man sich das Leben neu organisieren kann. Das Geld von der Unfallversicherung kann man dann zum Beispiel verwenden, um sich die Wohnung umzubauen oder ein behindertengerechtes Auto anzuschaffen.

Dafür reicht laut Versicherungsexperte Rudnik eine einmalige Summe von 100.000 Euro ohne Progression. Wer dagegen keine BU hat und im Ernstfall auch keine anderen nennenswerten Einnahmen erzielen kann, wer also gegebenenfalls längere Zeit von dem Geld leben muss, sollte sich deutlich höher absichern. Hier empfiehlt Rudnik eine Grundsumme von mindestens 250.000 Euro. Außerdem sollte in diesem Fall eine Progression von mindestens 300 oder 350 Prozent mit vereinbart werden.

Überflüssiger Schutz für Senioren – oft zu hohen Kosten

Die oft stark beworbenen Unfallversicherungen für Senioren sind nach Einschätzung von Rudnik unnötig. Zwar sind viele ältere Menschen etwas wacklig auf den Beinen, sodass ihr Unfallrisiko oft deutlich höher ist als bei jüngeren. Doch läuft bei Senioren die Rente auch nach einem Unfall ganz normal weiter. „Selbst wenn durch den Unfall ein dauerhafter Schaden entsteht, haben Rentner dadurch keine finanziellen Einbußen, die Unfallversicherung ist also unnötig“, sagt der Versicherungsexperte.

Häufig werben die Versicherungen mit sogenannten Assistenzleistungen für Senioren. Dann organisiert die Versicherung im Ernstfall bestimmte Dinge (etwa Haushaltshilfe, Essen) für den Senior. Wenn man vor allem aus diesem Grund über eine Unfallversicherung für die alten Eltern nachdenkt, sollte man diese Assistenzleistungen allerdings genau unter die Lupe nehmen. Diese Tarife sind nämlich etwa drei- bis viermal so teuer wie vergleichbare Tarife ohne Assistenzleistungen.

„Oft wird nur die Hilfe organisiert, die eigentliche Leistung muss man meist trotzdem selbst bezahlen“, sagt Rudnik. Im Ergebnis bringen solche Versicherungen dann kaum spürbaren Nutzen, denn Essen auf Rädern oder eine Putzkraft kann man bei Bedarf meist auch selbst organisieren.

Silke Becker
Autorin

Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.

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