Verstaubt, vertrackt und undurchsichtig: Dieses Bild von klassischen Versicherungen konnte man in vordigitalen Zeiten schon haben. Das Aktenordner-Image der Branche war der Grund dafür, dass vor rund zehn Jahren die ersten Insurtechs auf den Markt kamen – Versicherungsdienste (englisch: „insurances“), die mit digitalen Technologien Prozesse vereinfachen. Mit wenigen Klicks sollten Kunden künftig zu ihrer Wunsch-Police gelangen. Und die sollte zudem wegen der rein digitalen Abläufe noch günstiger sein als beim Traditionsanbieter. aktiv hat Experten gefragt, was davon zu halten ist.
„Inzwischen sind die Unterschiede zwischen klassischen Versicherungen und Start-ups aus Verbrauchersicht unerheblich“, sagt Peter Grieble, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. Schließlich seien einige Konkurrenten von einst jetzt stark verbandelt: Zum einen kooperieren die meisten der etwa 150 Insurtechs im deutschsprachigen Raum mit Traditionsanbietern. Zum anderen investieren Versicherungsriesen wie Axa oder Allianz selbst in digitale Start-ups – und digitalisieren auch eigene Prozesse immer stärker.
Digitale Versicherungen sind bequemer, aber nicht unbedingt günstiger
Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom hatte 2020 bereits jeder zweite Verbraucher in Deutschland zumindest einmal in seinem Leben eine Online-Versicherung abgeschlossen. „Heute gibt es für fast jedes Bedürfnis einen rein digitalen Versicherungsanbieter“, sagt Grieble. Manche haben sich auf bestimmte Bereiche fokussiert: Ottonova etwa auf die Krankenversicherung, Lemonade auf Hausrat und Privathaftpflicht. Andere wie Getsafe, Neodigital oder Friday bieten oft einen ganzen Strauß an Policen – von Auto über Hausrat und Rechtsschutz bis zu Pferdehaftpflicht. Die Versprechen der Insurtechs ähneln sich. Getsafe etwa wirbt mit „0 Prozent Papierkram“, Neodigital mit „Digital statt Papierkram“. Und der Anbieter Lemonade lockt damit, „in Sekunden versichert“ zu sein.
Womit die Firmen deutlich seltener werben, ist ihr Preis. Tatsächlich kosten Policen von Insurtechs nicht unbedingt weniger, sagt Henriette Neubert, Versicherungsexpertin von finanztip.de: „Bei unseren Untersuchungen für Handy-, Fahrrad- und Tierkrankenversicherungen fielen die Tarife von Start-ups eher nicht durch die günstigsten Beiträge auf. Oft waren sie sogar teurer als von einigen altbekannten Anbietern. Dafür werben sie gern mit hoher Flexibilität, zum Beispiel täglich kündbar zu sein.“
Bequemlichkeit ist auch für Verbraucherschützer Grieble einer der Pluspunkte von Insurtechs. „Ich kann mich online über eine Versicherung informieren, ohne mir dafür Schwänke aus dem Leben des Versicherungsvertreters anzuhören, der bei mir auf dem Sofa sitzt“, sagt der Versicherungsexperte. Zudem wachse das Angebot durch digitale Anbieter. „Und damit sinken zumindest theoretisch die Preise.“
Versicherung oder Makler? Das Impressum zeigt’s an
Wer online nach einer Versicherung sucht, sollte allerdings wissen, mit wem er es zu tun hat. „Wie im traditionellen Versicherungsgeschäft gibt es auch bei Insurtechs Makler und Vertreter“, erklärt Grieble. Ist das nicht auf den ersten Blick ersichtlich, lohnt der Blick ins Impressum der jeweiligen Website: Makler werden von der Handelskammer beaufsichtigt und müssen dort ihre Registernummer nach Paragraf 34d angeben. Insurtechs, die selbst Policen anbieten, sind dagegen bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) registriert.
Plattformen wie Clark, Check24 oder Simplr sind klassische Versicherungsmakler: Sie bieten Verbrauchern einen Überblick und erhalten für Abschlüsse Provisionen von den Anbietern. „Laut Gesetz müssen Versicherungsmakler auf der Seite der Versicherungsnehmer stehen“, sagt Grieble. Das heißt: Ein Makler darf nicht einfach irgendeinen Versicherer empfehlen, nur weil er mit diesem einen Vertrag hat. Anders der Versicherungsvertreter: Er muss zwar auch informieren und beraten. Allerdings braucht er kein Konkurrenzunternehmen empfehlen. Er arbeitet als sogenannter Ausschließlichkeitsvertreter in der Regel nur mit einer Versicherung zusammen und empfiehlt Angebote aus deren Palette.
Bei Versicherungen sollte man mehrere Makler-Portale checken
Maklerplattformen dagegen sind verpflichtet, einen „ausreichenden Marktüberblick“ zu haben. Sprich: Sie sollten Tarife möglichst vieler unterschiedlicher Anbieter zeigen. Trotzdem lohnt der Blick in verschiedene Portale, rät Grieble: „Kein Makler kann alle Anbieter gelistet haben. Zum einen verkaufen manche Versicherer ihre Angebote gar nicht über Plattformen. Zum anderen listen Makler oft nur solche Anbieter auf, die auch Provisionen zahlen.“ Verbraucher sollten sich die Mühe machen, in einer Gesamtliste nachzuschauen, welche Unternehmen die Plattform für ihren Vertrieb nutzen – und welche fehlen.
Andere Insurtechs treten selbst als Versicherer auf, verkaufen also nur eigene Produkte. „Auch Versicherer haben die Pflicht zur Beratung“, sagt Verbraucherschützer Grieble. Sie müssen nach den Wünschen und Bedürfnissen eines potenziellen Versicherungsnehmers fragen – so sieht es das Gesetz vor. „Und dieser Wunsch kann nicht einfach darin bestehen, eine Berufsunfähigkeitsversicherung haben zu wollen“, sagt Grieble. „Hier geht es um die konkreten Lebensumstände.“
Digitale Versicherung: Lieber Video-Beratung als Fragebogen
Genau hier sehen Experten eine Schwäche vieler Insurtechs. „Wenn ein Insurtech damit wirbt, ‚in fünf Minuten zu einer passenden Berufsunfähigkeitsversicherung‘ zu gelangen, ist das aus meiner Sicht schlicht nicht möglich“, kritisiert Grieble. Schließlich gebe es bei einer solchen Versicherung mindestens 70 Entscheidungen vorab zu fällen – etwa zu Laufzeit, Rentenhöhe oder einer Dynamik, die etwa Steigerungen der Inflation berücksichtigt. Dafür braucht es eine längere Beratung, so Grieble. Auch „Finanztip“-Expertin Neubert warnt vor zu schnellen Abschlüssen: „Bei sehr beratungsbedürftigen Versicherungsprodukten sind einfache Produkte eher schlecht online abzuschließen.“
Viele Insurtechs haben auf diese Kritik reagiert, indem sie Video-Calls zur Beratung anbieten. Verbraucherschützer Grieble rät, dieses Angebot direkt am Anfang eines Buchungsprozesses anzunehmen. Denn hat man sich erst mal durch einen Online-Fragebogen geklickt, sind viele Entscheidungen bereits gefallen. „Dann habe ich schon irgendetwas angekreuzt, das vielleicht gar nicht zu mir passt.“
Beispiel Marderbiss-Versicherung: Details entscheiden über den Tarif
Am Beispiel der Marderbiss-Klausel in der Kfz-Versicherung macht Grieble deutlich, welche Fallstricke es gibt: „Manche Tarife begrenzen den versicherten Schaden hier auf Material und Lohnsumme. Was ist aber, wenn ein Marderbiss in der Folge zu Motorschäden führt? Solche Details werden in grobschlächtigen Frage-Antwort-Spielen online oft nicht abgefragt.“ Bei Makler-Apps hingegen wie Clark, Knip oder Treefin dürfen Verbraucher hier im Ernstfall nicht auf Hilfe hoffen: „Ist der Vertrag zustande gekommen, sind Vermittler raus. Den Vertrag schließt man dann mit dem Anbieter ab“, erklärt Expertin Neuberger.
Allerdings haftet der Makler für Fehlberatungen – die man aber erst einmal nachweisen müsste. Außerdem zu beachten: In einer App unterschreiben Nutzer häufig ein Maklermandat. Das Insurtech darf dann mit ihrer Zustimmung für sie Verträge abschließen und kündigen – ein eventuell bestehender Vertrag mit einem Makler vor Ort wird damit aufgehoben. Laut Stiftung Warentest weisen manche Apps darauf nur im Kleingedruckten hin.
Vorsicht beim Preis: Auf Lockangebote könnten Preiserhöhungen folgen
Und was bieten Insurtechs in Sachen Preis? Hier bringen digitale Prozesse sicher oft einen Kostenvorteil. Allerdings berge die Digitalisierung gerade beim Preis auch Schattenseiten, heißt es im „InsurTech-Radar 2021“ der Beratungsgesellschaft Oliver Wyman: „Wenn viele Kunden ihre Kaufentscheidung vorrangig vom Preis abhängig machen, setzen die Anbieter ‚Schaufensterpreise‘.“ Das sind Lockangebote, die nur kurz gelten und nach Vertragsabschluss schnell erhöht werden. „Dann sind Versicherungsverträge im ersten Jahr für den Kunden attraktiv, für die Anbieter aber erst durch jährliche Preisanpassungen profitabel“, so Oliver Wyman weiter. Damit würden loyale Kunden bestraft, während Preisvergleicher gewinnen.
Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band.
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