Für viele sind Arbeitsunfälle eine völlig klare Sache: Ein Arbeitsunfall ist ein Unfall, der beim Arbeiten passiert. Doch so einfach ist es nicht. Expertin Elke Biesel von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) erklärt die Feinheiten.
Frau Biesel, was bedeutet eigentlich Unfall genau?
Ein Unfall ist ein Ereignis, das von außen auf den Körper einwirkt und dadurch zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führt. Ohne äußere Einwirkung handelt es sich nicht um einen Unfall. Wenn jemand beispielsweise mit einem Herzinfarkt zusammenbricht, ist das in der Regel kein Unfall. Wichtig daran ist außerdem, dass das äußere Ereignis auch wirklich die Ursache für den Schaden ist. Stößt man beispielsweise beim Sortieren von Akten mit dem Kopf unglücklich gegen einen Schrank, fällt dadurch in Ohnmacht und verletzt sich, ist das ein versicherter Unfall.
Hat die Ohnmacht dagegen überhaupt nichts mit dem Stoß gegen den Schrank zu tun, sondern andere Gründe, beispielsweise eine innere Erkrankung, ist dies nicht versichert. In diesem Fall wäre der Beschäftigte ja so oder so in Ohnmacht gefallen, egal, ob er sich vorher den Kopf gestoßen hat oder nicht. Der Stoß gegen den Schrank ist also nicht die Ursache des Schadens und damit ist der Schaden auch nicht versichert.
Sind nur Unfälle versichert, die während der Arbeit geschehen?
Hier ist der Begriff Arbeitsunfall ein wenig irreführend, denn heutzutage sind nicht ausschließlich Unfälle versichert, die bei der Arbeit geschehen, sondern auch verschiedene andere Tätigkeiten, beispielsweise der Betriebssport. Außerdem sind inzwischen nicht mehr nur Beschäftigte durch die gesetzliche Unfallversicherung geschützt, sondern unter anderem auch Schüler, Kita-Kinder oder Ehrenamtliche. Deshalb spricht man inzwischen davon, dass der Unfall bei einer „versicherten Tätigkeit“ geschehen muss.
Betriebssport, Weihnachtsfeier oder Wegeunfall: Welche Tätigkeiten gehören bei Arbeitnehmern zu den versicherten Tätigkeiten?
Bei Beschäftigten sind ganz klar sämtliche dienstlichen Tätigkeiten versichert. Wenn eine Technikerin eine Maschine bedient oder ein Sachbearbeiter Akten durch das Büro trägt und dabei etwas passiert, sind sie dabei selbstverständlich versichert.
Versicherungsschutz besteht auch für alle Tätigkeiten, die mit der versicherten Tätigkeit in einem Zusammenhang stehen. Wenn die Beschäftigten beispielsweise am Betriebssport oder einer betrieblichen Veranstaltung wie der Weihnachtsfeier teilnehmen, sind sie dabei in der Regel versichert, obwohl sie dann ja gar nicht arbeiten. Unfälle auf dem Weg von und zu einer versicherten Tätigkeit sind ebenfalls versichert. Dabei handelt es sich um Wegeunfälle.
Welche Tätigkeiten sind nicht versichert?
Rein private Tätigkeiten sind grundsätzlich nicht versichert, auch wenn sie während der Arbeitszeit stattfinden. Telefoniert ein Mitarbeiter beispielsweise während der Arbeitszeit auf dem Handy privat minutenlang mit seiner Ehefrau und stolpert dabei so unglücklich, dass er sich dadurch verletzt, ist dies kein Arbeitsunfall. Auch die Benutzung der Toilette oder das Essen in der Kantine gelten als private Tätigkeit und sind deshalb nicht versichert.
Ausnahme: Der Versicherungsschutz besteht weiter, wenn es sich lediglich um eine ganz geringfügige private Tätigkeit handelt, die die eigentliche dienstliche Tätigkeit nicht oder fast nicht unterbricht. Ob dies der Fall ist, muss immer im Einzelfall geprüft werden.
Was gilt denn, wenn man Dienstliches und Privates bei der Arbeit gemischt hat, im Falle eines Unfalls?
Wenn man über Headset privat telefoniert während man parallel weiterarbeitet. Dann handelt es sich um so genannte „gemischte Tätigkeit“. Hier muss im Einzelfall geprüft werden, ob die private Tätigkeit, im Beispiel also das Telefonat oder aber die dienstliche Tätigkeit die Ursache für den Unfall war und ob es sich folglich um einen Arbeitsunfall handelt oder nicht.
Und wenn man am dienstlichen Equipment Schaden anrichtet, während man es privat nutzt?
Entscheidend ist, ob die eigentliche Tätigkeit dienstlich oder privat war. Wenn ein Kfz-Mechaniker beispielsweise sein privates Auto auf der Hebebühne des Unternehmens repariert, und sich dabei an der defekten Hebebühne böse verletzt, ist das kein Arbeitsunfall. Wäre der gleiche Unfall passiert, während er das Auto eines Kunden repariert hat, wäre dies natürlich ein Arbeitsunfall.
Warum ist es so wichtig, ob es sich um einen Arbeitsunfall handelt oder nicht?
Bei Arbeitsunfällen haben Beschäftigte einen umfassenden Versicherungsschutz, Anspruch auf vielfältige Reha-Leistungen und zahlreiche Hilfen zur Wiedereingliederung in das Arbeitsleben. Außerdem erhalten die Versicherten diverse finanzielle Leistungen, beispielsweise Verletztengeld während der Arbeitsunfähigkeit. Bei dauerhaften gesundheitlichen Schäden erhalten sie eine Rente, und stirbt der Versicherte sogar infolge des Arbeitsunfalls, wird eine Hinterbliebenenrente gezahlt.
Gerade bei schweren Arbeitsunfällen mit üblen Folgen kann es also um sehr viel Geld gehen. Deshalb muss der Unfallhergang natürlich ganz genau überprüft werden.
Wann muss man nach einem Arbeitsunfall zu einem Durchgangsarzt?
Ist die Verletzung nach einem Arbeits- oder Wegeunfall so schwer, dass eine medizinische Versorgung nötig ist, müssen Beschäftigte einen Durchgangsarzt aufsuchen. Das gilt insbesondere, wenn die Unfallverletzung über den Unfalltag hinaus zur Arbeitsunfähigkeit führt, die ärztliche Behandlung voraussichtlich über eine Woche dauert oder wenn es sich um eine Wiedererkrankung aufgrund von Unfallfolgen handelt.
Wo der nächste Durchgangsarzt ist, lässt sich online ermitteln. Im Einzelfall kann auch der Hausarzt, insbesondere zur medizinischen Erstversorgung, aufgesucht werden. Diese müssen die Versicherten dann aber zur weiteren Behandlung an einen Durchgangsarzt überweisen.
Silke Becker studierte Soziologie, BWL, Pädagogik und Philosophie. Seit ihrem Abschluss arbeitet sie als Redakteurin und freie Journalistin. Außerdem hat sie mehrere Bücher veröffentlicht. Am liebsten beschäftigt sie sich mit den Themen Geld, Recht, Immobilien, Rente und Pflege.
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