Ben Bönighausen ist hoch konzentriert. Der angehende Maschinen- und Anlagenführer spricht über sein Headset mit einem Kollegen. Es geht um den Auftrag, der gerade über die Maschine rollt: feinste Drähte aus Phosphorbronze. Der Auszubildende prüft noch einmal, ob alle Parameter stimmen.

Bei Engelmann muss jedes Detail stimmen. Das Unternehmen aus Hannover produziert Fein- und Spezialseile – unter anderem für die Auto-Industrie, den Maschinenbau, die Baubranche und eben die Medizintechnik. „Hightech für anspruchsvolle Kunden“, beschreibt Geschäftsführer Stephan La Roche das Produktportfolio beim aktiv-Besuch. Eigentlich kann es den Hannoveranern nicht herausfordernd genug sein: Je exotischer, desto lieber – so lautet die Erfolgsformel des Spezialanbieters. In dieser Nische hat sich Engelmann erfolgreich festgesetzt.

Was die Spezialisten können, fällt anderen extrem schwer: zum Beispiel Litzen und Seile aus extrem dünnen Drähten herzustellen. Dabei sind diese Drähte nur halb so dick wie ein menschliches Haar und je nach Anwendung noch besonders korrosions- und hitzebeständig. Die Medizintechnik nutzt solche bis zu 0,06 Millimeter dünnen Litzen und Seile für die chirurgische Endoskopie etwa in der Urologie oder für Langzeitimplantate.

Technische Webereien gehören zur Kundschaft, wenn etwa bei der Herstellung von Wellpappe eine besondere Gewebestruktur gebraucht wird. Und dann sind da noch die Architekten, die für außergewöhnliche Bauwerke außergewöhnliche Materialien benötigen: Auch in der Formel-1-Strecke in Schanghai stecken Engelmann-Produkte. Die breite Anwendungspalette hatte die Firma zuletzt vor konjunkturellen Abhängigkeiten geschützt.

Der Mittelstand wird aktuell stark belastet

Doch die guten Zeiten sind vorbei, das Geschäft läuft schlecht. „Wir erleben zurzeit eine schwierige Phase“, sagt Geschäftsführer La Roche. Dass die Konjunktur so stark in einigen Teilbereichen eingebrochen ist, „daran kann ich mich nicht erinnern“. Aktuell sei Engelmann 10 bis 15 Prozent unter Vor-Corona-Niveau, sagt der Geschäftsführer. Er schätzt, dass das Jahr 2023 um etwa 20 Prozent unter Plan abschließen wird. „Das habe ich so noch nicht erlebt.“

Hauptverantwortlich für die unsichere Lage seien Politik und Bürokratie: „Planungssicherheit ist gerade ein Fremdwort“, klagt La Roche. „Unsere Politik weiß nicht, was sie will.“ Der Mittelstand werde unterdessen immer stärker belastet. Zum Beispiel durch die gestiegenen Rohstoffpreise, die Wettbewerbern in Indien und China große Vorteile verschafft haben. „Der hohe Industriestrompreis ist ein Sargnagel für unsere Betriebe“, sagt La Roche. Ein weiterer sei die ausufernde Bürokratie: „Ich bin klar für ein vereintes Europa, aber Brüssel macht mit den unsinnigen Auflagen auch sehr viel kaputt.“

Dinge klar anzusprechen, gehöre bei Engelmann zur Unternehmenskultur, sagt der 64-Jährige: „Transparenz und Offenheit waren uns schon immer ganz wichtig.“

Gewinne investiert Engelmann seit Jahren immer in den Betrieb

Beim Rundgang durch die Fertigung ist auch Dogan Toluk dabei, als Prokurist ein Mann der Zahlen. Die 30-köpfige Belegschaft erwirtschafte einen Umsatz von 6 Millionen Euro, erklärt er. Das Unternehmen habe das verdiente Geld der vergangenen Jahre immer wieder in den Betrieb investiert. „1,9 Millionen Euro, das ist viel Geld für ein kleines Unternehmen“, sagt Toluk und ergänzt: „Hier fährt keiner Porsche.“ Dank der Investitionen sind Produktqualität und Zufriedenheit der Mitarbeiter stetig gewachsen. So hat es Engelmann bis jetzt geschafft, im Wettbewerb um Fachkräfte zu bestehen – keine kleine Leistung am teuren Standort Hannover.

Zum Team zählt schon bald auch der Auszubildende Ben Bönighausen. Er ist nach einem Praktikum direkt bei Engelmann geblieben. „Ich fühle mich hier pudelwohl und bin total integriert“, sagt der 18-Jährige. Seinen Chef machen solche Sätze froh. „Der Optimismus der jungen Leute tut gut“, sagt La Roche. „Gerade in Zeiten wie diesen.“

Werner Fricke
Autor

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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