Bonn. Als ob es nicht genug Krisen gäbe: Das nächste Mega-Problem steht bereits ins Haus – der drohende Kollaps unserer Sozialkassen. Denn die Kosten vor allem für Gesundheitsversorgung, Pflege und Rente steigen und steigen. Ändert sich nichts, wird es bitter, insbesondere für die junge Generation.

Heute erreichen die Sozialbeiträge bereits 40 Prozent des Bruttoentgelts. Das ist die – politisch anerkannte – Schmerzgrenze für die Einzahler. Doch wenn nicht gegengesteuert wird, klettern die Tarife kräftig weiter.

Anstieg der Sozialbeiträge droht – „künftige Generationen werden zu stark belastet“

Davor warnte im Frühjahr sogar der Bundesrechnungshof (BRH): Die obersten Haushaltswächter erwarten sogar einen Anstieg auf über 53 Prozent bis zum Jahr 2060. Das geht aus einem bislang unveröffentlichten Bericht des BRH hervor. Teile davon sind bereits an die Öffentlichkeit gedrungen.

Der Autor des Berichts, der künftige „Wirtschaftsweise“ Professor Martin Werding von der Ruhr-Universität Bochum, sieht die Gefahr: „Künftige Generationen von Beitragszahlenden und Steuerzahlenden werden zu stark belastet, die wirtschaftliche Entwicklung wird gefährdet, und der Bund stößt an die Grenzen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit.“

Der demografische Wandel läuft: Es gibt immer weniger Erwerbstätige – und immer mehr Senioren

Hauptgrund: Heute stehen noch gut drei Erwerbsfähige einem Senioren gegenüber. In knapp 40 Jahren sind es voraussichtlich noch zwei. Gleichzeitig würden die Gesamtausgaben der Sozialversicherung von heute knapp 22 Prozent der Wirtschaftsleistung auf dann 29 Prozent steigen. Das wäre für Deutschland selbst bei wirtschaftlicher Top-Form nicht zu stemmen. Zu vergleichbaren Befunden kamen zuvor unter anderem der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium und der Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV).

Für die Einzahler würde es entsprechend sehr teuer. Ein Beispiel: Bei einem Jahresbruttogehalt von 35.000 Euro macht jeder Prozentpunkt Sozialbeiträge rund 350 Euro aus, bezahlt je zur Hälfte vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Und 5 Prozentpunkte mehr schon bis 2030, so wie vom PKV erwartet – das wären allein für den Beschäftigen pro Jahr rund 875 Euro weniger im Geldbeutel.

Höhere Sozialbeiträge heißt immer auch: noch höhere Arbeitskosten

Und die ohnehin rekordhohen deutschen Arbeitskosten würden weiter steigen. Denn auch der Arbeitgeber im Beispielfall müsste 875 Euro mehr zahlen. Für immer mehr Betriebe würde sich die Produktion hierzulande nicht mehr rechnen. Rund 90.000 Stellen könnte jeder zusätzliche Beitragssatzpunkt kosten, meldete das Prognos-Institut schon 2017.

Was also tun? Ein Art Soforthilfe wäre es, die Leistungen der Sozialkassen nicht noch weiter auszubauen. Nachhaltig nützen würde aber nur ein Reformmix, urteilt Werding. Nötig seien etwa die Stärkung der privaten Altersvorsorge und höhere Zuzahlungen für Krankenversicherte. Zudem sagt der Experte: Bei der Rente mit 67 wird es auf Dauer nicht bleiben können.

Was auch immer kommt – der Handlungsdruck ist enorm, unterstreicht auch die Vorstandsvorsitzende des Verbands des Gesetzlichen Krankenversicherung, Doris Pfeiffer. Sie sagt: „Es muss etwas geschehen, sonst laufen wir voll in die Beitragserhöhung.

Pflegeversicherung: Entlastung für Familien in Sicht

Karlsruhe. Familien mit mindestens zwei Kindern werden beim Beitrag zur Pflegeversicherung entlastet – spätestens Ende 2023. Das verlangt das Bundesverfassungsgericht. Denn Familien müssen je nach Kinderzahl viel mehr Kosten schultern: Dadurch sind sie derzeit über Gebühr benachteiligt, wie das oberste Gericht kürzlich befand. Das gelte erst recht, wenn zudem noch mindestens ein Elternteil wegen der Kinder bei der Berufstätigkeit zurückstecken muss. Diese Nachteile würden bei der Pflegeversicherung bislang nicht genügend ausgeglichen, bemängeln die Verfassungsrichter. Daher muss der Gesetzgeber jetzt handeln.

Bereits 2001 hatte das Gericht entschieden, dass Kinderlose einen höheren Beitragssatz zur Pflegeversicherung zahlen müssen als Eltern. Seit Jahresanfang liegt der Satz für Eltern bei 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, für Kinderlose dagegen bei 3,4 Prozent. Das allein reicht aber eben nicht aus, um Gerechtigkeit herzustellen, urteilte das Gericht. Bei der Kranken- und Rentenversicherung muss dagegen nicht nachgebessert werden: In der Rentenversicherung werden schließlich die Kindererziehungszeiten anerkannt – und bei der Krankenversicherung gibt es die beitragsfreie Familienversicherung.

Stephan Hochrebe
aktiv-Redakteur

Nach seiner Redakteursausbildung absolvierte Stephan Hochrebe das BWL-Studium an der Universität zu Köln. Zu aktiv kam er nach Stationen bei der Funke-Mediengruppe im Ruhrgebiet und Rundfunkstationen im Rheinland. Seine Themenschwerpunkte sind Industrie und Standort – und gern auch alles andere, was unser Land am Laufen hält. Davon, wie es aussieht, überzeugt er sich gern vor Ort – nicht zuletzt bei seiner Leidenschaft: dem Wandern.

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