Ein Rathaus mit Fachwerk in einem 3.000-Seelen-Ort, umgeben von bewaldeten Hügeln – die Fotos, die Edinei Tirp im Gespräch mit aktiv zeigt, könnten aus Oberschwaben oder dem Allgäu stammen. Tatsächlich zu sehen ist aber sein Heimatdorf Westfália im Süden von Brasilien! „Es ist ganz ähnlich wie hier: ein kleiner Ort mit einer großen Firma“, sagt Tirp. Bei Emil Schmid, einem Maschinen- und Anlagenbauer in Sonnenbühl auf der Schwäbischen Alb, ist der gelernte Elektroniker für Betriebstechnik seit August beschäftigt: Als SPS-Programmierer schreibt er die Software für die Maschinensteuerungen.

Eine duale Ausbildung gibt es in Brasilien nicht

Zum Elektroniker hat er sich in Brasilien ausbilden lassen. „Ein duales Ausbildungssystem wie hier gibt es dort allerdings nicht“, erklärt er, „eine Lehre besteht nur aus Theorie, ergänzt mit praktischen Übungen in den Labors der Bildungseinrichtungen. Und man muss sie bezahlen.“ Deshalb arbeitete er während seiner Ausbildung, verdiente das Geld für seinen Lebensunterhalt und die Ausbildungsgebühr – und sammelte gleichzeitig praktische Berufserfahrung. Anschließend setzte Tirp noch ein Abendstudium in Steuerungs- und Automatisierungstechnik obendrauf. Auch das gab es nicht umsonst, Tirp arbeitete also nebenher weiter.

Programmieren hatte er in der Ausbildung gelernt. Weitere Programmiertrainings absolvierte er während seiner Berufstätigkeit und auch im Studium.

Nach Deutschland wollte er schon immer: „Als Kind habe ich bei meinen Großeltern immer Deutsch gehört“, erzählt er. Seine Vorfahren stammen aus dem heutigen Nordrhein-Westfalen, 1869 waren sie nach Südbrasilien ausgewandert – wie viele andere. Tirp sagt: „Auf der Straße hört man bei uns immer noch oft Deutsch.“

Mit der Sprache kommt er gut zurecht

Per Online-Kursus machte er sich ausreichend fit in der Sprache, um ein Visum beantragen zu können – auch das: neben der Arbeit! „Das war eine anstrengende Zeit“, sagt Tirp. Mit der Sprache kommt er nun sehr gut zurecht, sogar mit dem Schwäbischen. Gewöhnungsbedürftig waren eher andere Dinge, etwa dass sonntags alle Läden geschlossen sind. Oder dass vieles hier noch auf Papier läuft, mit Kopien – zum Beispiel, wenn man den Führerschein umschreiben muss. „In Brasilien erledigen wir sehr viel per App“, erklärt Tirp. Von der sperrigen Verwaltung kann auch seine Chefin Christel Bez ein Lied singen. Mit zwei Geschwistern führt sie das Familienunternehmen.

Sie kümmerte sich auch um die Anwerbung und Einstellung von Tirp mitsamt dem dazugehörigen Papierkram. Daher weiß sie genau: „Die Formulare auszufüllen, ist ein wahrer Kraftakt, da die Behördensprache oft schwer zu verstehen ist.“ Dazu kommt: Der Landkreis Reutlingen, wo das Unternehmen ansässig ist, handhabt alles etwas anders als der Landkreis Balingen, wo Tirp wohnt. Wobei sich die Mühe gelohnt hat.

Tirp ist bereits der zweite Mitarbeiter aus Brasilien, der hilft, bei Emil Schmid die Fachkräftelücke zu füllen.Zusammengebracht wurden Firma und Fachkräfte über die IHK Reutlingen im Programm „Hand in Hand for international Talents“. Anlaufstelle in Brasilien ist die deutsche Auslandshandelskammer. Dort hatte Tirp sich beworben.

Ein brasilianischer Kollege hat ihn endgültig überzeugt

Das Vorstellungsgespräch fand dann nicht online, sondern persönlich vor Ort statt. Denn in dieser Zeit war er in München, um einen Sprachkurs und Freunde zu besuchen. So konnte er sich ein gutes Bild vom Unternehmen machen. Von diesem Aufenthalt wieder zurück in Brasilien, überlegte der 34-Jährige mit seiner Frau, ob sie den Sprung über den Großen Teich zu Emil Schmid wagen sollten. Überzeugt haben ihn letztendlich auch Gespräche mit Jairo Reinher, dem Schmid-Kollegen, der schon etwa ein Jahr vor Tirp aus Brasilien gekommen war. Reinher hatte erzählt, wie das Unternehmen die ausländischen Fachkräfte unterstützt – von Behördenangelegenheiten bis zur Wohnungssuche. „Das ist extrem wichtig“, meint Tirp.

Geht es denn jetzt über die Feiertage nach Westfália? Um dem trüben, nasskalten deutschen Winter zu entfliehen? Tirp schüttelt den Kopf. „Wir möchten Straßburg besichtigen“, sagt er, „und den Heiligen Abend hier verbringen. Meine Frau möchte gern Schnee haben.“ In der Tat: Die Chancen auf eine weiße Weihnacht stehen auf der Schwäbischen Alb besser als in Brasilien!

Das Unternehmen

Das Familienunternehmen Emil Schmid Maschinenbau baut Sondermaschinen, insbesondere für die Automobil-Industrie. Mit den Montagelinien fertigen die Kunden alles für den Antriebsstrang, für Verbrenner sowie für E-Fahrzeuge. Die Transformation ist das Unternehmen frühzeitig mitgegangen. In Sonnenbühl arbeiten 312 Beschäftigte, zur Schmid Gruppe gehören fünf weitere kleinere Unternehmen.

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

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