Selbstfahrende Autos sind noch Zukunftsmusik, die automatisierte Technik schreitet allerdings voran. Roman Suthold, Mobilitätsexperte des ADAC Nordrhein, glaubt an den großen Nutzen autonomer Fahrzeuge. Im Gespräch erklärt er, wie mit ethischen Fragen umgegangen werden könnte.

Seit Jahren wird über selbstfahrende Autos gesprochen, aber noch immer sitzt der Mensch am Steuer. Stockt die Entwicklung?

Aus meiner Sicht nicht. In Deutschland gibt es Modellversuche mit selbstfahrenden Fahrzeugen, in den USA und in Asien sind schon Robotertaxis unterwegs. Punktuell ist das autonome Fahren also Realität.

Dürfte man in Deutschland mit einem Fahrzeug ohne Lenkrad auf öffentlichen Straßen reisen?

Aktuell noch nicht. Wir unterscheiden in Europa beim automatisierten Fahren fünf Level (Anm. der Red.: Siehe Zusatzinfos im Kasten), wobei es in Level 5 nur noch Passagiere gibt. Im Moment haben wir vor allem Fahrzeuge der Stufe zwei, die mehrere Assistenzsysteme miteinander kombiniert.

Konkret heißt das, dass der Fahrer die Hände kurz vom Steuer nehmen kann, wenn der Wagen zum Beispiel eigenständig einparkt. Allerdings muss der Mensch immer eingreifen können und ist auch für Unfälle verantwortlich.

Mercedes hat jetzt als erster Hersteller eine Zulassung für Level-3-Fahrzeuge bekommen. Hier darf sich der Fahrer unterwegs zeitweise mit anderen Themen beschäftigen, ein Buch lesen oder einen Film gucken zum Beispiel. Das gilt bis Tempo 60.

Fahrzeuge im Level 5, also ohne Lenkrad, sind in Deutschland für den normalen Straßenverkehr noch nicht zugelassen. Weil der Mensch hier immer noch für Fehler haftet.

Wie groß ist die Akzeptanz für Assistenzsysteme und autonom fahrende Autos?

Noch ist das sehr zurückhaltend. Aber nur, weil die meisten Menschen noch keine Erfahrung damit gesammelt haben. Wer zum Beispiel einen Tesla mit seinen sehr ausgeprägten Assistenzsystemen gefahren ist, tendiert sogar schnell dazu, sich zu sehr auf die Technik zu verlassen und unvorsichtig zu werden.

Das Besondere bei diesem Hersteller ist, dass die Systeme lernend sind. Die Kameras scannen eine Strecke ab. Das heißt, wenn die Strecke mehrfach gefahren wurde, kennt das Auto die Knackpunkte in diesem Abschnitt zunehmend besser.

Es können aber immer Situationen auftreten, die das System doch nicht einschätzen kann, dann kommt es zu Unfällen.

Bei den Paralympics in Tokio fuhr 2021 ein selbstfahrender Kleinbus einen sehbehinderten Sportler an. Das System hatte damit gerechnet, dass der Sportler stehen bleibt. Das steigert nicht das Vertrauen in die Technik.

Die Software versucht mithilfe von Kameratechnik und Sensorik Vorhersagen zum Verkehrsgeschehen zu treffen. Hier können, wie beim Menschen auch, Fehler auftreten. Die Systeme sind noch nicht hundertprozentig ausgereift. Nicht umsonst müssen die Fahrer in Deutschland jederzeit bereit sein, ins Geschehen einzugreifen.

In anderen Ländern ist man eher bereit, aus der Praxis zu lernen. Im Zweifel werden nach einem Unfall riesige Schadenersatzsummen gezahlt.

Generell muss man wissen, dass aktuell mehr als 90 Prozent der Unfälle im Straßenverkehr auf menschliches Fehlverhalten zurückzuführen sind. Da ist also ein Riesenpotenzial für assistiertes und vollautonomes Fahren.

Was ist aber mit Extremsituationen? Wenn die Bremsen ausfallen, kann der Mensch entscheiden, ob er auf drei alte Menschen zufährt, die bei Rot über die Ampel laufen, oder das Auto auf eine Betonwand zusteuert und das Kind auf dem Rücksitz in Gefahr bringt. Wie geht die künstliche Intelligenz mit moralischen Fragen im Straßenverkehr um?

Der Mensch kann im Zweifel eine Entscheidung treffen, aber sie kann ethisch ebenfalls falsch sein. Wir haben in Deutschland extra eine Ethikkommission mit Experten aus vielen Bereichen gegründet. Diese hat klar definiert, dass in der Software bei unausweichlichen Unfällen keine Kategorisierung vorgenommen werden soll entsprechend dem Alter, Geschlecht oder der Hautfarbe. Unbeteiligte dürfen nicht geopfert werden.

Aber nach irgendwelchen Gesichtspunkten muss die Software ja im Ernstfall entscheiden.

In den USA wollte eine Forschungsgruppe von Teilnehmern einer Umfrage wissen, wie sie in gewissen Situationen handeln würden. Die Mehrheitsmeinung wurde dann als Grundlage für die Programmierung der Software genommen.

Wenn die Mehrheit der Befragten also sagt, die alte Frau ist nicht so hoch zu priorisieren wie die schwangere Frau oder das Kind, dann wird die Software entsprechend programmiert. In diesem Fall wäre es also nicht die Entscheidung eines einzelnen Programmierers, sondern der Gesellschaft. Mit dieser Studie war die Idee einer demokratischen Legitimierung verbunden.

Was in der Praxis aber nicht weniger brutal wäre.

Natürlich, da ja trotzdem jemand ums Leben käme. Aus meiner Sicht sind solche Dilemma-Situationen aber ohnehin reine Gedankenspiele.

Inwiefern?

Erstens haben wir noch gar keine gänzlich autonomen Fahrzeuge, und wenn es so weit ist, wird der Verkehr sicherer sein als heute. Man unterstellt, dass die Software im Zweifel gar keine Risiken eingeht.

Im Idealfall werden die selbstfahrenden Autos miteinander kommunizieren, sich gegenseitig warnen und mit Ampelanlagen oder Schildern in Kontakt treten können. Das Geschwindigkeitsniveau wird insgesamt niedriger sein, der Verkehr entspannter ablaufen.

Fußgänger und Radfahrer werden wahrscheinlich verpflichtet sein, Sensoren zu tragen, damit sie von den Systemen wahrgenommen werden. Wir werden Unfälle nicht zu 100 Prozent vermeiden können, aber sie werden stark abnehmen. Technik hat in der Vergangenheit immer Leben gerettet.

Das funktioniert aber nur, wenn sämtliche Autos vernetzt und autonom fahren…

Ja. Es wird eine Übergangszeit geben, in der klassische und autonome Fahrzeuge gemeinsam unterwegs sind. Techniker sagen, dass diese Situation mit größeren Risiken behaftet sein wird, als es heute der Fall ist.

Der Risikofaktor ist dann der Mensch, der für die Software schwer zu kalkulieren ist. Diese Zwischenphase wird aber sehr kurz sein. Denn wenn die Software ausgereift genug ist, werden die Versicherungen ganz schnell dafür sorgen, dass jeder sie nutzt. Weil der Mensch dann wirklich der Störfaktor im System ist. In diesem Fall müssten allerdings die Softwareentwickler in die Unfallhaftung eintreten.

Wann wird es voraussichtlich so weit sein?

Das wird nicht vor 2045 sein. Was wir aber erleben werden, ist, dass 2030 erste Weltmetropolen wie Schanghai, New York oder London dem autonomen Fahren in ihren Innenstädten den Vorrang geben.

Auch vor dem Hintergrund, dass man viel größere Verkehrsmengen mit kleineren und wenigen Fahrzeugen abwickeln kann. Der Kunde kann sich dann per App ein autonomes Shuttle mit mehreren Fahrgästen vor die Haustür bestellen, das ihn zu den Hauptachsen des öffentlichen Personen-Nahverkehrs bringt. Privatautos wird es langfristig kaum noch geben.

Die fünf Level des automatisierten Fahrens

  • Level 1: Assistiertes Fahren Der Fahrer beherrscht ständig sein Fahrzeug und haftet bei Schäden und Verstößen. Einzelne Assistenzsysteme wie etwa ein automatischer Abstandsregeltempomat unterstützen bei bestimmten Fahraufgaben.
  • Level 2: Teilautomatisiertes Fahren Zeitweilig kann der Pkw Aufgaben ohne Eingriff des Menschen ausführen. Das Fahrzeug ist etwa in der Lage, auf der Autobahn die Spur zu halten, zu bremsen und zu beschleunigen. Im Unterschied zum Level 1 kann der Fahrer die Hände kurz vom Steuer nehmen. Er muss allerdings die Kontrolle behalten und wäre für einen Unfall verantwortlich.
  • Level 3: Hochautomatisiertes Fahren Der Fahrer darf sich vorübergehend vom Verkehr abwenden, während das Fahrzeug in bestimmten Situationen selbstständig handelt. Wenn das System allerdings ein Problem erkennt und sich durch ein Signal meldet, muss der Fahrer umgehend das Steuer übernehmen.
  • Level 4: Autonomes Fahren Das Auto bewältigt alle Verkehrssituationen eigenständig. Ein Steuer ist jedoch an Bord, um eingreifen zu können.
  • Level 5: Der Fahrer wird zum Passagier Der Pkw erledigt selbst komplexe Situationen eigenständig. Es gibt keinen Autofahrer mehr, sondern nur noch Passagiere.
Tobias Christ
Autor

Nach seinem Germanistik-Studium in Siegen und Köln arbeitete Tobias Christ als Redakteur und Pauschalist bei Tageszeitungen wie der „Siegener Zeitung“ oder dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Derzeit schreibt er als freier Journalist Beiträge für Print- oder Onlinemedien. Für aktiv recherchiert er vor allem Ratgeberartikel, etwa rund um die Themen Mobilität und Arbeitsrecht. Privat wandert der Kölner gern oder treibt sich auf Oldtimermessen herum.

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