Die Chat-Nachrichten waren verstörend. Als „Polacke“, den man „umnieten“ müsse, wurde ein Kollege in der Whatsapp-Gruppe beleidigt. Die Gruppenmitglieder – alle sieben aus demselben Betrieb – schwadronierten über eine „zionistische Herrscherlobby“. Mitarbeiter mit afrikanischem Migrationshintergrund wurden mit dem „N-Wort“ verunglimpft. Mit den unappetitlichen Chats befasste sich im August 2023 das Bundesarbeitsgericht (BAG) in Erfurt. Denn der Arbeitgeber hatte Wind von den Hass-Posts bekommen – und den Hetzern gekündigt, in Absprache mit dem Betriebsrat. Die Betroffenen zogen dann durch mehrere Instanzen: Lästern in privaten Chat-Gruppen müsse doch wohl erlaubt sein? Kommt darauf an, urteilte das oberste deutsche Arbeitsgericht – und erklärte die Kündigungen für machbar.
Wo endet Meinung, wo beginnt Hass?
Der Kollegen-Chat aus Niedersachsen ist leider kein Einzelfall. Hass und Hetze haben Konjunktur, vor allem auch in den „sozialen“ Medien. Die Leidtragenden sind oft Minderheiten, zum Beispiel Menschen jüdischen Glaubens: Seit dem Angriff der terroristischen Hamas auf Israel fühlen sie sich auch hierzulande wieder bedroht. Vielen Migranten geht es ähnlich: Seit die Ausweisungsfantasien von Rechtsextremisten und AfD-Politikern bekannt wurden, fürchten sie eine Machtübernahme von rechts noch mehr.
Immerhin gibt es nun endlich deutlichen Widerstand gegen rechtsextreme Hetze. Hunderttausende gehen dagegen auf die Straße. Verbände, Gewerkschaften und auch Unternehmen beziehen deutlich Stellung. So sagt Arndt G. Kirchhoff, Präsident des Arbeitgeberverbands Metall NRW, über die AfD: „Diese Partei ist nicht nur für unsere Demokratie, sondern auch für unsere wirtschaftliche Zukunftsfähigkeit eine Gefahr.“ Der Deutsche Gewerkschaftsbund nennt die AfD einen „Feind der Beschäftigten“.
Viele setzten sich mittlerweile sichtbar für Toleranz und Vielfalt ein. Wir haben uns mal in Stuttgart umgehört und Leute zu dem Thema gefragt.
Was kann man aber tun, wenn Extreme – ob von links oder rechts oder religiöse Hetzer – im eigenen Betrieb miese Stimmung machen? Wo endet die freie Meinungsäußerung, wo beginnt der Hass?
Agitation kann den Betriebsfrieden stören
Die Meinungsfreiheit sei zwar ein im Grundgesetz verankertes Recht, sagt David Beitz, Chefjurist des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall. „Aber sie hat auch Grenzen. Beleidigungen zum Beispiel, die nur auf die Person abzielen, oder rassistische, menschenunwürdige Verunglimpfungen sind nicht von der Meinungsfreiheit geschützt.“ Das Zeigen des Hitlergrußes oder das Schwenken der Hamas-Flagge gelten denn auch nicht als Meinungsäußerung, sondern als Straftat.
Dennoch sind die Grenzen dessen, was man sagen darf, auch im Betrieb sehr weit. „Die Meinungsfreiheit endet nicht Werktor“, sagt Beitz. Anders als im kirchlichen oder im öffentlichen Dienst haben Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft keine „politischen Treuepflichten“ gegenüber ihrem Arbeitgeber. Heißt: Ist etwa ein Chef gegen Abtreibung, darf man trotzdem eine andere Meinung äußern – auch im Betrieb.
„Die Grenze ist erreicht, wo eine politische Meinungsäußerung den Betriebsfrieden stört“, erklärt Beitz. Wann genau das der Fall ist, hatten Gerichte in den letzten Jahrzehnten immer mal wieder zu entscheiden. Ein klassischer Fall ist aus dem Jahr 1982: Ein Mitarbeiter hatte ständig eine große Anti-Strauß-Plakette am Hemd getragen und damit seine Abneigung gegen den damaligen CSU-Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß zum Ausdruck gebracht. Das war eine Provokation, die den Betriebsfrieden störte, so das BAG: Die fristlose Kündigung war damit angemessen. „Der Grund waren die Größe der Plakette und die Dauer der Zurschaustellung“, erklärt Beitz.
Am Arbeitsplatz: Diskussion erwünscht, Diskriminierung nicht
Nun kommt bei vielen Menschen generell schnell Unsicherheit auf, wenn im Kollegenkreis über polarisierende Themen diskutiert wird. Laut „Freiheitsindex 2023“, einer groß angelegten Studie von Allensbach und Media Tenor, glauben nur noch 40 Prozent der Bundesbürger, ihre Meinung frei äußern zu können. Die „gefühlte Meinungsfreiheit“ ist damit auf einem auf die Dauer gefährlichen Tiefstand. Zum Vergleich: 1990 hatten noch rund 80 Prozent der Bürger dieses Freiheitsgefühl.
Die aktuelle Bewertung mag daran liegen, dass das Bewusstsein für diskriminierendes Verhalten heute viel größer ist als damals. Das bekommen auch die unabhängigen Antidiskriminierungs-Beratungsstellen im Land zu spüren: Mitunter gibt es lange Wartelisten oder sogar Aufnahmestopps. „Dabei ist es wichtiger denn je, das Beratungsangebot auszubauen und Betroffene zu unterstützen“, sagt Eva Andrades, Geschäftsführerin des Antidiskriminierungsverbands Deutschland. Besonders in der Arbeitswelt könne eine externe Beratung Betroffenen helfen: Wer im Betrieb auf Diskriminierung aufmerksam mache, brauche Mut – und Menschen, die einem den Rücken stärken.
„Ich würde mir als Arbeitgeber wünschen, dass Arbeitnehmer melden, wenn Kollegen etwa wegen ihrer Herkunft beleidigt werden“, sagt Jurist Beitz dazu. „Schweigen ist jedenfalls keine Lösung.“
Wie man im Job auf Hetze reagiert
- Ansprechen: Viele ertragen Diskriminierung lange still, weil ihnen der Rückhalt fehlt. Bemerkt man Hetze, sollte man direkt auf die betroffene Person zugehen und ihr Unterstützung anbieten! Das rät Eva Andrades vom Antidiskriminierungsverband Deutschland.
- Dokumentieren: Ein übler Vorfall sollte schnell in einem Gedächtnisprotokoll festgehalten werden. Für die spätere Klärung ist wichtig: Wer hat wann was gesagt – und welche Kollegen können das bezeugen?
- Beratung suchen: Vorgesetzte, die Personalabteilung, der Betriebsrat oder eine interne Meldestelle sind gute Anlaufstellen für die Meldung eines Vorfalls. Ansprechbar ist außerdem die Antidiskriminierungsstelle des Bundes: beratung@ads.bund.de
Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band.
Alle Beiträge des AutorsNadine Keuthen stürzt sich bei aktiv gerne auf Themen aus der Welt der Wissenschaft und Forschung. Die Begeisterung dafür haben ihr Masterstudium Technik- und Innovationskommunikation und ihre Zeit beim Kinderradio geweckt. Zuvor wurde sie an der Hochschule Macromedia als Journalistin ausgebildet und arbeitete im Lokalfunk und in der Sportberichterstattung. Sobald die Sonne scheint, ist Nadine mit dem Camper unterwegs und schnürt die Wanderschuhe.
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