Herr Beitz, das Recht auf freie Meinungsäußerung ist ein Grundrecht. Dürfen Beschäftigte auch im Betrieb also jederzeit äußern, was sie wollen – zum Beispiel extreme politische Ansichten?
Die Meinungsfreiheit endet nicht am Werkstor. Und was die politischen Ansichten angeht, darf in der Privatwirtschaft jeder sagen, was er will. Denn hier haben Arbeitnehmer – anders als etwa Angestellte im öffentlichen Dienst oder in der Kirche – grundsätzlich keine politischen Treuepflichten gegenüber ihrem Arbeitgeber. Auch extreme Aktivitäten sind prinzipiell kein Kündigungsgrund, sofern sie außerhalb der Dienstzeit stattfinden und ein Bezug zum Arbeitgeber beziehungsweise der beruflichen Tätigkeit fehlt. Etwas anders sieht die Lage im Betrieb aus.
Also gilt die Meinungsfreiheit in Büro und Werkhalle nur abgeschwächt?
Sie gilt. Aber sie endet dort, wo der Betriebsfriede bedroht ist. Das Bundesarbeitsgericht hat in mehreren Urteilen entschieden, dass eine provozierende politische Meinungsäußerung dem Betriebsfrieden schaden kann und deshalb zu einer Abmahnung oder je nach Schweregrad sogar Kündigung führen kann.
Können Sie ein Beispiel geben?
Ein klassisches Urteil – aus einer anderen Zeit – betrifft eine sogenannte Anti-Strauß-Plakette. Ein Arbeitnehmer trug damals in seiner Schicht immer eine 15 Zentimeter große Plakette, auf der eine durchgestrichene Karikatur des damaligen CSU-Kanzlerkandidaten Franz-Josef Strauß zu sehen war. Das wollte der Arbeitgeber nicht hinnehmen und klagte; 1982 entschied dann das Bundesarbeitsgericht, das durch diese ständige politische Provokation der Betriebsfriede und damit die Arbeitsabläufe gestört wurden. Die fristlose Kündigung war damit angemessen.
Wegen der Wiederholung also.
Genau. Die bloße vereinzelte Mitteilung der eigenen politischen Ansicht – auch einer abwegigen – rechtfertigt allein noch nicht die Annahme einer Störung des Betriebsfriedens. Der Umfang und die Häufigkeit der Agitation spielen da eine wichtige Rolle.
Was ist mit ausländerfeindlichen oder antisemitischen Aussagen?
Ein wichtiger Punkt. Denn Hass und Hetze sind durch die Meinungsfreiheit nicht gedeckt! Die Grenze ist erreicht bei Diffamierungen, Beleidigung oder gar menschenunwürdigen Aussagen. Das zeigen Fälle aus der Rechtsprechung sehr deutlich. Wer eine Kollegin mit asiatischen Wurzeln als „Ming-Vase“ bezeichnet oder einen dunkelhäutigen Kollegen mit Affenlauten verunglimpft, riskiert die sofortige Kündigung. „Allgemein“ ausländerfeindliche Sätze dagegen, die sich nicht gegen einen konkreten Kollegen oder Vorgesetzten richten, können im Einzelfall gerade noch von der Meinungsfreiheit gedeckt sein – so bedauerlich sie sind.
Zusammengefasst: Eine Meinung – auch eine extreme – darf man, ohne Angst zu haben, im Betrieb äußern.
So ist es. Solange es um die Sache geht, dürfen Auseinandersetzungen auch mit überzogenen und ausfälligen Äußerungen geführt werden. Aber auch hier gilt, dass der Betriebsfriede dadurch nicht bedroht werden darf.
Welche Strafen drohen dagegen Hetzern?
Das kommt auf den Einzelfall an. Wer verfassungsfeindliche Symbole wie den Hitlergruß zeigt oder verbotene Propagandamittel wie eine Hamas-Fahne schwenkt, dem drohen eine Geld- oder sogar eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren. Die rassistische oder antisemitische Beleidigung eines Kollegen kann eine Abmahnung oder sogar eine fristlose Kündigung nach sich ziehen. Und wenn der Geschädigte gegen den Hetzer vor Gericht zieht, auch eine Geld- oder Freiheitsstrafe.
Kommen solche Hetzreden und Beleidigungen in Betrieben oft vor?
Wir hören aus unseren Regionalverbänden immer wieder von solchen Fällen, die aber glücklicherweise selten sind. Wir schulen auch unsere Verbandskollegen im Umgang damit. Denn die Abgrenzung, ob es sich bei einer Äußerung noch um zulässige Kritik oder bereits um eine unzulässige Diffamierung handelt, ist im Einzelfall schwierig. Deshalb beobachten wir die Entscheidungen der Gerichte hier sehr aufmerksam.
Welche Urteile sind Ihnen da zuletzt aufgefallen?
Zum Beispiel zwei vom Arbeitsgericht Stuttgart: Dort haben zwei Arbeitnehmer gegen ihre Kündigung bei der Daimler AG geklagt. Die Männer hatten einen türkischen Kollegen und dessen Tochter über einen längeren Zeitraum massiv rassistisch beleidigt und regelmäßig islamfeindliche Chat-Nachrichten geschickt. Das Arbeitsgericht hielt beide Kündigungen für gerechtfertigt, weil die Beleidigungen dauerhaft und sehr schwer waren. In einem anderen Verfahren dagegen bekam ein gekündigter Arbeitnehmer Recht: Das Gericht hielt hier eine Abmahnung für das bessere Mittel. Der Mann hatte eine Reinigungskraft wegen ihrer dunklen Hautfarbe menschenverachtend beleidigt. Für die Richter war das zwar gravierend – aber eine „singuläre Entgleisung“, weil der Mann sonst noch nie als ausländerfeindlich aufgefallen war.
Was können Mitarbeiter tun, die selbst Opfer von Hass und Hetze im Betrieb werden?
Ich würde dazu raten, den Konflikt erst innerbetrieblich zu lösen. Falls möglich, sollte man den Vorgesetzen oder die Personalabteilung ansprechen. In manchen Betrieben gibt es zudem spezielle Mobbingbeauftragte oder eine interne Meldestelle. Auch der Betriebsrat ist eine gute Anlaufstelle. Ich würde mir als Arbeitgeber wünschen, dass Arbeitnehmer melden, wenn jemand mit einer Scharia-Flagge durch den Betrieb läuft oder Kollegen wegen ihrer Herkunft oder ihres Geschlechts beleidigt. Schweigen ist hier jedenfalls keine Lösung.
Michael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band.
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