Hannover. Am 20. Januar setzen die Tarifparteien der niedersächsischen Metall- und Elektro-Industrie (M+E) die Tarifrunde 2020/21 fort. Die Unternehmen befinden sich in einer Ausnahmesituation. Sie leiden unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie ganz besonders. Schon in der ersten Tarifverhandlung kurz vor Weihnachten hatte Torsten Muscharski, Verhandlungsführer der Arbeitgeber, klargemacht: „Noch mehr Lasten durch höhere Tarifentgelte können unsere Unternehmen nicht stemmen.“

Die M+E-Industrie ist das Herz der niedersächsischen Wirtschaft. Sie ist international gut vernetzt, exportiert etwa Maschinen, Ausrüstungsgüter und nicht zuletzt Autos in alle Welt. Doch wie Atlas aus der griechischen Mythologie, der unter der Last der Weltkugel auf seinen Schultern ächzt, müssen zurzeit die M+E-Unternehmen die Folgen von Corona schultern.

Die Corona-Pandemie stellt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie vor nie gekannte existenzielle Herausforderungen. Das ergab eine Umfrage der Arbeitgeberverbände schon im Frühjahr 2020.

Die Umsätze in der Metall- und Elektro-Industrie lagen damals im Schnitt rund 40 Prozent unter dem Vorjahresniveau. Etliche Unternehmen fuhren mit weniger als 50 Prozent Auslastung. 75 Prozent der Unternehmen erwarteten, dass sich die Auftragslage im zweiten Halbjahr noch einmal verschlechtern wird. Schon im Sommer mahnte der Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall, dass die Ruhe trügerisch sei. „Wir befürchten eine Verlagerung von Arbeitsplätzen ins südosteuropäische Ausland. Diese Arbeitsplätze sind unwiederbringlich weg“, so Hauptgeschäftsführer Dr. Volker Schmidt.

Deutschland erlebt die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg

In dieser Situation haben die damals gerade verhandelnden Tarifpartner in der niedersächsischen Metall- und Elektro-Industrie schnell, vernünftig und mit Augenmaß gehandelt: Der vereinbarte „Solidartarifvertrag“ half und hilft noch immer, die Betriebe in dieser existenzbedrohenden Zeit zu stützen.

Denn nur wenn die Unternehmen diese Krise überbrücken, können sie ihre Geschäfte weiterverfolgen und langfristig Jobs bereitstellen. Der Vertrag gab ihnen zumindest für die nächsten zwölf Monate Planungssicherheit. Zusätzlich verlieh die Neuregelung der Kurzarbeit den dringend benötigten finanziellen Spielraum, um Beschäftigungsabbau im größeren Stil zu vermeiden. Dieser Solidartarifvertrag lief am 31. Dezember aus. Es gilt, neu zu verhandeln. Am 16. Dezember war in Niedersachsen der Start. Die IG Metall fordert in dieser Tarifrunde unter anderem 4 Prozent mehr Lohn – sowie eine Absenkung der Wochenarbeitszeit mit Lohnausgleich, was sich im Endeffekt wie eine Lohnerhöhung auswirkt.

Doch ist jetzt wirklich der geeignete Zeitpunkt für solche Pläne? Ein Blick in die Betriebe und auf die weltwirtschaftliche Entwicklung offenbart: Die Lage ist nach wie vor sehr angespannt! Durch Corona erlebt Deutschland die schlimmste Krise seit dem Zweiten Weltkrieg. Doch wie schon zu Beginn des Jahres wird auch die Tarifrunde 2021 durch den Krisen-Mix aus Strukturwandel und sich beschleunigender Corona-Pandemie geprägt.

Trotz massiver Einbrüche bei Produktion und Aufträgen müssen die Betriebe Investitionen für die Zukunft stemmen. Das zeigen Umfragen und Gespräche, die der Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall unter seinen Mitgliedsunternehmen durchführte. Betroffen sind viele Automobilzulieferer. Aber auch die norddeutsche Luftfahrt-Industrie steht mit dem Rücken zur Wand. Bei einem von NiedersachsenMetall ins Leben gerufenen Luftfahrt-Krisengipfel sagte Hauptgeschäftsführer Schmidt: „Kaum eine Branche wird derzeit so von Corona gebeutelt. Eine miserable Auftragslage und wachsende Liquiditätsengpässe prägen seit Monaten das Bild.“

Arbeitgeber-Verhandlungsführer Muscharski sagt: „Die wirtschaftliche Lage der meisten Betriebe ist schlecht, ihre Erholung wird noch lange dauern. Wir haben nur sehr wenige Leuchttürme in Niedersachsen, die in Wachstumsbranchen zu Hause sind. Deshalb ist es so wichtig, dass wir differenzieren. Zusätzliche Kosten für alle – das ist nicht darstellbar.“ Daher müsse man im Strukturwandel künftige Wettbewerbsfähigkeit auf- und ausbauen und nicht noch einschränken.

Schaut man auf die Arbeitskosten, ist Deutschland nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft bereits ein weltweiter Spitzenreiter. 45 Euro kostet hier eine Stunde Arbeit. Diese 45 Euro sind nicht der durchschnittliche Stundenlohn: In die Vergleichsrechnung fließen außer dem Entgelt die Bezahlung arbeitsfreier Zeiten wie Urlaub und Beiträge des Betriebs zur Sozialversicherung sowie zum Beispiel das Weihnachtsgeld ein.

Arbeit nicht noch teurer machen

Aus den Chefetagen von Mitgliedsunternehmen kommt Zustimmung. „Die wirtschaftliche Lage passt überhaupt nicht zu den Vorstellungen der IG Metall zu einer Vier-Tage-Woche mit teilweisem Lohnausgleich“, sagt Francoise Frost, Personalleiterin von Arconic Extrusions in Hannover. „Wichtig ist, dass wir die Kosten senken und die Arbeit hier vor Ort nicht noch teurer machen.“ Auch für Wolfgang Niemsch, Geschäftsführer von Lanico Maschinenbau in Braunschweig, kommt die Forderung zur Unzeit: „Die zukünftigen Tarifverträge müssen mehr Differenzierungsspielräume mit Entscheidungsgewalt auf der betrieblichen Ebene ermöglichen.“

Werner Fricke
Autor

Werner Fricke kennt die niedersächsische Metall- und Elektro-Industrie aus dem Effeff. Denn nach seiner Tätigkeit als Journalist in Hannover wechselte er als Leiter der Geschäftsstelle zum Arbeitgeberverband NiedersachsenMetall. So schreibt er für aktiv über norddeutsche Betriebe und deren Mitarbeiter. Als Fan von Hannover 96 erlebt er in seiner Freizeit Höhen und Tiefen.

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