Berlin/Köln. Im Jahr 2020 haben die mehr als 100 gesetzlichen Krankenkassen ein fettes Defizit eingefahren – das mit Abstand größte Minus seit 2003. Dutzende Kassen haben denn auch ihren Zusatzbeitrag zum Jahreswechsel angehoben. Ist ja klar, denkt man sich, war wohl wegen Corona. Aber so einfach ist es nicht!

Pandemie hin oder her: Die finanzielle Lage des Gesundheitssystems wird ein wichtiges Thema für die nächste Bundesregierung.

Zunächst muss man wissen, dass Corona den Kassen auch Geld gespart hat, zumindest vorübergehend: durch verschobene oder ausgefallene Behandlungen. Schwerer wiegen aber die anderen Folgen der Krise. Zum einen sind da, wie der Ersatzkassenverband VDEK feststellt, die „pandemiebedingten Mehrausgaben“ etwa für Intensivbetten, Schutzausrüstungen oder Tests. Zum anderen führen millionenfache Kurzarbeit und höhere Arbeitslosigkeit zu geringeren Beitragseinnahmen.

Teure Reformen haben die Kosten schon vor 2020 dauerhaft in die Höhe getrieben

Aber wichtiger noch: Schon vor Corona haben viele teure politische Reformen die Kosten dauerhaft in die Höhe getrieben. Stärkung des Pflegepersonals oder besserer Terminservice zum Beispiel sind ja sinnvoll, müssen aber bezahlt werden.

Das Defizit der Krankenkassen von fast 2,7 Milliarden Euro im Jahr 2020 entspricht immerhin gut 1 Prozent des von ihnen bewegten Geldes. Wobei die Kassen zugleich einerseits ihre Rücklagen um 8 Milliarden Euro verringert und andererseits 3,5 Milliarden Extra-Zuschuss vom Bund kassiert haben.

2021 gibt es sogar 5 Extra-Milliarden und damit insgesamt 19,5 Milliarden Euro aus Steuermitteln: so viel wie noch nie. Tendenz: weiter stark steigend, wenn es nach Gesundheitsminister Jens Spahn geht, der für 2022 schon entsprechende Forderungen gestellt hat.

„Die Vermögen der Kassen werden im Laufe des Jahres weitestgehend aufgebraucht sein“, warnt jedenfalls der VDEK. „Wenn nichts geschieht, besteht das Risiko, dass sich die Zusatzbeitragssätze für 2022 nahezu verdoppeln.“

Steigende Zusatzbeiträge belasten auch die Betriebe

Aber das wäre natürlich kein gangbarer Weg, wie Jochen Pimpertz betont, Experte fürs Thema am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. Schließlich bezahlen die Betriebe auch den Zusatzbeitrag zur Hälfte – und steigende Lohnzusatzkosten gilt es am ohnehin schon sehr teuren Standort D zu vermeiden.

„Es ist wichtig und richtig, die Sozialbeitragsbelastung in der Summe auch weiterhin unter 40 Prozent zu halten“, betont Pimpertz. Steigende Steuerzuschüsse seien also nötig. „Sie ändern aber nichts an den zwei Grundproblemen, die hinter der Kostendynamik stecken“, erklärt der Ökonom: „Der medizinisch-technische Fortschritt bringt bessere, aber eben oft auch kostspieligere Behandlungsmöglichkeiten. Und in unserer alternden Gesellschaft gibt es immer mehr Rentner, die weniger Beiträge zahlen, aber überdurchschnittlich hohe Ausgaben verursachen.“

Experte: Die freie Arztwahl sollte nicht mehr kostenlos zu haben sein

Man müsse also auf der Ausgabenseite gegenhalten, fordert Pimpertz – und nicht zuletzt „Fehlanreize im System“ abstellen. Die bisher kostenlose freie Arztwahl etwa sollte es nur noch gegen einen privat zu zahlenden Beitragszuschlag geben.

Der Hausarzt wiederum sollte endlich als echter „Türöffner“ zu den Fachärzten fungieren: „Norwegen macht uns das vor“, so Pimpertz. Auch die neue elektronische Patientenakte dürfte auf Dauer wohl Einsparungen bringen. Wobei noch unklar ist, wer diese Effizienzgewinne am Ende verbuchen darf.

Viel Arbeit also für die nächste Bundesregierung – eine schnelle Patentlösung für das massive Finanzproblem der gesetzlichen Kassen ist jedenfalls nicht in Sicht.

Übrigens: Mit dem Wechsel zu einer Krankenkasse mit geringerem Zusatzbeitrag kann jede und jeder gutes Geld sparen – was zugleich auch der Firma nützt. Ausführlich erklären wir hier auf aktiv-online.de, warum der Kassenwechsel seit Anfang 2021 einfacher als je zuvor ist.

Thomas Hofinger
Chef vom Dienst aktiv

Thomas Hofinger schreibt über Wirtschafts-, Sozial- und Tarifpolitik – und betreut die Ratgeber rund ums Geld. Nach einer Banklehre sowie dem Studium der VWL und der Geschichte machte er sein Volontariat bei einer großen Tageszeitung. Es folgten einige Berufsjahre als Redakteur und eine lange Elternzeit. 2006 heuerte Hofinger bei Deutschlands größter Wirtschaftszeitung aktiv an. In seiner Freizeit spielt er Schach und liest, gerne auch Comics.

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