Stuttgart. Die deutsche Wirtschaft erlebt äußerst schwierige Zeiten, vor allem der Mittelstand. Eine jüngst vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) durchgeführte Umfrage zeigt, wie enorm kritisch die Lage ist. 71 Prozent der knapp 600 befragten mittelständischen Industrieunternehmen sind von Lieferschwierigkeiten betroffen, 6 Prozent sogar existenziell. Fast jedes zehnte Unternehmen hat aufgrund der hohen Energiepreise die Produktion bereits eingeschränkt oder unterbrochen. Etwa 40 Prozent müssen jetzt wichtige Investitionen in die ökologische und digitale Transformation zurückstellen. Ein gutes Fünftel schließt die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland nicht aus.

Die Kostensteigerungen bei Energie und Rohstoffen stellen auch und gerade die exportorientierten Metall- und Elektro-Unternehmen in Baden-Württemberg vor große Probleme. Selbst Unternehmen, die bisher recht gut durch die Krise gekommen sind, blicken mit Sorge in die Zukunft. Wann sich die Lage entspannen wird, ist im Moment völlig unklar.

Über die konkreten Hürden und Ungewissheiten für ihre Unternehmen hat aktiv mit zwei Firmenchefs gesprochen.

„Für 2023 bin ich wenig optimistisch“

Uwe Habisch, Geschäftsführer des Automobilzulieferers Saxonia Umformtechnik in Göppingen: „Die aktuelle Situation in der Fahrzeugbranche ist sehr angespannt und dies schon seit 2018/2019. Corona hat das noch verstärkt, und im abgelaufenen Geschäftsjahr mussten wir erneute Absatzeinbußen hinnehmen. Das Problem dabei ist: Nur wenn Unternehmen Gewinne machen, können sie in ihre Standorte reinvestieren und neue Entwicklungen finanzieren. Ansonsten steht die Zukunft des Unternehmens infrage.

Für 2023 bin ich wenig optimistisch, denn wir stehen vor einer sehr unsicheren Gemengelage. Ein ganz wesentliches Problem für uns sind etwa die coronabedingten Schließungen in China, die erhebliche Auswirkungen auf die weltweiten Lieferketten haben. Die wirken sich wiederum auf unseren Absatz aus, weil unsere Kunden weniger Fahrzeuge produzieren. Hinzu kommen höhere Kosten für Energie, höhere Kosten für Rohstoffe, für Verpackungen und viele weitere Kleinigkeiten. Leider akzeptieren unsere Kunden nicht ohne Weiteres die höheren Preise und wir können sie darum nicht gleich eins zu eins weiterreichen.

„Im Moment müssen wir uns alle klarmachen, dass etwas weniger am Ende mehr ist.“

Die horrenden Energiepreise, die erst noch auf uns zukommen, werden uns alle sehr beschäftigen. Mit uns alle meine ich: die Unternehmen und die ganze Gesellschaft. Jeder Einzelne muss sich jetzt fragen: Was kann ich selbst dazu beitragen, dass wir uns langfristig nicht kaputt machen? Wo bin ich bereit, mich einzuschränken? Unser Wohlstand ist sehr hoch. Und im Moment müssen wir uns alle klarmachen, dass etwas weniger am Ende mehr ist – für die Nachhaltigkeit, für den Erhalt des Wirtschaftsstandorts und für uns als Gesellschaft insgesamt. Und wenn die Zeiten wieder besser sind, werden auch wieder alle davon profitieren.“

„Die Preise für Metalle sind durch die Decke gegangen“

Hans Jürgen Kalmbach, CEO des Armaturen- und Brausen-Herstellers Hansgrohe in Schiltach: „Sowohl Hansgrohe als auch die deutsche Wirtschaft insgesamt stehen aktuell vor größeren Herausforderungen denn je. Bei Hansgrohe liegt ein sehr gutes Jahr hinter uns, vor allem wegen der Pandemie. Denn die Menschen haben ihr Geld eher in ihr Zuhause gesteckt als zum Beispiel in Urlaub. Jetzt zeichnet sich aber eine Trendwende im Baumarkt ab, infolge der höheren Kosten. In Zentraleuropa etwa stagnieren unsere Auftragseingänge.

So beschäftigt uns die Inflation von zwei Seiten her: zum einen durch die nachlassende Nachfrage, zum anderen beim Einkauf. Infolge der Engpässe an den Rohstoffmärkten sind die Preise für die Metalle, die wir verarbeiten, durch die Decke gegangen – vor allem für Kupfer und Zink. Diese Preissteigerungen mussten wir zwangsläufig weitergeben. Dadurch werden unsere Produkte allerdings teurer. Wir fragen uns: Wie lange kann das so gehen? Wie viele Preiserhöhungen kann der Markt vertragen?

„In Sachen Energie haben wir uns auf eine Mangellage vorbereitet.“

Die Lieferkettenstörungen sind für uns ebenfalls ein riesiges Thema, weil wir auch Lieferanten in Asien und Produktionsstätten in China haben, von denen wir Vorprodukte beziehen. In Sachen Energie haben wir eine Taskforce aufgebaut, um uns auf eine Mangellage im Winter einzustellen. Zum Glück haben wir in den letzten Jahren viel in Energieeffizienz investiert. Für die Heizung haben wir von Gas auf Öl umgestellt, in den Gebäuden werden wir die Temperaturen absenken.

Für das kommende Geschäftsjahr kalkulieren wir mit drei Szenarien. Die reichen von einem leichten Wachstum bis zu einem Absatzrückgang im schlimmsten Fall. Wir sind allerdings optimistisch, dass wir es gemeinsam auch durch diese Krise schaffen.“

So schwer trifft die Krise den industriellen Mittelstand

  • 90 Prozent der deutschen Mittelständler sehen die Rohstoff- und Energiepreise als große bis existenzielle Herausforderung.
  • 71 Prozent sind von Lieferschwierigkeiten betroffen.
  • Fast 10 Prozent haben die Produktion bereits gedrosselt oder unterbrochen.
  • 40 Prozent müssen Investitionen in die ökologische und digitale Transformation zurückstellen.
  • 21 Prozent denken über die Verlagerung von Jobs oder der ganzen Firma ins Ausland nach.

Quelle: BDI, Umfrage unter knapp 600 Firmen

Ursula Wirtz
aktiv-Redakteurin

Als Mitglied der Stuttgarter aktiv-Redaktion berichtet Ursula Wirtz aus den Metall- und Elektrounternehmen in Baden-Württemberg sowie über Konjunktur- und Ratgeberthemen. Sie studierte Romanistik und Wirtschaftswissenschaften. Später stieg sie bei einem Fachzeitschriftenverlag für Haustechnik und Metall am Bau in den Journalismus ein. Neben dem Wirtschaftswachstum beobachtet sie am liebsten das Pflanzenwachstum in ihrem Garten.

Alle Beiträge der Autorin