München/Dingolfing/Ingolstadt/Friedrichshafen/Memmingen. Ein Auto ohne Sicherheitsgurt: heute unvorstellbar! Und es wäre auch gar nicht erlaubt. Denn dieses Sicherheitsfeature ist seit Jahren vorgeschrieben. Auch Airbags gehören schon lange zur Serienausstattung. Zusammen mit Regelungen wie Promillegrenze und Tempolimit auf Landstraßen hat dies das Autofahren weitaus sicherer gemacht als noch vor einigen Jahrzehnten.

So kamen 1970 in Deutschland noch mehr als 21.000 Menschen im Straßenverkehr ums Leben. Heute ist es laut Statistik „nur“ noch ein Zehntel. Doch natürlich ist jeder schwere Unfall einer zu viel. Fahrzeughersteller und Zulieferer entwickeln deshalb kontinuierlich immer besseren Schutz für die Fahrzeuginsassen und die übrigen Verkehrsteilnehmer.

Eine neue EU-Verordnung soll die Straßenverkehrssicherheit noch weiter erhöhen. Eine ganze Reihe von Fahrerassistenzsystemen ist bereits seit Mitte 2022 für die Typgenehmigung neuer Pkw-Modelle in Europa vorgeschrieben. In Neuwagen sind sie nun ab diesem Sommer Pflicht. Bis 2038 könnten dank dieser Systeme allein auf Europas Straßen rund 25.000 Menschenleben gerettet werden, so die EU-Kommission. Denn 95 Prozent aller Verkehrsunfälle sind auf menschliches Versagen zurückzuführen.

Genau da springen moderne Assistenzsysteme ein, unterstützen den Menschen am Steuer: Müdigkeitswarner, Geschwindigkeitsassistent, Notbremslicht und -Assistent. Sie passen mit auf und greifen ein, wenn es kritisch wird. Die elektronischen Helfer nehmen Fahrerinnen und Fahrern auf langen Strecken, im Stau, im Stadtverkehr, auf der Autobahn viele Aufgaben ab. Sie bimmeln, rütteln, piepen, leuchten, geben Warnsignale (Achtung, Sekundenschlaf!) oder führen sogar automatisierte Manöver durch (Ausweichen, Vollbremsung!).

Freihändig überholen auf der Autobahn

Mehr Sicherheit auf den Straßen: Das bedeutet mehr Zukunftschancen für die Auto-Industrie! „Die Weiterentwicklung von fortgeschrittenen Fahrassistenzsystemen bis hin zum autonomen Fahren ist künftig eine bedeutende Umsatzquelle für die Automobil-Industrie“, prognostiziert die Beratungsgesellschaft McKinsey in einer Studie. Der Markt für Assistenzsysteme werde jährlich mit 15 bis 20 Prozent wachsen, von heute rund 50 Milliarden Dollar auf 300 bis 400 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2035.

Viele Assistenzsysteme gibt es bereits, sie leisten seit Langem einen wichtigen Beitrag zur Verkehrssicherheit. Etwa Antiblockiersystem (ABS) und Elektronisches Stabilitätsprogramm (ESP), Letzteres verhindert, dass Räder durchdrehen (schlupfen) und wegrutschen. Und die Reise geht noch weiter.

„Im Fahrzeug wird vieles leichter, sicherer und komfortabler“, so der Autohersteller BMW. Beispiel Autobahnassistent in der neuen BMW-5er-Limousine. Neben Geschwindigkeits- und Abstandsregelung übernimmt er bis 130 Stundenkilometer auch Lenkaufgaben. Während der Fahrt kann man so die Hände vom Steuer nehmen – vorausgesetzt, man verfolgt nach wie vor aufmerksam das Verkehrsgeschehen rund ums Fahrzeug. Das checkt eine „Aufmerksamkeitskamera“ im Cockpit.

     

    Der aktive Spurwechselassistent kann noch mehr. Ein Blick in den Außenspiegel reicht, und der elektronische Helfer startet das Überholmanöver. Sobald die Bahn frei ist, zieht er raus, am Vordermann vorbei und fädelt sich wieder ein. Steuergerät, Kameras und Sensoren, angebunden an die Cloud, schaffen das in Verbindung mit GPS-Ortung und Live-Karten zum Streckenverlauf.

    Auf den Straßen zwischen Deggendorf, Straubing und Landshut bringt BMW die automatisierte Fahrerassistenz im Projekt „DaDriVe“ (Data Driven Vehicle Validation) voran. Künstliche Intelligenz (KI) erfasst digital kleinste Abweichungen im realen Fahrbetrieb, stellt aus den gesammelten Daten weitere Berechnungen an. Weltweit und regional entfallen dadurch viele Testfahrten.

    Fünf Kameras für gute Rundumsicht

    Mehr Software im Fahrzeug erlaubt neue Funktionen. Darauf setzen auch Autozulieferer. „Smart Cockpit HPC“ heißt zum Beispiel die Lösung des Unternehmens Continental, das unter anderem ein großes Werk in Regensburg betreibt. Der neue Hochleistungsrechner ist für Assistenzsysteme mit bis zu fünf Kameras ausgelegt. Etwa für die Rundumsicht um das Fahrzeug. Das kommt dem Fahrer beim Parken und Rangieren zugute und hilft beim Erkennen von Fußgängern sowie Fahrzeugen im Stadtverkehr.

    In Memmingen baut Continental seine Aktivitäten bei Assistenzsystemen und automatisiertem Fahren weiter aus und hat einen Entwicklungscampus eröffnet. Dort werden vor allem Komponenten sowie System- und Fahrfunktionen getestet, mit realen Fahrzeugen und auch in virtueller Testumgebung. Die Daten fließen in die weltweite Entwicklung ein. Allein 2022 hat Continental mehr als 30 Millionen Kameras, Radar- und Lidarsensoren für assistierte und automatisierte Fahrfunktionen produziert.

    Mit seiner Division „Chassis Solutions“ bündelt der Autozulieferer ZF seine Kompetenzen für alles, was Fahrzeuge auf der Straße und in der Spur hält, also aktive Sicherheits- und Pkw-Fahrwerktechnik. Plötzliche Bremsmanöver, schnelles Durchfahren von Kurven oder holprige Straßen, diese Kräfte werden in einem Rutsch geregelt.

    Komponenten, Bremsen, Lenkungen, Dämpfungen inklusive Software zur Steuerung und Vernetzung und auch die Schnittstellen zum Antrieb kommen aus einer Hand. „Damit stellen wir uns auf die Transformation der Autobranche ein. Insbesondere Software spielt dabei eine wichtige Rolle“, sagte Peter Holdmann, Leiter der neu geschaffenen ZF-Division.

    Kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung, Geschwindigkeitsregelung, Notfall-, Abbiege- und Ausweichassistenten, die Kollisionen verhindern können: Der Autohersteller Audi ist ebenfalls mit einem breiten Angebot an Assistenzsystemen in seinen Fahrzeugen auf dem Markt.

      Sensoren liefern die Daten für das Steuergerät

      Die Systeme nutzen das zentrale Fahrerassistenzsteuergerät, das mithilfe der sensorgenerierten Daten permanent ein exaktes Abbild der Fahrzeugumgebung berechnet. Dadurch reagieren sie früh, leiten zum Beispiel rechtzeitig einen Bremsvorgang ein. Das Steuergerät enthält bis zu fünf Radarsensoren, fünf optische Kameras sowie zwölf Ultraschallsensoren – plus optional eine Wärmebildkamera für den Nachtsichtassistenten.

      Außerdem hat Audi 100 Millionen Euro in die Weiterentwicklung der passiven Sicherheit im neuen Fahrzeugsicherheitszentrum Ingolstadt investiert. Dummy-Labor, Prüfstände und Highspeed-Kameras ermöglichen Versuche mit Geschwindigkeiten, die weit über den heute üblichen Anforderungen liegen, so das Unternehmen. In der Crash-Arena können auch Unfälle im rechten Winkel simuliert werden, die im echten Leben oft besonders schlimm ausgehen. Monatlich führen die Spezialisten Zehntausende von Crashtests durch – lang bevor der erste Prototyp gebaut wird.

      Besserer Schutz und weniger Unfälle

      • Event Data Recorder: Die Blackbox im Auto hat eine ähnliche Funktion wie der Flugschreiber im Flugzeug. Beide dienen dazu, den Hergang von Unfällen zu rekonstruieren. Geschwindigkeit und Daten des Anti­blockiersystems können beispielsweise dazu ausgewertet werden. Die Daten werden nur wenige Augenblicke vor und nach einem Zusammenstoß gespeichert, ansonsten laufend gelöscht.
      • Geschwindigkeit: Ans Tempolimit erinnert künftig der Geschwindigkeitsassistent, etwa mit einem kleinen Stups am Gaspedal. Per Verkehrszeichenerkennung und Auswerten digitaler Straßenkarten erkennt das System, ob die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschritten ist.
      • Müdigkeit: Anzeige oder Signalton machen den Menschen am Steuer auf aufkommende Müdigkeit aufmerksam. Dazu werden sein Lenk- und Spurhalteverhalten sowie die bisherige Fahrzeit ohne Pause analysiert. 10 bis 30 Prozent der Unfälle auf deutschen Straßen gehen auf Müdigkeit und mangelnde Aufmerksamkeit zurück, schätzen Experten. Der Assistent soll helfen, das zu verhindern.
      • Notbremsung: Das System erkennt Situationen, in denen nur eine sofortige Vollbremsung einen Unfall verhindern oder zumindest den Aufprall abmildern kann. Es unterstützt, wenn Fahrer unaufmerksam sind, und in Situationen, die ihn überfordern, wie beim Einfädeln, wo man nach hinten und vorn zugleich schauen muss. Es ist eines der wichtigsten und effizientesten neueren Assistenzsysteme, um die Zahl der Unfälle mit Schwerletzten oder Getöteten zu verringern, urteilt der Automobilklub ADAC.
      • Notbremslicht: Bei einem Auffahrunfall zählt jede Sekunde, denn die nachfolgenden Fahrzeuge müssen möglichst rasch auf die Bremse treten. Das schnell blinkende Bremslicht, das bei einer Notbremsung aktiviert wird, ist ein gut sichtbares, klares Warnsignal.
      • Rückwärtsfahren: Beim Rangieren oder Ausparken ist die Sicht oft eingeschränkt. Der Rückfahr­assistent bremst, wenn ungeschützte Verkehrsteilnehmer hinter dem Fahrzeug oder seitlich erkannt werden. Besser als ein „Parkpiepser“, findet der ADAC. Diese erkennen zwar Hindernisse, warnen aber bei querenden Fußgängern (Kinder!) und Radlern nicht rechtzeitig, wenn das Auto schnell rückwärtsfährt.
      • Spur halten: Der Assistent überwacht, ob das Auto die Fahrspur hält. Nähert es sich der seit­lichen Spur- oder Fahrbahnbegrenzung, wird es automatisch davon weggeführt, entweder durch einseitige Bremseingriffe oder durch Lenkimpulse. Kommt ein Auto von der Fahrbahn oder der Fahrspur ab, hat das oft schwere Unfälle zur Folge, etwa wenn der Wagen in den Gegenverkehr oder gegen Hindernisse am Straßenrand prallt. Aus ADAC-Sicht ist der Assistent daher sehr wichtig.
      • Alkoholsperre: 20 bis 28 Prozent aller Unfälle, Verletzten und Toten im Verkehr in Europa sind auf Alkoholeinfluss zurückzuführen, so der ADAC. Der „Alkolock“ haut die Wegfahrsperre rein, wenn er feststellt, dass der Fahrer alkoholisiert ist. Eine Schnittstelle für entsprechende „Alko-Test-Geräte“ ist ab Juli 2024 für die Erstzulassung neuer Pkws verbindlich vorgeschrieben. Noch ist aber offen, wie der „Alko-Test“ genau funktionieren soll.
      • Abbiegen: Radfahrer oder Fußgänger werden häufig schwer oder gar tödlich verletzt, weil sie im toten Winkel eines Lkws übersehen wurden. In neuen Bussen und Nutzfahrzeugen ist daher ab Juli der Abbiege­assistent verbindlich vorgeschrieben. Sensoren im Spiegel und an den Ecken des Fahrzeugs überwachen die Bereiche rechts neben dem Fahrzeug. Das System warnt, wenn sich dort ein ungeschützter Verkehrsteilnehmer befindet, und leitet eine Bremsung ein, falls der Fahrer nicht reagiert.
      Friederike Storz
      aktiv-Redakteurin

      Friederike Storz berichtet für aktiv aus München über Unternehmen der bayerischen Metall- und Elektro-Industrie. Die ausgebildete Redakteurin hat nach dem Volontariat Wirtschaftsgeografie studiert und kam vom „Berliner Tagesspiegel“ und „Handelsblatt“ zu aktiv. Sie begeistert sich für Natur und Technik, Nachhaltigkeit sowie gesellschaftspolitische Themen. Privat liebt sie Veggie-Küche und Outdoor-Abenteuer in Bergstiefeln, Kletterschuhen oder auf Tourenski.

      Alle Beiträge der Autorin