Seit mehr als 110 Jahren produziert das Familienunternehmen KGM hochpräzise Kugeln. Unverzichtbar sind sie in vielen Branchen, nicht zuletzt in der Automobil-Industrie. Denn viele Komponenten in einem Fahrzeug würden ohne die runden Teile gar nicht funktionieren. aktiv sprach mit dem Geschäftsführer Matthias Richter über ein faszinierendes Werkstück in einem international hart umkämpften Markt. Dank innovativer Ideen und streng geschütztem Know-how gelingt es dem Familienunternehmen mit seinen gut 220 Beschäftigten immer wieder, seine weltweite Führungsposition in diesem Markt zu behaupten.

Herr Richter, Kugeln kullern, sehen toll aus, liegen gut in der Hand, aber wer braucht sie?

Mehr, als Sie glauben! Kugeln werden in verblüffend vielen Branchen gebraucht, allerdings kann man sie in den seltensten Fällen sehen. Wir beliefern Maschinenbauer, die Luft- und Raumfahrt- und sogar die Pharma- und die Lebensmittel-Industrie. Man benötigt Kugeln in Abfüll- und Schankanlagen, als Dosierhilfe in Parfümflakons, in Inhalier- und Nasensprays, in Robotik, Hydraulik und Pneumatik und natürlich in der Automobil-Industrie. In acht von zehn Autos weltweit sind Kugeln von uns zu finden und das so gut wie überall im Fahrzeug, vom Motor über den Fensterheber bis zu den Bremssystemen.

Was muss eine Kugel können, außer rund zu sein und schön zu kullern?

Was eine Kugel kann, sehen Sie sofort, wenn Sie sie über einen Tisch rollen lassen. Manche trudeln regelrecht und ziehen keine gerade Bahn. Für manche Anwendungen ist das völlig ok. Bei der Sitzverstellung im Auto tun es zum Beispiel relativ einfache Kugeln. Aber bei vielen Anwendungen ist höchste Präzision erforderlich. Bei einem Dosierspray zum Beispiel, das lungenkranke Menschen nutzen, muss sich der Patient darauf verlassen können, dass wirklich nur die exakt vorgegebene Dosis herauskommt. Hier ist essenziell, dass JEDE der Kugeln aus demselben chemiebeständigen Stahl gefertigt ist. Das garantieren wir zu 100 Prozent, denn eine Kugel aus dem falschen Material wäre tödlich. Oder nehmen Sie den Sicherheitsgurt. Dank präziser Kugeln rastet der Gurt bei Belastung sofort ein. Und der hält auch, wenn bei einem Unfall extreme Kräfte darauf einwirken oder ein Mensch kopfüber darin hängt, weil das Auto auf dem Dach liegt. Schon ein kleiner Fehler in der Kugelherstellung macht das unmöglich. Lenkungskugeln in der Lenkachse sorgen für ein einwandfreies Spiel und einen störungsfreien Lenkablauf. Es gäbe noch viele Beispiele.

Und wie stellen Sie solche Kugeln her?

Kugeln sind erst einmal Normteile, aber vielfach fertigen wir auch nach genauen Sondervorgaben unserer Kunden. Oft beraten wir sie vorher, welche Kugel die richtige ist. Es geht um Rundheit, Oberfläche und Durchmesser, um Restschmutz und natürlich um das Material. Wir können sie aus Stählen aller Art herstellen, aus zahlreichen Kunststoffen, Titan und Keramik und das in höchster Präzision und ab einer Größe mit einem Millimeter Durchmesser. Unsere Kugeln sind auf ein Mü, also auf Tausendstel Millimeter genau. Wir können sogar kontrollieren, ob die Beschaffenheit auch unter der Oberfläche perfekt ist. Das dafür notwendige Know-how haben wir uns in über 100 Jahren erarbeitet. Und wir achten sehr darauf, dass wirklich niemand, auch nicht die Kunden, in unsere streng geschützten Bereiche hineinkommen.

Wie sorgen Sie für diese höchste Präzision?

Wir prüfen jede einzelne unserer vier Milliarden Kugeln pro Jahr. Dazu haben wir ausgefeilte Messtechnik in den gesamten Produktionsbetrieb integriert und eine Endprüfung im eigenen großen Messlabor mit mehreren, speziell ausgebildeten Mitarbeitern. Viele unserer Prüfanlagen wurden hier selbst entwickelt. So stellen wir sicher, dass jede Kugel, die das Haus verlässt, exakt den Anforderungen entspricht, die der Kunde vorgegeben hat. Wer Sicherheit auch bei Massenware braucht, kommt an uns nicht vorbei. Bei uns bedeutetet Sicherheit zudem, dass keine falsche Kugel in einem Gebinde landet, denn das könnte die Produktion beim Kunden empfindlich stören.

Aber auch Ihr Markt ist hart umkämpft …

Ja. Und Wettbewerber aus dem asiatischen Raum holen auf. Da viele Kunden natürlich auch auf den Preis achten, versuchen wir, alles zu automatisieren, was keine Kugelkompetenz benötigt. Deshalb investieren wir unter anderem in vollautomatische Verpackungsanlagen und Lagersysteme. Wir sind sehr modern unterwegs beim Thema Warenwirtschaft und investieren weiter in die Zukunftsfähigkeit von KGM. Denn die Kunden sollen ja auch in zehn Jahren noch bei uns kaufen.

Bekommen deshalb Ihre Kugeln zunehmend auch Ecken und Kanten?

Ja, unsere hochpräzisen Kugeln bekommen bei uns auf Wunsch inzwischen auch hochpräzise Ecken und Kanten. Wir nutzen dafür unser einzigartiges KGM-Know-how. Unser Wissen und Können ist der Schlüssel, um in unserer hochmodernen CNC-Abteilung Sonderteile herzustellen: Kugeln gebohrt oder abgeflacht, mit Gewinde oder Nut, Kugelpilze oder auch Spezialkugeln, die zum Beispiel bei den Kühlkreisläufen in E-Fahrzeugen benötigt werden. Auch hier wollen wir in Zukunft mit unserem Können im Bereich höchster Präzision noch mehr punkten.

Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen für die Zukunft?

Ich bin hier 2008 angetreten, um unser Familienunternehmen mit dem Produktionsstandort in Deutschland in die Zukunft zu führen und hier zu halten. Aber genau das wird zunehmend schwieriger. Ich nehme Deutschland nicht mehr als produktionsfreundliches Land wahr. Allein der Umgang mit der Automobil-Industrie, über Jahrzehnte der Wirtschafts- und Wohlstandsträger inklusive der Zulieferbetriebe, macht mich sehr nachdenklich. Zu dem hohen Druck durch den globalen Wettbewerb kommen die hohen Kosten für Energie, Rohstoffe und Gehälter. Zudem beschäftigt mich die überbordende Bürokratie. Kontrollen, Statistiken, Zertifizierungen und Dokumentationen werden mehr und immer anspruchsvoller. Das bindet Kapazitäten, die wir für ganz andere Dinge gerade dringend bräuchten. In großen Unternehmen gibt es für so etwas ganze Stabsabteilungen, aber bei uns im Mittelstand kommt das auf die Schreibtische des Führungsteams noch oben drauf. Da fällt es manchmal schwer, optimistisch zu bleiben.

Wie bewahren Sie sich Ihren Optimismus?

Wir sind hier ein tolles Team von fähigen Menschen auf allen Ebenen und in allen Bereichen. Wir gehen mit allen hier sehr offen um, auch viele Wirtschaftszahlen sind einsehbar. Wir arbeiten daran, dass die Arbeitsbedingungen für jeden attraktiv sind, aber trotzdem noch wirtschaftlich fürs Unternehmen. Deshalb müssen wir noch dynamischer und flexibler werden. Denn eins ist klar: Weniger Anwesenheit etwa durch eine feste Viertagewoche bedeutet auch weniger produzierte Kugeln und damit weniger Ertrag - und damit weniger Zukunftschancen.

Zur Person

  • Matthias Richter, geboren 1978 in Fulda.
  • 1997 Abitur und Wehrdienst.
  • 1998 Duales Studium Maschinenbau an einer Berufsakademie und einem Unternehmen in Baden-Württemberg.
  • 2002 Wirtschaftsstudium an der Universität Hohenheim.
  • 2007 Einstieg als Assistent der Geschäftsleitung bei KGM.
  • Seit 2008 Geschäftsführender Gesellschafter der KGM Kugelfabrik in Fulda.
Maja Becker-Mohr
Autorin

Maja Becker-Mohr ist für aktiv in den Unternehmen der hessischen Metall-, Elektro- und IT-Industrie sowie der papier- und kunststoffverarbeitenden Industrie unterwegs. Die Diplom-Meteorologin entdeckte ihr Herz für Wirtschaftsthemen als Redakteurin bei den VDI-Nachrichten in Düsseldorf, was sich bei ihr als Kommunikationschefin beim Arbeitgeberverband Hessenchemie noch vertiefte. In der Freizeit streift sie am liebsten durch Wald, Feld und Flur.

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