„Ich war schon immer ein kreativer Kopf“, sagt Felix Hake und lacht. In ihm spuken jede Menge Ideen herum, wie wir in einigen Jahren leben. Und Auto fahren. Er und sein Team beim Automobil-Zulieferer Marquardt sind quasi in der Zukunft zu Hause. Die Kollegen aus dem Bereich Innovation haben ein Democar gebaut. Damit das Auto von morgen nicht nur in unserer Fantasie im Wolkenkuckucksheim herumwabert, sondern man es heute schon anfassen und sich sogar reinsetzen kann! aktiv hat sich dieses Democar mal angeschaut. Und das Innovationsteam gefragt: Was macht ihr eigentlich mit eurem Democar?

Baden-Württemberg und das Auto: Nirgends auf der Welt ist es mehr verwurzelt als hier. Alles fing an, als der Erfinder Carl Benz in Mannheim 1886 seinen ersten Motorwagen zum Patent anmeldete. Drei klapprige Räder. Ein Einzylinder-Motor. Keine Karosserie, kein Dach, aber der Beginn von etwas ganz Großem.

Heute arbeiten in diesem Bundesland rund 220.000 Menschen in der Auto-Industrie – und viele weitere bei deren rund 1.000 Zuliefer-Unternehmen. Damit ist der Südwesten der bundesweit wichtigste Standort der Autobranche. Für viele Menschen ist das Auto daher viel mehr als der fahrbare Untersatz: Berufsfeld, Leidenschaft, Lebenselixier. Die Herausforderungen für die Branche waren allerdings noch nie so groß wie heute: Die Welt braucht Lösungen für Digitalisierung, Elektrifizierung und autonomes Fahren. Können wir Baden-Württemberger da überhaupt mithalten?

Das Democar im Video

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600 Entwicklungsingenieure tüfteln an Neuheiten

Um mehr darüber herauszufinden, besuchen wir den Automobil-Zulieferer Marquardt. An seinem Hauptsitz in Rietheim-Weilheim, wo etwa 2.000 Leute arbeiten, hat das Unternehmen im Jahr 2019 für mehr als 30 Millionen Euro ein Entwicklungs- und Innovationszentrum gebaut. Gleich gegenüber der evangelischen Dorfkirche tüfteln da heute rund 600 Entwicklungsingenieure an Neuheiten. Das futuristische Democar steht in einem Atrium dieses Gebäudes – wenn es mal nicht irgendwo auf der Welt bei Kunden unterwegs ist. Es hat zwar keine Räder, steckt ansonsten aber voller Hightech-Überraschungen. So also könnte der Fahrzeug-Innenraum der Zukunft aussehen. Wenn in fünf bis zehn Jahren das autonome Fahren in der Oberklasse zur Regel wird.

Hinterm Steuer kann man künftig seine Lieblingsserie gucken

Soft- und Hardware-Entwickler Dominik Schuster nähert sich dem Democar mit einer Geste: Daumen hoch, und die Tür öffnet sich automatisch. Dann setzt er sich auf den Fahrersitz und startet den autonomen Fahrmodus. Ums Lenkrad leuchtet ein grüner Lichtring. Soll heißen: Alles unter Kontrolle!

Und jetzt wird’s gemütlich: Der Sitz fährt automatisch zurück in eine bequemere Position – Kinofeeling. Vorn taucht langsam ein großer Bildschirm aus der Versenkung auf. Wer will, kann jetzt zum Beispiel seine Lieblingsserie gucken. Oder die Zeit für einen Videochat nutzen.

Felix Hake ist Teamleiter Produkt Management im Bereich Innovations. Und beschreibt das Interieur der Zukunft so: „Der Innenraum wird emotionaler, bekommt mehr Charakter.“ Die Erfinder bei Marquardt setzen dafür zum Beispiel Licht in verschiedenen Farben wie ein Bedienelement ein. Schon wenn sich der Inhaber mit seinem Smartphone dem Fahrzeug nähert, leuchtet rundherum ein grünes Lichtband.

Ein Hologramm in einem Kristall dient als kleines Display

„Besonders stolz bin ich auf die Crystal Display Switches“, sagt Hake. Und zeigt auf die Bedienelemente links und rechts am Lenkrad: In durchsichtigen Kristallen ist eine schwebende transparente Anzeige zu sehen, wie ein Hologramm. Wow! „So eine Idee entsteht zuerst auf dem Schreibtisch und nimmt dann durch die Zusammenarbeit von uns Kollegen nach und nach Gestalt an“, schildert er. „Bei den Kunden kommt dieses Display ziemlich gut an.“

Mit dem Democar haben Hake und seine Kollegen schon viele Autohersteller in Europa, Amerika und Asien besucht. Hake: „Wir diskutieren dann gemeinsam mit den Kunden zum Beispiel die Frage, wie das ideale Bedienkonzept beim autonomen Fahren aussieht. Das Feedback zum Democar ist da sehr wertvoll. Und manche unserer Ideen aus dem Democar konnten wir auch schon in konkrete Produkte weiterentwickeln, die jetzt in Richtung Serienproduktion gehen.“

Wenn das vor 100 Jahren die beiden Firmengründer gewusst hätten

Der Chef der Innovationsabteilung bei Marquardt, Markus Kramer, verdeutlicht: „Wir melden jedes Jahr etwa 100 Patente an.“ Neu ist zum Beispiel ein System, mit dem das Smartphone zum Autoschlüssel wird.

Und ein neues Batterie-Managementsystem, welches das Herz des E-Autos erheblich langlebiger macht. Um es in Serie zu produzieren, baut Marquardt gerade ein neues Werk in Thüringen. Auch eine interessante Innovation: das Leben rettende Child Presence Detection System (siehe Infokasten unten).

Marquardt ist fast 100 Jahre alt. Die beiden Gründer bauten damals in ihren Wohnhäusern Einbauschalter für Elektrogeräte und -werkzeuge wie Handstaubsauger und Rundfunkgeräte.

In den 1960er Jahren entwickelte Marquardt Schalttastaturen für Waschmaschinen. Erst 1978 ist der Mechatronik-Spezialist in die Autobranche eingestiegen und entwickelte Neuheiten. Zum Beispiel 1997 das erste Fahrberechtigungssystem mit elektronischem Schlüssel – ein Meilenstein in der Diebstahlsicherung.

Heute hat das Unternehmen 11.000 Mitarbeiter weltweit

Inzwischen arbeiten rund 11.000 Beschäftigte an 22 Marquardt-Standorten auf der ganzen Welt. Das Programm umfasst, mit allen Varianten, etwa 24.000 Produkte! Rund 80 Prozent des Umsatzes erwirtschaftet Marquardt mit der Autobranche. Den Rest mit Kunden aus anderen Industrien, wie der Land- und Baumaschinentechnik, der Elektrowerkzeugbranche oder Herstellern von Haushaltsgeräten.

Hake liebt an seinem Beruf vor allem die Abwechslung. „Man hat jeden Tag mit neuen Kunden und mit neuen Produkten zu tun“, erzählt er. Und: „Wir sind ein tolles Team, mit dem man gemeinsam Ideen verwirklichen kann. Das macht einfach Spaß!“

Wie Entwicklungsmitarbeiter mit KI Leben retten

Kleine Kinder im Auto? Eine Gefahr wird oft unterschätzt: Den Nachwuchs mal kurz im Auto zurückzulassen. Schon bei 14 Grad Außentemperatur kann das bei starker Sonneneinstrahlung kritisch werden! Weil es immer wieder sogar Todesfälle gibt, plant das Europäische Neuwagen-Bewertungs-Programm (Euro NCAP) verbindliche Vorgaben für einen verbesserten Innenraumschutz für Kinder. Es fordert für die Fünf-Sterne-Bewertung ab 2025, dass zurückgelassene Personen erkannt werden. Sollte ein Fahrzeug keine Lösung dafür haben, kann es mit höchstens drei Sternen bewertet werden.

Das Marquardt-Innovationsteam hat da schon mal eine Neuerung entwickelt: Ein KI-gestütztes System mit Radarsensorik und Ultra-Breitband-Strahlung erkennt lebende Objekte im Auto – sogar, wenn sie sich unter einer Decke befinden – und schlägt Alarm. Das hat eine Testreihe mit über 100 Kindern belegt. Übrigens: Viele Marquardt-Mitarbeiter machten mit und brachten ihre eigenen Kinder zu den Tests.

Barbara Auer
aktiv-Redakteurin

Barbara Auer berichtet aus der aktiv-Redaktion Stuttgart vor allem über die Metall- und Elektro-Industrie Baden-Württembergs – auch gerne mal mit der Videokamera. Nach dem Studium der Sozialwissenschaft mit Schwerpunkt Volkswirtschaftslehre volontierte sie beim „Münchner Merkur“. Wenn Barbara nicht für aktiv im Einsatz ist, streift sie am liebsten durch Wiesen und Wälder – und fotografiert und filmt dabei, von der Blume bis zur Landschaft.

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