München. Autos, die sich wie von Zauberhand updaten. Funktionserweiterungen, die man zubuchen kann wie eine App auf dem Handy. Autos, die selbstständig zahlen können – das Parkticket, die Kfz-Versicherung, Strom an der Ladesäule. Und Autos, mit denen wir nicht bloß fahren. Sondern in denen wir Filme schauen, Spiele zocken, den Einkauf erledigen. Hallo, Smart Car! Unsere Autos werden zu rollenden Computern. Wichtigster Treibstoff dabei: Software und Daten! „Von PS nach Gigabyte – das ist die Entwicklung, die das Auto gerade durchlebt“, sagt Andreas Nienhaus, Experte im Automotive und Mobility-Team der Beraterfirma Oliver Wyman in München.
Folge: Verlor ein Neuwagen bislang schon an Wert, wenn man ihn beim Händler bloß vom Hof fuhr, werden Autos zukünftig dank immer neu hinzugefügter Funktionen „reifen“ wie Wein, sich stetig weiterentwickeln. Laut Branchenexperten stehen dabei zumeist drei Aspekte im Fokus des Kundeninteresses: Komfort, Sicherheit und Unterhaltung. aktiv hat Gas gegeben und zusammengetragen, was es rund ums smarte Auto schon gibt, was bald noch kommt – und ob es den klassischen Händler bald überhaupt noch braucht.
Das vernetzte Auto
Connected Car: Darunter versteht man Autos, die in irgendeiner Form mit dem Internet verbunden sind. Diese Konnektivität ist das Herz des Smart Car! Auf ihr basiert alles.
- Stufe 1: Die Insassen surfen. Das ist längst Alltag, realisiert durch integrierte SIM-Chips im Auto.
- Stufe 2: Das Auto surft. Und greift beispielsweise auf Verkehrsdaten zu, um Fahrtroute oder Sicherheit zu optimieren.
- Car2Car-Kommunikation: Jetzt wird’s cool! Durch diese Technologie kommunizieren Autos miteinander in Echtzeit. Über WLAN oder Mobilfunk warnen sie sich beispielsweise vor Hindernissen oder Glatteis. Ziel: Unfälle erst gar nicht passieren zu lassen. Und das ist keine Zukunftsmusik mehr: Laut ADAC sind in der EU bereits rund 750.000 Fahrzeuge mit dieser Technik auf der Straße.
- Car2X-Kommunikation: Jetzt wird das Auto so richtig Teil des „Internet of Things“! Es kommuniziert eigenständig mit verkehrsrelevanter Infrastruktur. Also mit Ampeln, Baustellen, Parkhäusern. Ist das Fahrzeug mit intelligenten Verkehrsleitsystemen vernetzt, kann es Route und Geschwindigkeit nach aktuellen Informationen ausrichten, um beispielsweise in der Stadt Grünphasen optimal auszunutzen. Und das Ganze ist nicht mehr fern: Hessen stattet bereits heute Tagesbaustellen mit „Car2X-Sendern“ aus.
- Weniger Staus: Wenn die Masse der Autos einmal verbunden ist, können Verkehrsströme besser gelenkt werden. Folge: weniger Staus, effizienterer Verkehrsfluss für alle.
Updates durch die Luft
- Neue Architektur: Bis zu 100 Steuergeräte sind derzeit in teuren Autos verbaut. Das soll sich ändern. Ziel: wenige oder sogar nur ein Zentralrechner, über den alles läuft. „Dann kann man das gesamte Fahrzeug übers Internet updaten und auch mit ganz neuen Funktionen ausrüsten“, sagt Professor Stefan Bratzel, Direktor des Center of Automotive Management.
- Sound und Sitzheizung: „Over the air“ (OTA) nennt man solche Online-Updates, für die man nicht eigens in die Werkstatt fahren muss. Und möglich sind die heute schon. Audi zum Beispiel erhöhte durch Updates die elektrische Reichweite, auch BMW brachte eine ganze Reihe von kostenlosen Verbesserungen in die Autos. Auch Zusatzfunktionen („Function on Demand“) lassen sich freischalten. Von Soundeffekten über die Sitzheizung bis zum adaptiven Fahrwerk ist alles drin.
- Viel Potenzial: Einer Studie der US-Ratingagentur S&P zufolge setzte der Sektor Automotive-OTA-Updates 2022 weltweit 6 Milliarden US-Dollar um. Prognose für 2028: 23 Milliarden!
Neue Vertriebsmodelle
- Agenturmodell: Bisher waren Autohäuser selbstständige Unternehmen, die Fahrzeuge auf eigene Rechnung kaufen und Verkaufspreise selbst bestimmen konnten. Künftig sind sie Dienstleister, die Kunden beraten und Probefahrten anbieten – und dafür vom Hersteller Provisionen erhalten. Dieses sogenannte Agenturmodell hat Mercedes am 31. Mai in Deutschland eingeführt. BMW und Audi wollen auf ähnliche Modelle umschwenken.
- Big Data: Warum das Ganze? Zum einen wegen der Daten. Die bleiben nämlich im neuen Modell beim Autobauer. Mithilfe selbstlernender Algorithmen kann der so Prognosen über zu erwartende Absätze machen – und seine Fertigung darauf abstimmen.
- Online-Kauf: Ein Auto kann man im Agenturmodell so einfach online ordern wie ein Buch auf Amazon. Dafür gibt es keine Händlerrabatte mehr. Nachlässe auf den Listenpreis sind zwar für bestimmte Kundengruppen weiterhin möglich, allerdings gelten diese in allen Autohäusern gleich. Manche Hersteller testen auch Videoberatungen. Dann wäre ein Besuch beim Händler gar nicht mehr nötig.
Gaming und Geldbörse
- Infotainmentsystem: Gerade für jüngere Fahrer immer wichtiger! Laut einer Oliver-Wyman-Studie ist schon jeder vierte deutsche Autokunde bereit, für ein besseres Entertainment-Erlebnis die Automarke zu wechseln. In China sind es 80 Prozent.
- Musik, Filme – und Spiele: Klar, Spotify und Netflix, das muss gehen im Auto. Beim Laden der E-Autos ist Zeit für Medien, während der Fahrt schauen Beifahrer oder die Insassen auf dem Rücksitz. Aber auch Gaming wird ganz normal im Auto! „Derzeit werden die Weichen dafür gestellt, Kooperationen geschlossen und Zielgruppen ausgemacht“, berichtet Timo Möller, Leiter des Center for Future Mobilty der Beraterfirma McKinsey.
- Brille an Bord: Die Firma Holoride, eine Audi-Ausgründung, geht dabei ganz neue Wege. Sie setzt auf Spiele über VR-Brille, die während der Fahrt das Kurven- oder Bremsverhalten ins Spiel integriert.
- Rollende Geldbörse: Laut einer GfK-Erhebung kann sich jeder zweite deutsche Autofahrer vorstellen, direkt übers Display im Fahrzeug einzukaufen und zu bezahlen. Man nennt das „In-Car-Payment“ oder „In-Vehicle-Commerce“. Technikaffine Fahrer wollen demnach insbesondere autonahe Dinge wie Parkgebühren, Sprit oder Strom oder auch die Waschanlage so begleichen.
- Neue Geschäftsmodelle: Die belgische Ptolemus Group prognostiziert einen weltweiten In-Car-Bezahlumsatz von 537 Milliarden Euro 2030. Auch In-Car-Werbung, die während des Ladevorgangs oder an der Ampel auf dem Display aufpoppt, trauen Experten einen nahen Durchbruch zu.
Interview: „Der Fokus verschiebt sich weg von der Hardware“
Was erwarten Kunden zukünftig vom Auto? Was heißt das für die Industrie? Und was bitte ist eigentlich ein Software-definiertes Fahrzeug? Fragen an den Autoexperten Andreas Nienhaus, Partner bei Oliver Wyman.
Herr Wyman, im Autoquartett ging’s bislang meist um Hubraum und PS. Vorbei die Zeiten, oder?
Der Fokus der Autokäufer verschiebt sich, weg von der Hardware. Sie achten verstärkt drauf, wie schlau das Cockpit ist, weniger auf die Stärke des Motors.
Ticken vor allem junge Käufer so?
Die „Generation Z“ treibt das sicherlich massiv, aber es ist ein Phänomen über verschiedene Altersgruppen hinweg. Die Kunden ticken beim Auto immer stärker so wie bei ihren Smartphones.
Was heißt das für die Auto-Industrie?
Dass Software im Auto immer wichtiger wird. Sie ist entscheidend für Vernetzung, Automatisierung und Personalisierung. Beim sogenannten Software-definierten Fahrzeug wird zuerst die Software entwickelt. Und erst dann die Hardware drum herum.
Das wird vieles verändern …
Das Geschäftsmodell der Branche wird sich ändern. Bislang wurde ein Auto verkauft, und das wars. Es war eigentlich nur eine Einmaltransaktion.
Und zukünftig?
Werden die Autobauer ihren Kunden über die gesamte Lebensdauer des Fahrzeugs immer wieder Neuerungen anbieten können, die er als Abo oder Einmaltransaktion hinzufügen kann.
Nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann studierte Uli Halasz an drei Universitäten Geschichte. Ziel: Reporter. Nach Stationen bei diversen Tageszeitungen, Hörfunk und TV ist er jetzt seit zweieinhalb Dekaden für aktiv im Einsatz – und hat dafür mittlerweile rund 30 Länder besucht. Von den USA über Dubai bis China. Mindestens genauso unermüdlich reist er seinem Lieblingsverein Schalke 04 hinterher.
Alle Beiträge des AutorsMichael Aust berichtet bei aktiv als Reporter aus Betrieben und schreibt über Wirtschafts- und Verbraucherthemen. Nach seinem Germanistikstudium absolvierte er die Deutsche Journalistenschule, bevor er als Redakteur für den „Kölner Stadt-Anzeiger“ und Mitarbeiter-Magazine diverser Unternehmen arbeitete. Privat spielt er Piano in einer Jazz-Band.
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