Laupheim. David Kleine-Hegermann lacht viel, und seine sympathische Art wirkt einladend. Und so hatte es der junge Ingenieur (29) aus dem Ruhrgebiet nicht schwer, hier im Süden bei der Firma Uhlmann Fuß zu fassen. Obwohl der Menschenschlag in seiner Heimat, vorsichtig ausgedrückt, „etwas anders tickt“ als hier im östlichen Baden-Württemberg. Dennoch: „Ich habe mich sehr schnell eingelebt.“
Nicht alltäglich, aber immer häufiger suchen sich Unternehmen wie der Maschinenbauer Uhlmann in Laupheim ihre Fachkräfte auch außerhalb der Region. Der Grund: Im Landkreis Biberach, zu dem die Stadt Laupheim gehört, liegt die Arbeitslosigkeit bei gerade mal 1,9 Prozent. Seit Jahren führt der Kreis in der Regel die baden-württembergische Statistik an.
Fachkräftemangel schafft Probleme
Volkswirte nennen das „Vollbeschäftigung“. Das belegt zwar den Erfolg der Industrie in diesem Landstrich. Doch „woher nehmen?“, fragt sich Uhlmann-Personalleiter Gert Jaudas: „Es wird auch für uns schwieriger, geeignete Fachkräfte zu bekommen“, sagt er.
Uhlmann gehört zu den weltweit führenden Anbietern von Verpackungsmaschinen für pharmazeutische Produkte in Blistern oder Flaschen. Das Unternehmen ist in Familienhand, besteht aus 16 Gesellschaften und beschäftigt in der Firmengruppe rund 2.500 Mitarbeiter, davon 1.500 am Stammsitz.
Seit Jahren steigt der Umsatz, im vergangenen Jahr um 10 Prozent auf 411 Millionen Euro – die Firma wächst und wächst und investiert.
Aktuell wird in Laupheim für 15 Millionen Euro ein neues Bürogebäude erstellt, in das auch Kleine-Hegermann mit einzieht. Dort sitzt er als mechanischer Konstrukteur in einem gemischten Team. Bedeutet: Alle, die an einem bestimmten Produkt arbeiten, vernetzen sich enger als bisher: „Die Digitalisierung spielt im Anlagenbau eine immer größere Rolle. Deshalb arbeiten Mechanik und Elektronik Hand in Hand.“
Junge Ingenieure haben die Wahl
Nach seinem Studium in Bochum hatte der Maschinenbauingenieur die Wahl unter mehreren Unternehmen. „Bei Uhlmann gefiel mir die lockere und freundliche Atmosphäre beim Vorstellungsgespräch“, begründet er seine Entscheidung. Bei Uhlmann hatte er sich als Trainee beworben, angeboten wurde ihm der Direkteinstieg als Konstrukteur.
Uhlmann bietet rund 90 verschiedene Arbeitszeitmodelle
Und Uhlmann bietet seinen Mitarbeitern noch mehr: „Wir haben flexible Arbeitszeiten und rund 90 verschiedene Arbeitszeitmodelle“, sagt Personalchef Jaudas. Denn das würde gerade von jungen Mitarbeitern immer häufiger nachgefragt. Neben gesundheitsfördernden Angeboten werden auch gemeinsame Freizeitaktivitäten wie Motorradausfahrten angeboten.Zwei Ferienwohnungen stehen Mitarbeitern kostengünstig zur Verfügung.
„Gutes Personalmarketing ist ein Muss“, sagt Martin Halder, kaufmännischer Geschäftsleiter der Firma Erwin Halder in Achstetten-Bronnen
Sogar bei der Wohnungssuche unterstützt die Personalabteilung. Denn auch in der boomenden Region um Laupheim ist das Angebot an Wohnraum knapp. „Das ist eine Hürde, wenn wir Fachkräfte von außerhalb holen wollen“, sagt Martin Halder, kaufmännischer Geschäftsleiter der Firma Erwin Halder in Achstetten-Bronnen, einer kleinen Gemeinde nahe Laupheim. „Unsere Facharbeiter bilden wir selbst aus und fahren damit sehr gut“, sagt der Personalchef des rund 200 Mitarbeiter starken Unternehmens. „Aber bei den Ingenieuren haben wir erhebliche Probleme. Gutes Personalmarketing ist deshalb ein Muss.“
Zumindest bei der Wohnungssuche hatte Kleine-Hegermann, jung, ledig, Ingenieur, keine Probleme. Er hat sich im 25 Kilometer entfernten Ulm eine Bleibe gesucht: „Ich wollte noch ein bisschen Stadt.“
Auf Zuwanderung angewiesen
Die deutsche Wirtschaft braucht in den nächsten vier Jahrzehnten Millionen zusätzlicher Arbeitskräfte aus dem Ausland. Bis 2060 müssten pro Jahr im Schnitt mindestens 260.000 Menschen per saldo aus dem Ausland nach Deutschland ziehen. Zu diesem Schluss kommt eine aktuelle Studie im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh. Dabei dürften aus anderen EU-Staaten jährlich etwa 114.000 Personen nach Deutschland kommen – mit sinkender Tendenz, da sich die Lebensverhältnisse innerhalb der EU angleichen und auch in anderen Ländern Fachkräfte fehlen. Demnach müssten aus Drittstaaten außerhalb der EU jedes Jahr rund 146.000 Arbeitskräfte nach Deutschland ziehen. Bei ihrer Untersuchung haben die Forscher auch die Potenziale der einheimischen Bevölkerung berücksichtigt.
Doch selbst wenn Männer und Frauen gleich viel arbeiten und erst mit 70 in Rente gehen würden, könnte der Fachkräftebedarf nicht gedeckt werden. Dabei wirkt auch die Digitalisierung als Turbo auf dem Arbeitsmarkt: Es werden mehr Fachkräfte mit hoher Qualifikation, also Techniker, Meister und Akademiker, gebraucht.
Interview: Mangel an Fachkräften dämpft das Wachstum
Stuttgart. Noch nie hatten so viele Baden- Württemberger einen Job wie 2018 – und die Zahl der Arbeitslosen sinkt weiter. Wo noch Reserven schlummern und was das Fachkräfteeinwanderungsgesetz bringt, darüber sprach aktiv mit Christan Rauch, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Baden-Württemberg der Bundesagentur für Arbeit
Der Arbeitsmarkt in Baden-Württemberg brummt wie nie. Ist also alles bestens?
Nicht ganz: Einerseits ist diese Situation sehr gut für die Arbeitnehmer. Auf der anderen Seite führt die geringe Arbeitslosigkeit bei den Betrieben zu Problemen bei der Rekrutierung von Fachkräften: Dieser Engpass wirkt bei dem einen oder anderen Unternehmen bereits wachstumsdämpfend. Aus dieser Sicht ist der Arbeitsmarkt durchaus angespannt.
Wo sehen Sie noch Reserven?
In Baden-Württemberg gibt es zwei kurzfristig wirksame Hebel. Das ist zum einen die Arbeitszeit der Frauen. Die liegt im Schnitt bei 19,4 Stunden. Da ist noch viel Luft nach oben, bis wir in die Nähe von Vollzeit kommen. Außerdem haben wir in Baden-Württemberg rund 15 Prozent an sogenannten Geringqualifizierten ohne Berufsabschluss. Dieser Anteil ist deutlich höher als im Bundesschnitt. Unter diesen Menschen gibt es viele, die man zu Fachkräften ausbilden könnte.
Ist das geplante Fachkräfteeinwanderungsgesetz die Lösung?
Zuwanderung ist mit Sicherheit für Baden-Württemberg der dritte große Hebel, um dem Fachkräfte-Engpass zu begegnen. Er wirkt jedoch erst langfristig. Man muss also heute investieren und wird erst in drei oder vier Jahren die Rendite einfahren. Die jetzigen Entwürfe zum Fachkräfteeinwanderungsgesetz bedeuten sicher an einigen Stellen eine deutliche Verbesserung im Vergleich zum geltenden Recht.
Und wo muss man nachbessern?
Nicht alles lässt sich mit einem Gesetz lösen. Wir haben das Problem, dass Deutsch keine Weltsprache ist, sondern mühsam erlernt werden muss. Und wir haben das Problem, dass es in den meisten anderen Ländern keine duale Ausbildung gibt. Den größten Fachkräftemangel haben wir bei den dual ausgebildeten Fachkräften. Wir brauchen also ein Bündel von Maßnahmen.
Wie gut profitieren typische Problemgruppen vom Arbeitsmarkt?
Einige Zielgruppen profitieren sehr stark, etwa die Langzeitarbeitslosen. Diese haben traditionell weniger vom Rückgang profitiert als der Durchschnitt. Das hat sich geändert: In Baden-Württemberg haben wir von 2018 auf 2019 einen Rückgang von 12 Prozent, während im Schnitt die Arbeitslosigkeit um knappe 6 Prozent zurückging. Das zeigt: Wenn der Arbeitsmarkt in einer sehr guten Verfassung ist wie hier in Baden-Württemberg, dann profitieren auch Problemgruppen davon.
Wo sehen Sie das größte Risiko, arbeitslos zu werden?
Das Risiko ist ohne Berufsabschluss viermal so hoch wie mit einem Abschluss. Damit ist fehlende Qualifikation eines der höchsten Risiken. An zweiter Stelle kommen gesundheitliche Einschränkungen.
Wie entwickelt sich der Arbeitsmarkt dieses Jahr bei gedämpfter Konjunktur?
Nach der Prognose des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung geht es weiter aufwärts. Demnach kommen in Baden-Württemberg 2019 noch mal 100.000 sozialversicherungspflichtige Vollzeit-Stellen dazu, und die Arbeitslosigkeit sinkt im Jahresschnitt um weitere 10.000 Menschen. Im Verarbeitenden Gewerbe spürt man jedoch schon eine gewisse Nervosität.